Oben, da gibt es Licht und Leben. Doch das sucht Markus Rogan am Weissensee nicht, nicht an diesem Tag. Er gleitet ins Wasser, kalt, bitterkalt, nur eine Badehose trägt er am Leib. Holt noch einmal Luft. Taucht dann unter das Eis, wo die Dunkelheit auf ihn wartet und die Tiefe, in die er einfach verschwinden könnte.
Ein oranges Seil spannt sich unter dem Eis im Weissensee, Kärnten, Österreich; es zeigt Rogan den Weg durch die Dunkelheit, zurück ins Leben. Ins Eis haben Helfer Notlöcher gefräst, nach 25 Metern, nach 50, nach 75, für den Fall der Fälle.
Markus Rogan war einst einer der besten Schwimmer der Welt. Er hat für Österreich Medaillen gewonnen, an EM, WM und Olympia, ist Weltrekorde geschwommen. Doch nichts davon, wird der 41-Jährige später sagen, habe sich so schön angefühlt wie das, was er an diesem Wintertag schafft.
Apnoe-Eistauchen ist eine Extremsportart, der Schauplatz sind eiskalte Seen, auf denen zentimeterdick das Eis liegt. Es gibt verschiedene Disziplinen, mit Neoprenanzug und Flossen, mit dem einen oder dem anderen. Oder einfach nur: in einer Badehose.
So taucht Rogan durch den Weissensee, und unterwegs wird sein Körper ein anderer. Nach 111,2 Metern kommt er zurück ans Licht, Weltrekord unter Eis ohne Flossen und Neoprenanzug, zertifiziert von einem Richter des Hamburger Rekord-Instituts.
Fürchterlich sei es unter dem Eis, so beschreibt das Rogan, «absolut fürchterlich», er könne sich nichts Schlimmeres vorstellen. Die Kälte. Die Dunkelheit. Die Beklemmung. Die Panik, die nicht siegen darf, auf keinen Fall. Doch was sucht Rogan dort unten?
Während Rogan durch den eiskalten Weissensee taucht, stirbt er langsam, so beschreibt er das. Sein Körper stellt eine Funktion ein und dann die nächste. Zuerst fliesst das Blut nicht mehr in die Finger. Dann nicht mehr in die Hände. Dann nicht mehr in die Arme. «Du spürst, wie das Blut voll ins Herzen geht, weil es nur noch darum geht, dass es weiterpumpt», sagt er.
Ab Meter 75 begleitet ihn ein Taucher, man weiss ja nie, nach Meter 95 ein anderer, der ihn sehr gut kennt, seinen Bewegungen ansieht, wenn etwas nicht mehr stimmt. Kurz vor der 100-Meter-Marke habe sich sein Hirn ausgeschaltet, erzählt er. Rogan hat jetzt kein Ego mehr, da ist nur noch dieses Gefühl, «dass du eigentlich nicht mehr du selbst bist». Als er dann endlich auftaucht, fühlt er sich wie ein Baby, unglaublich verletzlich, findet keine Worte mehr.
Ein «Halbtoter», wie er es formuliert, aber doch mehr am Leben als je zuvor, irgendwie. Rogan sieht Farben, wie er sie noch nie gesehen hat. Er spürt eine Umarmung, wie er sie noch nie gespürt hat. Er atmet einfach ein und aus und merkt, wie schön das ist: zu atmen, zu leben.
Eine halbe Stunde geht das so, dann kehrt sein Körper zu ihm zurück, dann ist er wieder ganz bei sich, doch dieses Gefühl, diese Euphorie: Rogan trägt das jetzt in sich, und wenn er darüber spricht, spürt er es wieder, ein bisschen wenigstens.
Der 41-Jährige sagt, er sei stets auf der Suche nach der Grenze seines eigenen Lebens, nach dem Gefühl, dass alles seine eigene Entscheidung sei, das Leben, das Sterben. Beim Eistauchen kommt er ihm so nahe wie sonst nie.
Früher, als Rogan nicht durch eisig kalte Kärntner Seen schwamm, sondern durch die Schwimmbecken dieser Welt, suchte er etwas anderes: «absolute, egomanische, fantastische» Bestätigung, so sagt er das.
Rogan war damals ein Star. In Athen gewann er 2004 zwei Olympia-Silbermedaillen. Neun Mal wurde er Europameister, einmal Weltmeister, 2008 war das, in Manchester. Dort stellte er auch einen Weltrekord auf, 200 Meter Rücken, Kurzbahn, in einem denkwürdigen Rennen, das er hauchdünn vor Ryan Lochte gewann, dem grossen Favoriten aus den USA. Manchester, sagt Rogan, sei «wie das beste kolumbianische Kokain» gewesen, «ein König-der-Welt-Gefühl».
Er flog hoch, doch er fiel auch tief, ein Jahr später nur, WM in Rom. Auf eine Enttäuschung folgt dort die nächste, schliesslich kommt es vor einer Diskothek im Küstenort Ostia zu einer Prügelei. Der Sportstar sagt, er sei verprügelt worden, und der Discobesitzer etwas anderes. In Österreich machen sich die Medien über die Geschichte des Schwimmers, der in der Heimat stets polarisiert hat, her. Rogan zieht sich in die USA zurück, konzentriert sich ganz auf den Sport. Und geht dann bei den Olympischen Spielen 2012 als Fahnenträger voran.
London, das Olympiastadion, und er mit der österreichischen Fahne, das ist für Rogan ein «letzter, absoluter Höhepunkt». Dann tritt er zurück, studiert an der University of California in Los Angeles. Das ist ein harter Bruch für den Mann, der über sich sagt, dass er sein Glück lange «in Geld, Vaginas und Medaillen» gesucht habe. Jetzt ist er ein 30-jähriger Student, einer unter vielen.
«Diese plötzliche, absolute Bedeutungslosigkeit, das war für mich schwer zu akzeptieren», sagt Rogan. Er sagt, früher sein früheres Ich habe aussen gesucht, was es innen nicht finden konnte. Eben: Geld, Vaginas, Medaillen. «Damals war ich absolut überzeugt, es gehe im Leben darum, so erfolgreich und reich wie möglich zu sein», sagt er.
Doch dann wird Rogan Psychotherapeut, hilft etwa Drogensüchtigen. Heute führt er in Beverly Hills seine eigene kleine Klinik; in Los Angeles besitzt er ein Haus, das er mit der Frau und zwei Söhnen bewohnt. Er sagt, er habe gelernt, dass der wahre Sinn des Lebens darin bestehe, anderen zu helfen und liebende Beziehungen zu führen.
Er klingt wie ein Geläuterter, und vielleicht ist er das auch. Aber nun jagt er trotzdem wieder Weltrekorden nach, diesmal halt unter dem Eis. Kann er doch nicht ganz sein ohne die Aufmerksamkeit?
Rogan entgegnet, dass es doch um verschiedene Dinge gehe im Leben. Darum, zu helfen, ja. Aber auch darum, in einer Leistungsgesellschaft mitzuspielen. «Beides will ich meinen Söhnen vorleben», sagt er. Und dann ist da noch dieser Satz von Sokrates, dem griechischen Denker, den Rogan gerne zitiert: Dass es eine Schande sei für einen Mann, alt zu werden, ohne die Schönheit und Stärke zu sehen, zu der sein Körper fähig sei.
Rogans Körper ist zu vielem fähig, das war früher so, und das ist es auch heute noch. In seinem Leben, so schätzt er das, ist er mehr als 50'000 Kilometer geschwommen, einmal um die Welt und noch weiter. Es gab Zeiten, da fiel es seinem Körper leichter, einen Kilometer zu schwimmen, als einen zu laufen. Daraus leitet er, angelehnt an Sokrates, die Pflicht ab, ihm alles abzuverlangen. Eben zum Beispiel: den Weltrekord im Apnoe-Tauchen unter Eis, den zuvor der Schweizer Peter Colat hielt.
Den Satz von Sokrates hat der 41-Jährige von einem Mann gelernt, den er als seinen besten Freund bezeichnet: Michael C. Donaldson, ein amerikanischer Medienanwalt. 84 Jahre alt ist der bereits – und verschreibt seinen Lebensabend dem Verschieben von Grenzen, weil er findet, dass es zu viele Menschen gibt, die zögern und jammern, statt einfach zu machen.
Rogan lernt Donaldson vor zehn Jahren kennen; er betreut ihn als Sportpsychologe, zuerst, als der am Trapez Dinge vollbringt, die Ärzte für einen Mann in seinem Alter für unmöglich halten. Und er betreut ihn, als Donaldson, der bis vor ein paar Jahren nicht einmal richtig schwimmen konnte, das Eistauchen für sich entdeckt – und auch in Rogan das Feuer dafür entfacht. «Ohne Michael hätte ich das alles nie gemacht», sagt er.
Im Weissensee tauchen beide, Rogan und Donaldson, zu Weltrekorden. Nur ist es so, dass Rogan einen verbessert. Und Donaldson gleich mehrere aufstellt, in der Kategorie der über 80-Jährigen, in der es bis anhin noch gar keine Rekorde gegeben hatte.
Dieser Michael C. Donaldson ist es auch, der Rogan in die Arme schliesst, als er auftaucht. Nach 111,2 Metern, halbtot, aber auch: voller Glück.
Also Schrödingers Taucher, im übertragenen Sinn? 😉
Das ist so faszinierend. Rogan und die Elemente. Sonst ist da nichts. Kein Gedanke, der ablenkt. Nur das Vorwärtskommen zählt. Rogan ist eins mit senem Geist.
Wenn es ums Überleben geht, funktioniert unser Geist anders. Dkeser Rogan aber hat es auf die Spitze getrieben.
Und der halbstünfige Geisteszustand, nach dem Auftauchen muss universell erhaben sein.
Spannender Mensch.