Was war das für ein Fest in Paris! Dichtgedrängt standen Hunderttausende Fans an der Strecke und feuerten Athletinnen und Athleten an. Die Strassenrennen waren über den Radsport hinaus unvergessliche Highlights der Olympischen Spiele 2024.
Die französische Hauptstadt richtete vor einigen Wochen den grössten Sportanlass der Welt aus. Rund um den Globus sorgten die Pariser Spiele und ihre Sportstätten für Begeisterung.
Zürich hat keinen Eiffelturm. Aber es hat den Zürichsee. Und bei passendem Wetter hohe Berge als Hintergrund. Bilderbuch-Schweiz. Beste Voraussetzungen dafür, dass auch von der Rad-WM attraktive Bilder produziert werden, die für unser Land werben.
Für den Anlass wurde eine Bruttowertschöpfung von 60 Millionen Franken errechnet. Geld, das hier bleibt. Doch über der WM schweben dunkle Wolken, weil von diesem Geld nicht alle profitieren. Vor allem, dass die Strecke mit dem Ziel auf dem Sechseläutenplatz, mitten in der Stadt, tagelang gesperrt sein wird, sorgt seit Bekanntwerden für Ärger. Der ist aus Sicht der Betroffenen nachvollziehbar. Erst recht dann sollte ihnen tatsächlich etwas anderes versprochen worden sein als das, was gilt.
Für Probleme gibt es aber Lösungen. In erster Linie den öffentlichen Verkehr, der in aller Regel zuverlässig und pünktlich ist. Dass die Strassen so oft gesperrt sein werden, hat im Übrigen auch damit zu tun, dass die Zürcher WM-Organisatoren zur regulären Rad-WM auch gleich die WM im Paracycling austragen, also jene der körperlich beeinträchtigten Velofahrerinnen und -fahrer. Ein schönes und wichtiges Zeichen für die Inklusion.
Es ist eine der Aufgaben einer Stadtregierung, ihren Einwohnerinnen und Einwohnern etwas zu bieten. Dafür zu sorgen, dass sie sich wohl fühlen, dass es ihnen gefällt. Dass sie in der Stadt bleiben oder dorthin ziehen. Dazu werden Parks unterhalten oder wird das Seeufer gepflegt. Und es wird bei Grossanlässen Hand geboten, damit die Stadt «lebt».
Es ist vielleicht das Pech der Rad-WM, dass sie jetzt, Ende September, stattfindet und dass viele Städter genug haben von der Festerei. Ende Juni sass ich an einem Samstag in der S-Bahn und teilte mir den Waggon mit Nati-Fans auf dem Weg zum Public Viewing, mit AC/DC-Jüngern auf dem Weg ins Hallenstadion und mit Frauen, Männern und Kindern, die unterwegs ans Eidgenössische Trachtenfest waren. Für ihren Termin kann die Rad-WM nichts, sie findet traditionell Ende Saison statt.
Den Zünftern werden Strassen fürs Sechseläuten freigeräumt, Zürich hat die Street Parade, das Züri Fäscht und viele weitere Anlässe. Jetzt ist es die Rad-WM, und weil Radsport auf öffentlichen Strassen ausgetragen wird, müssen diese ausnahmsweise gesperrt werden.
Die Tour de Suisse macht aus Rücksicht seit Jahren einen Bogen um Zürich, um den Feierabendverkehr nicht zusätzlich zu belasten. Nun ist es für einmal umgekehrt. Strassen werden für Velofahrerinnen und Velofahrer gesperrt, Autos haben das Nachsehen.
Vielleicht das Beste: Radsport schauen ist gratis. Wer nicht gerade neben dem Zielstrich sitzen will, kann überall an der Strecke stehen und die Athleten anfeuern. Und feststellen, wie unfassbar schnell Profis sind, ob in der Ebene oder am Berg – ein sehr eindrückliches Erlebnis.
Im besten Fall werden Kinder von den Stars dazu inspiriert, vermehrt selber in den Sattel zu steigen. Fürs Klima ist jeder Velofahrer mehr ein Gewinn. Und angesichts der unaufhörlich steigenden Krankenkassenprämien ist es das auch für die Volksgesundheit.
Nach der vielen Kritik im Vorfeld soll die Bühne nun den Sportlerinnen und Sportlern gehören. Im Zeitfahren am Sonntag hat die Schweiz mit Stefan Küng und Stefan Bissegger zwei Chancen auf eine Medaille. Und das Strassenrennen der Männer zum Abschluss der WM könnte ein Feuerwerk werden.
Tadej Pogacar aus Slowenien möchte seine Saison nach dem Gewinn von Giro d'Italia und Tour de France mit dem Regenbogentrikot toppen. Der Belgier Remco Evenepoel will nach seinem Olympiasieg in Paris auch Weltmeister werden, zum zweiten Mal nach 2022. Und die Schweizer schicken mit Marc Hirschi einen Fahrer ins Rennen, der zuletzt einen Sieg an den nächsten reihte.
Die Velo-Schweiz wartet seit 1998 (Oscar Camenzind) darauf, dass wieder einer ihrer Fahrer ins begehrte Regenbogentrikot schlüpfen darf. Der Berner Hirschi könnte – wie der ebenfalls formstarke Lokalmatador Mauro Schmid – in einer Rad-WM, an der die Schweiz auch in Nachwuchs- und Para-Kategorien Medaillenchancen hat, am Schlusstag die Krone aufsetzen.
Die Stadt Zürich wird die neun Tage verkraften, die die Weltmeisterschaften dauern. Denn was sind schon neun Tage? Am Samstag werden stattliche 28'510 Tage vergangen sein, seit 1946 zum letzten Mal eine Rad-WM in Zürich ausgetragen wurde. Mit Hans Knecht triumphierte damals ein Einheimischer. Wenn das kein gutes Omen ist!
im hotel gegenüber von uns stehen 4 trucks, 2 sprinter und 7 pkws für ein team von frankreich.
Es ist immer wieder schön, mit welcher Arroganz nicht Betroffene anderen sagen, was sie alles so verkraften könnten.
Viele Geschäfte müssen während der Rad-WM schliessen oder rechnen zumindest mit massiven Umsatzrückgängen.
Aber die gute Nachricht: Würde man deinen Monatslohn einfach mal so um einen Viertel kürzen, ich und die Stadt Zürich würden es verkraften!