25 Kilometer lang ist die Strasse von Gordola, grad beim Lago Maggiore, hoch ins Verzascatal. Der Weg schlängelt sich nach dem Anfangsstutz nicht, sondern die Strasse steigt sanft an. Immer dem Fluss entlang. Vorbei an Lavertezzo, Brione, Gerra und Frasco. Kurz nach dem letzten dieser Nester führt eine Brücke über die Verzasca, die von rechts aus dem Nichts im Vogornessotal kommt. Links fliesst die Redorta in den Fluss. Ebenfalls aus dem Nichts. Aber halt aus dem anderen Seitental. Dazwischen liegt: Sonogno, meine 199. von 2324 Gemeinden.
Eine Brücke führt wie gesagt zum 100-Seelennest. Kurz nach der Gebirgsbachüberquerung stehen Fahrverbotsschilder. Velos sind erlaubt. Sie sind die «eccezione», die Ausnahme. Das passt jetzt zwar grad nicht wirklich, aber da muss ich schnell fragen: Wisst ihr, was Helikopter auf Italienisch heisst? Elicottero. Ich find's lustig – sah das Schild kurz vor Sonogno. Item. So wird man also im hintersten Verzasca-Dorf begrüsst:
Das Dorf ist weitgehend autofrei. In 84 gemütlichen Sekunden rolle ich mit dem Velo von einem Ende zum anderen:
In 84 Sekunden durch Sonogno, zuhinterst im Verzascatal - watson machts möglich. Wieder mit Velo. Aber Achtung, am Anfang ists grad laut. Hier wird eben noch gearbeitet:
Posted by Tour dur d'Schwiiz mit Reto Fehr on Wednesday, July 22, 2015
Ich fahre danach links am Dorf vorbei und erreiche einen Spielplatz am lauschigen Bach. Und daneben: eine offene Eisbahn. Oder zumindest das, was davon im Sommer jeweils bleibt. Ein kleines Restaurant hat an diesem Morgen schon offen, Osteria Sportiva heisst es. Ich setze mich in die Gartenwirtschaft, bestelle zwei Gipfeli.
Schnell wird klar, das hier ist das Klublokal des lokalen Eishockeyvereins HC Valle Verzasca. Irgendwie kann ich gar nicht glauben, dass hier oben im letzten Eck des Tals noch ein Eishockeyverein existiert. Also frage ich bei der Bedienung nach: «Klar, seit 1971 gibt es den Verein», erklärt sie stolz. Damals hiess er noch HC Sonogno, später wurde er umbenannt. Seit 1991 besteht die heutige Anlage mit Kunsteis. Früher war das alles Natureis und wurde beispielsweise so gepflegt, wie ein Blick in ein altes Jubiläumsheft zeigt:
Die Dame gibt mir alte Unterlagen, um darin zu stöbern. Alles auf Italienisch. Aber ich könne ja Fotos machen und sie jemandem zeigen, der es richtig übersetzen kann. Dann plaudert sie fröhlich auf Italienisch auf mich ein: «Drei Juniorenteams und eine Aktivmannschaft existieren. Die Spieler kommen aus dem ganzen Tal, ja selbst aus dem fernen Tenero und Gordola. In der 3. Liga ist man engagiert. 2014 musste der Abstieg aus der 2. Liga eingesteckt werden. Heute spielt man gegen Gegner aus der Region, in der 2. Liga standen Fernreisen nach Dürnten, Luzern, Zug, Wetzikon oder Schaffhausen an. Dreieinhalb Stunden dauerte die Fahrt nach Schaffhausen. Wir reisten mit dem Bus.»
Auswärtsreisen bekommen hier einen ganz andere Bedeutung. In einer Saison vor rund zehn Jahren war man in der Region Bern eingeteilt. Münchenbuchsee, Bern 96, Zunzgen-Sissach, Laufen, Oberlangenegg oder Wohlen hiessen die Gegner. Keiner lag näher als drei Stunden. Wenn der FC Basel jeweils englische Grossklubs einteilt, sind die Kicker schneller auf der Insel, als die «Chnebler» von hier in der Restschweiz.
Man könnte meinen, andere Mannschaften aus der Deutschschweiz hoffen immer, dass Valle Verzasca nicht mit ihnen in der gleichen Gruppe spielt. Doch dem ist nicht so. watson-User «Special Guest» kommentierte mein Bild vom Klubrestaurant so: «Hach der HC Valle Verzasca, das jeweils schönste Auswärtsspiel mit der flüssigsten Heimreise. Schade sind sie abgestiegen, spielte immer gerne dort.» Vermutlich ist der HCVV der abgelegenste Eishockeyverein der Schweiz. Oder weiss grad jemand einen noch entlegeneren?
So kämpft der kleine Verein, wie viele andere auch, um Nachwuchs und Spieler. Das kleine Vereinslokal gleicht einem Museum. Bilder von Ambri und Lugano hängen natürlich da. Und eines mit Biel und Ambri, von der Eröffnung des neuen Eisfeldes. «Und das da, das ist das erste Bild des Vereins», sagt die Wirtin.
Mir sticht ein anderes Bild ins Auge: Der Kalender der Mannschaft. Jeder der in die Toilette des Lokals will, darf/muss/kann daran vorbei. Die Wirtin lacht: «Das sind die Spieler der aktuellen Mannschaft.»
Leider habe ich nicht mehr länger Zeit. Die Gartenwirtschaft hat sich gut gefüllt. Zum Abschied schenkt mir die Wirtin noch den offiziellen Aufkleber des Teams. Mir geht es bisschen wie User Special Guest: Hier würde ich irgendwie gerne mal auswärts spielen. Ja, der HCVV hat soeben einen neuen Fan gefunden.