Die 10-Millionen-Schweiz.
Noch mehr Wohnungsnot, noch mehr Infrastrukturkosten, noch mehr Strassen, Verkehr, Energiebedarf. Mit den dunkelsten Farben werden Horrorszenarien zur nächsten Schallmauer der Schweizer Wohnbevölkerungszahl gemalt – stets begleitet von der zentralen Frage: Wohin mit all den Menschen?
Die offensichtliche Antwort lautet: in den Sportclub!
Der beste Schweizer Marathonläufer heisst Tadesse Abraham, die besten Schweizer Leichtathletinnen Ditaji und Mujinga Kambundji.
Der Vater unseres Überzehnkämpfers und Weitsprung-Monsters Simon Ehammer stammt aus dem Tirol, die Mutter von Gesamtweltcupsiegerin Lara Gut-Berahmi aus der Lombardei.
Die Schweizer Tennis-GrandslamsiegerInnen Hingis, Federer und Wawrinka haben Wurzeln in der Slowakei, Südafrika, Deutschland, Tschechien und Polen.
Und seit die Spieler in der Fussballnati nicht mehr nur Meier, Hügi und Leuenberger, sondern auch Xhaka, Shaqiri und Akanji heissen, klappt es regelmässig mit der Qualifikation für die grossen Turniere. Die Rekordtorschützin bei den Damen heisst Crnogorčević.
Schweizer Sportfans sind die eigentlichen Profiteure einer wachsenden Wohnbevölkerung. Und deshalb wagen wir uns an eine (statistisch nicht ganz sattelfeste) Prognose: Mit 10 Millionen Einwohnern dürfen wir die Nationalhymne an Olympischen Spielen rund doppelt so oft hören.
Überprüft man einen statistischen Zusammenhang zwischen den Daten der «Wohnbevölkerung» (ab 1960) und «Medaillen an Winterspielen» (ebenfalls ab 1960), bescheinigen sämtliche wichtigen Koeffizienten den beiden Variablen eine grosse Korrelation.
Wir sind begeistert – fürs Erste.
Aber wir geben zu: Kendall's tau tönt für uns eher nach Kosmetik-Produkt aus dem Hause Jenner als nach einer statistischen Grösse, die wir interpretieren könnten. Deshalb kontaktieren wir einen befreundeten Statistik-Professor:
«Die Kiste ist viel komplexer», warnt er uns.
Wir: «Der Artikel ist eher eine Spielerei, nicht bierernst zu verstehen!»
Der Professor: «Dann fragst du aber den falschen Mann. Soll ich dir einen Studenten schicken?»
Bei der Statistik hört beim Profi der Spass auf.
Leider.
Aber verständlich. Natürlich hat der in diesem Zusammenhang nicht mehr genannt sein wollende Professor recht: Die Anzahl interferierender Variablen ist enorm gross. Die Sportförderung wurde professionalisiert, Sportgymnasien eröffnet – und nicht zuletzt haben sich auch die Olympischen Spiele in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Die Anzahl Wettbewerbe hat sich beispielsweise seit Squaw Valley (1960) von 27 auf 109 in Peking (2022) vervierfacht.
Dieselbe Entwicklung hat das Teilnehmendenfeld gemacht (von 665 auf 2898).
Die Schweizer Delegation hat sich im selben Zeitraum gar verachtfacht – von 21 Teilnehmenden auf 167. Massgeblich dazu beigetragen haben vor allem die beiden Eishockeyteams mit je 23 SpielerInnen.
Die Frage, warum die kleine Schweiz immer mehr SportlerInnen an die Olympischen Winterspiele schicken kann, bleibt. Und weil auch die Variable «Wohnbevölkerung» und «Grösse der Schweizer Delegation» laut unseren Koeffizienten eine starke Korrelation aufweisen, ignorieren wir die Warnungen des Professors.
Den Anspruch auf wissenschaftliche Präzision geben wir damit natürlich auf. Dafür aber kommen wir in den Genuss der statistisch gestützten Hoffnung.
Voilà!
Mit 10 Millionen Einwohnern darf die Schweiz 19 Medaillen erwarten – 4 mehr als der bisherige Rekord. Berücksichtigen wir die bisherige Streuung – die nicht ganz unerheblich ist –, können wir beruhigt festhalten, dass weniger als 10 Medaillen eigentlich nie mehr vorkommen sollten.
Unsere absolut wasserdichte Berechnung ergibt damit folgende Prognose:
Laut unseren Korrelationskoeffizienten ist der Zusammenhang zwischen der Grösse der stetigen Wohnbevölkerung und den Medaillen an Olympischen Sommerspielen geringer als bei der Winterausgabe. Zwei von vier Indikatoren bescheinigen zwar immer noch einen grossen Effekt, Kendall's tau (kleiner Effekt) und Spearman's rho (mittlerer Effekt) zerstören das Gesamtbild aber.
Ebenfalls anders verhält es sich mit der Grösse der Schweizer Delegation. Sie hat im Gegensatz zum Winter im Verlaufe der Jahre nur minim zugenommen.
Erstaunlich: Die Delegationsgrösse und die Anzahl gewonnener Medaillen korrelieren nur im geringen Masse (sagen unsere Koeffizienten). Entsprechend irr sieht die grafische Aufarbeitung davon aus. Die optimale Delegationsgrösse scheint bei 100–130 Teilnehmenden zu sein.
Ähnlich wie bei den Winterspielen veränderten sich hingegen die Anzahl Wettkämpfe und das Teilnehmendenfeld. Beide Zahlen explodierten förmlich, allerdings so gleichmässig, dass die Medaillen pro Teilnehmende während der gesamten Entwicklung ungefähr konstant blieb.
Wie sieht die Situation für die Schweiz aus?
In der Tendenz geht es langsam, aber stetig nach oben – parallel zur Zunahme der Wohnbevölkerung. Auffallend – und noch immer schmerzhaft – ist der fürchterliche Ausreisser 1992. Damals bewahrte uns Tennisspieler Marc Rosset mit der Goldmedaille im Einzeln vor der Switzerland-Zero-Points-Blamage.
Derlei Horrorspiele sollten uns mit 10 Millionen erspart bleiben – sofern unsere statistische Bastelarbeit standhält.
Genau mein Humor
Kurz zusammengefasst: Es gibt immer mehr Wettbewerbe, die Schweiz schickt massiv mehr Teilnehmer als früher - und TROTZDEM steigt die Anzahl der Medallien nur geringfügig...
Wenn man diese beiden Faktoren berücksichtigt, schneiden die Schweizer mit steigender Bevölkerungszahl im Gegenteil sogar immer *schlechter* ab...😄