Wald. Von. Arenberg.
Drei Wörter, die den Puls in die Höhe jagen. Jenen der Zuschauer und jenen der Fahrer sowieso, die diesen Streckenabschnitt am Sonntag je nach Rennverlauf zwischen 15.00 und 15.20 Uhr passieren werden.
Der berüchtigte Wald von Arenberg ist nach vier Stunden im Sattel und 164 Kilometern der erste von drei Abschnitten der höchsten Schwierigkeitsstufe. Will heissen: Hier ist das Kopfsteinpflaster besonders schlecht.
Nahaufnahmen zeigen, dass die rauen Steine im Norden Frankreichs fast nichts mit Kopfsteinpflaster zu tun haben, die wir von hübschen Schweizer Dorfplätzen kennen. Im Wald von Arenberg übernimmt auch kein Landschaftsgärtner die Pflege: Ziegen und Schafe fressen vor dem Rennen das Unkraut weg, das zwischen den Steinen wächst.
Hungry goats at the Arenberg today 🐐 #ParisRoubaix pic.twitter.com/IUThWh040i
— Anders Mielke (@AndersMielke) April 2, 2024
Bei vielen Austragungen des Rennens in der «Hölle des Nordens» haben die 2,3 Kilometer durch die Trouée d'Arenberg einen vorentscheidenden Charakter. Wer hier nicht vorne dabei ist, schafft es danach kaum mehr nach vorne. Also möchten die Favoriten möglichst an der Spitze auf diesen gefürchteten Pavé-Abschnitt gelangen.
Die Hektik im Feld ist entsprechend gross und als wäre das Tempo dadurch nicht ohnehin schon hoch, kommt noch hinzu, dass die Strasse vor der Wald-Passage leicht abschüssig ist und die Fahrer deshalb mit rund 60 km/h aufs Kopfsteinpflaster rasen. Dass es so regelmässig zu Stürzen kommt, ist leicht nachzuvollziehen.
Vor der diesjährigen Ausgabe haben die Organisatoren deshalb kurzfristig eine Neuerung beschlossen. Am Mittwochabend teilten sie mit, dass sie aus Sicherheitsgründen und nach einem Antrag der Fahrer-Gewerkschaft CPA eine Streckenanpassung vornahmen.
Anstatt dass das Feld geradeaus fährt, führt sie der Weg zuerst durch eine Schikane. Dadurch wird das Tempo reduziert, womit die Hoffnung verbunden ist, dass es zu weniger Stürzen kommt. Aufnahmen zeigen eine relativ enge 180-Grad-Kurve, die unmittelbar vor der Einfahrt in den Wald befahren wird.
Ecco la chicane introdotta all’ingresso della foresta di #Arenberg, appena ufficializzata per la #ParisRoubaix @RaiSport pic.twitter.com/9cJ4p2Omxa
— Stefano Rizzato (@stefanorizzato) April 3, 2024
Diese Innovation kommt nicht überall gut an. Mit Weltmeister Mathieu van der Poel äusserte der Topfavorit mehr als nur ein wenig Skepsis. «Ist das ein Witz?», fragte der Niederländer, der am vergangenen Sonntag bereits die Flandern-Rundfahrt gewinnen konnte. Van der Poel ist als sechsfacher Radquer-Weltmeister einer der besten Techniker im Feld, ihn scheint die heikle Einfahrt nicht zu stören.
CPA-Präsident Adam Hansen, ein Ex-Profi mit der Erfahrung von 20 Grand-Tour-Teilnahmen in Folge, nahm die Kritik gelassen hin. «Mit jeder Entscheidung, die ich treffe, verärgere ich jemanden», so der Australier. «Wenn wir den Fahrern drei Optionen geben, entscheidet sich jeder für eine. Wird dann eine der beiden anderen Varianten gewählt, wird es immer Fahrer geben, die deshalb verärgert sind. Wir können es nie allen recht machen.»
Das Radsport-Monument wird auch so zu einer grossen Herausforderung für Mensch und Maschine. Die lokale Zeitung «La Voix du Nord» berichtete, das Kopfsteinpflaster in der Region sei in diesem Jahr in einem schlechteren Zustand als auch schon. Unwetter der letzten Monate hätten es sehr feucht, schlammig und gefährlich gemacht. Die Zeit, um alle Passagen bis zum Rennen zu reinigen, reiche wohl nicht aus.
55,7 der 259,7 Kilometer führen über insgesamt 29 Pavé-Abschnitte. Neben dem Wald von Arenberg sind bei der 121. Austragung von Paris–Roubaix auch die Passagen Mons-en-Pévèle (3 Kilometer) und Carrefour de l'Arbre (2,1 Kilometer) solche der höchsten Schwierigkeitsstufe.
Der Titelverteidiger ist auch in diesem Jahr der Mann, den es zu schlagen gilt: Mathieu van der Poel. Als erster Fahrer seit Fabian Cancellara, dem das Kunststück 2013 gelang, könnte MvdP das Double Flandern/Roubaix holen. Schweizer Fans hoffen primär auf den formstarken Stefan Küng als Herausforderer. Andere Favoriten sind van der Poels Teamkollege Jasper Philipsen, der dänische Ex-Weltmeister Mads Pedersen, Matteo Jorgenson aus den USA, der Deutsche Nils Politt oder Dylan van Baarle, der auf der Rennbahn in Roubaix schon einmal zuschlug.
Jorgenson ist einer jener Fahrer, der die Schikane befürwortet. Ob die Fans es wirklich wollen, dass Fahrer völlig blutüberströmt sind nach einem Sturz im Wald von Arenberg, fragte er mit einem passenden Bild. Da fahre er lieber ein paar Kurven vorher, betonte der 24-jährige Amerikaner.
Is this what fans want to see? Riders completely covered in blood after sliding face-first at 50mph/80kph on sharp rocks in a forest? I’ll take a couple of turns and some guys sliding out on pavement any day… https://t.co/Xi6OZnZSa9 pic.twitter.com/jNHtu5ndjc
— Matteo Jorgenson (@MatteoJorg) April 4, 2024