«Leider ist Amelie nicht ganz damit einverstanden», richtet Tom Vijt aus. Er ist einer der Gründer des Fanklubs «King Küng Freunde» und spricht über die Namenswahl für ein Baby. Amelie ist die Partnerin von Vorstandsmitglied Pieter de Kuyper und der beabsichtigt, sein Neugeborenes einmal Stefan oder Stefanie zu taufen.
Es ist eine kleine Episode, die die Hingabe für Stefan Küng an einem Flecken aufzeigt, an dem man sie vielleicht nicht erwarten würde: im Dorf Moerzeke in der belgischen Provinz Ostflandern.
Entstanden ist die Beziehung zwischen dem Thurgauer Radprofi und den belgischen Radsportfans im Sommer 2017. Da war Küng Gesamtleader der Binck Bank Tour in Belgien. «Beim Car des BMC-Teams hatte es viele Leute, aber als Greg van Avermaet (der Olympiasieger und belgische Leader der Equipe, Anm. d. Red.) weg war, waren es auch die Leute. Stefan kam aus dem Bus und war fast alleine da», erinnert sich Tom Vijt. «Schlagartig wurde uns bewusst: Das ist der Mann, für den wir alles tun würden.»
Mit seinem angriffigen Fahrstil fuhr Küng direkt in die Herzen der jungen Flamen. Mittlerweile ist der Fanklub auf 250 Mitglieder angewachsen, 150 davon sind in Belgien zuhause, andere in Slowenien, Italien, den Niederlanden oder Australien. Die «King Küng Freunde» besuchen vor allem die Frühlingsklassiker, zuletzt waren sie auch an den Olympischen Spielen in Paris und nun sind sie in Zürich.
Etwa 30 Leute würden aus Belgien in die Schweiz reisen, sagte Vijt im Vorfeld der WM. Mit im Gepäck haben sie natürlich auch Stefan Küng. Nicht den echten. Sondern sein Ebenbild als Riesen. Mit einer Höhe von 4,40 Metern ist der 75 Kilogramm schwere Koloss unübersehbar.
Prozessionen der Riesen, die historische, legendäre oder auch Fantasiefiguren darstellen, sind ein belgischer Beitrag zum UNESCO-Kulturerbe, wie bei uns etwa die Basler Fasnacht. «In Moerzeke hatten wir bereits drei prächtige Riesen, die Tradition ist uns also sehr geläufig. Stefan hat es einfach verdient, dass wir ihm einen Riesen gebaut haben», findet Vijt. Fabriziert hat ihn übrigens der eingangs erwähnte Kollege, in dessen Schuppen wird der Riese auch aufbewahrt. «Also sind Amelie und Peter eigentlich ja schon Eltern eines Stefans.»
Die Küng-Puppe kann in drei Teilen transportiert werden, sodass sie auch an der WM in Zürich zu sehen sein wird. Andere Zuschauer werden dann auch die eine oder andere kleine Schramme bemerken. Tom Vijt erklärt: «Der Riese ist innen hohl und wir laufen manchmal bei Riesen-Paraden mit, da gerät man manchmal ins Stolpern. Deshalb hat der Riese genau wie der echte Stefan ein paar blaue Flecken …»
Und was denkt eigentlich dieser echte Stefan Küng über den Riesen und seine riesigen Fans im fernen Belgien? «Manchmal denken wir: Er muss uns wirklich für seltsam halten. Aber er behandelt uns immer mit Respekt und nimmt sich Zeit für uns. Das wissen wir sehr zu schätzen.» Sie würden sich bemühen, Küng genügend Freiraum zu lassen, und nicht wie eine Gruppe von Stalkern zu wirken. «Wir können nicht in seinen Kopf blicken, aber ich denke, er weiss, dass wir ihn sowohl als Fahrer wie auch als Mensch respektieren.»
Wo man die Fans heute im Zeitfahren an der Strecke sieht, ist offen. Man habe erfahren, dass es im Zielgelände wohl nicht gehe mit dem Riesen. «Aber keine Angst, er wird trotzdem im Fernsehen zu sehen sein.» So wie die Kuhglocken, die die Belgier von Küngs Schweizer Fanklub erhalten haben. «Das ist unser bestes Accessoire!», schwärmt Vijt.
Der 26-Jährige war schon einmal dabei, als Stefan Küng eine WM-Medaille gewann. 2019 war das, im britischen Yorkshire errang Küng bei garstigen Bedingungen Bronze im Strassenrennen.
Dieser Tag sei sein bislang bestes Erlebnis als Küng-Fan gewesen, schildert Vijt. «Als ich am Abend im Flieger sass, mit lauter niedergeschlagenen Belgiern, behielt ich meine Mütze mit der Aufschrift ‹Supporter Stefan Küng› auf. Plötzlich lief der Niederländer Mathieu van der Poel, der im Rennen von Küng abgehängt wurde, an mir vorbei zu seinem Sitz, zeigte auf die Mütze und meinte: ‹Ja, heute war er ein bisschen zu stark.›»
Mit Olympiasieger Remco Evenepoel ist im Zeitfahren ausgerechnet ein Belgier der Topfavorit. Trotzdem schlägt das Herz von Tim Vijt und seinen Freunden klar für Stefan Küng.