Wer beim FC St.Pauli ein Kultspieler werden will, der muss sehr speziell sein. Der Kiezklub an der Partymeile Hamburgs gehört noch immer zu den eigenartigsten Vereinen im deutschen Profifussball – und dies im guten Sinn.
Walter Frosch ist so einer, der die Herzen der Fans im Sturm eroberte. «Ein Vorbild, das soff und rauchte», titelte die Welt nach seinem Tod im November 2013. Von 1976 bis 1981 kickte der Verteidiger für St.Pauli und wurde 2008 von den Lesern des «Hamburger Abendblatt» in die Jahrhundert-Elf des Klubs gewählt.
Über 25 Jahre nach seinem letzten Profiauftritt für den Hamburger Verein läuft er wieder einmal am Millerntor auf. «Tag der Legenden» heisst der Anlass 2007. Frosch kommt zum Pauseninterview. Er sieht noch genau so aus wie zu seiner Aktivzeit: schmächtiger Körper, wallendes langes Haar und ein dicker Walross-Schnauz im markanten Gesicht.
Bevor das Interview startet, kommt der Schiedsrichter vorbei, klopft dem mittlerweile 57-Jährigen auf die Schulter und sagt: «Das ist ein anständiger Junge. Der hat immer sauber und fair versucht zu spielen.» Dass es meist beim «Versuch» blieb, kommt weiter unten. Jetzt wird erst einmal interviewt. Frosch krächzt ins Mikrofon: «In der zweiten Halbzeit werden wir nochmals zulegen.»
Dem Moderator fällt das Zigarettenpäckchen im Stutzen Froschs auf. Ob er gleich eine rauchen wolle? «Nachher.» Aber warum hat er sie dann mit auf das Spielfeld genommen? «Ich wurde schnell eingewechselt, da hatte ich sie noch dabei.» Beim Abschiedsspiel für Klaus Thomforde Jahre zuvor soll Frosch gar mit der Zigarette im Mund auf dem Platz gestanden haben.
So war Walter Frosch. Immer geradeaus ehrlich. Dass seine Stimme krächzt, schuldet er seinem Lebensstil. Einst erklärte der Fussballer: «Mein schwerster Gegner war immer die Kneipe.» 60 Zigaretten habe er nach eigener Aussage täglich geraucht, seine Eskapaden sind legendär.
Dabei fing alles ganz harmlos an. Walter Frosch wuchs im Südwesten Deutschlands auf und machte eine Lehre zum Kaminfeger. Als Fussballer kickte er in der Regionalliga Süd bei Alsenborn. Ein pfeilschneller linker Verteidiger war er und knallhart im Umgang mit Gegenspielern. 1973 unterschrieb der Abwehrspieler mit 23 Jahren bei Kaiserslautern.
Gleichzeitig unterschrieb Frosch auch bei Bayern München einen Vertrag. Im Training beim Rekordmeister habe ihn Udo Lattek gefragt, warum er nie mit links flanke. «Weil die anderen es auch nicht machen», war Froschs gesalzene Antwort, worauf Lattek schnauzte, dass er gehen könne, wenn er keine Lust habe. Ein «mach ich» von Frosch und die Zeit bei den Bayern war Geschichte.
Aufgrund der zwei Verträge verhandelte der DFB aber noch über eine Sperre des Spielers. Frosch wartete auf Mallorca auf den Entscheid. Vier Monate durfte er danach nicht spielen, bevor er zu Kaiserslautern stiess.
Der damalige Lautern-Trainer Erich Ribbeck stellte einst fest: «Er hätte es zu mehr gebracht» und klagte dann: «Der Frosch, der versaut mir die jungen Spieler.» 1976 wurde das «Enfant terrible» abgeschoben. Gerüchte machten den Umlauf, dass er angekündigt habe, dass er Ribbecks Frau bald mal flachlegen wolle. Es ist wie so oft bei den Geschichten um Frosch: Irgendwie glaubt man sie nicht, sie könnten aber trotzdem stimmen.
So auch diese Geschichte: Frosch sei vor einer Partie gegen Schalke bis 3 Uhr nachts um die Häuser gezogen und habe am Ende seine Kollegen zu einem 400m-Rennen herausgefordert. Er gab ihnen 100 Meter Vorsprung und siegte trotzdem. Die Belohnung: 10 Liter Bier. Als Trainer Ribbeck am nächsten Tag die Augenringe auffielen, erklärte Frosch knapp: «Bindehautentzündung».
Gegner bei Schalke war Nationalspieler Erwin Kremers. Frosch hatte alles im Griff und fasst nachher die Partie so zusammen: «In den ersten Spielminuten habe ich den dreimal über die Bande gehauen, damit da Feierabend war. Der Nationalspieler wurde nach 18 Minuten ausgewechselt. In den letzten zehn Minuten bin ich noch fünfmal nach vorne gelaufen, habe immer geschrien, dass ich den Ball haben wollte, und war froh, dass ich nicht angespielt wurde. Die Fans waren begeistert. Standing Ovations, Froschi bester Mann.»
An guten Geschichten fehlte es in der weiteren Karriere des Lebemannes, der nach dem Motto «niemals aufgeben» agierte, nie. Der Weg führte Frosch zu St.Pauli. Passender könnte ein Spieler für die Hamburger nicht sein. Schnell stieg er zum Publikumsliebling auf und der Grätschenkönig war eine der Stützen in der Aufstiegssaison.
Doch der DFB musste sich wieder einmal mit Frosch beschäftigen. In 37 Partien kassierte er 19 gelbe Karten. Zwei Runden vor Saisonende stand Frosch bei deren 18 und wurde darauf angesprochen. «Gegen Solingen und im letzten Spiel bei Wacker Berlin hole ich mir noch je eine Gelbe, dann bin ich auf 20 und das ist doch eine runde Sache, oder?», witzelte der beinharte Verteidiger. Dieses «Ziel» erreichte er nicht. Aber der Verband beschloss danach, dass ein Spieler ab vier gelben Karten (heute sind es fünf) eine Partie aussetzen muss.
In einem Interview 1995 sehnte Frosch die gute alte Zeit zurück: «Wenn du heute von hinten mal einen umhaust, bist du gleich gesperrt. Früher konntest du auch mal drei umfegen.» Kein Wunder soll sich – wir sind beim nächsten Gerücht – ein Spieler von Eintracht Frankfurt 1977 geweigert haben, gegen Frosch zu spielen. Lieber nahm er seine Suspendierung in Kauf.
Als Aufsteiger besiegte St.Pauli später in der Bundesliga den Stadtrivalen HSV in der 6. Runde mit 2:0. Frosch lacht: «Wir haben danach nicht einen Tag, sondern acht Tage getrunken.» Wieder sind wir an dem Punkt: Stimmt das oder nicht?
Nach sechs Jahren bei St.Pauli ging Frosch zu Altona 93. Dort gelang seinem Team zusammen mit dem Hummelsbütteler SV der Aufstieg und Frosch zeigte sein anderes Gesicht. Weil zwei Hamburger Vereine aufstiegen, rief er den damaligen Trainer des Gegners, Eugen Igel, an und schlug vor, dass man zusammen feiern soll. Was auch geschah, wie sich Igel in seinem Nachruf erinnerte.
1984 beendete Frosch seine Karriere und führte danach unter anderem drei Gaststätten, zuletzt das Vereinslokal des SC Victoria Hamburg, welcher jährlich ein «Walter-Frosch-Turnier» veranstaltet und den Gewinn dem Kampf gegen den Krebs spendet.
Denn Frosch litt jahrelang an der tückischen Krankheit. Ein bösartiger Tumor wurde im Gaumenbereich entdeckt, die krächzende Stimme war eine Folge des zerfressenen Kehlkopfs. «Ich weiss auch, dass ich nicht gesund gelebt habe. Das braucht mir keiner zu erzählen», gab Frosch einst zu. Trotz mehrerer Operation erinnerte er sich an sein Motto «niemals aufgeben». 2008 lag er 111 Tage im Koma, 2013 erlitt er einen Herzstillstand und blieb mehrere Wochen im Wachkoma, ehe der Fussballer am 23. November 2013 verstarb.
In die Nationalelf schaffte es Frosch trotz einigem Talent nie. Dafür hätte er unter Jupp Derwall für eine – damals noch übliche – B-Elf auflaufen sollen. Frosch lehnte mit seinem erinnerungswürdigsten Spruch ab, der heute noch auf T-Shirts gedruckt wird und von dem alle wissen, dass er sich tatsächlich so zugetragen hatte: «Ein Walter Frosch spielt nur in der A-Nationalmannschaft oder in der Weltauswahl.»
«In den ersten Spielminuten habe ich den dreimal über die Bande gehauen, damit da Feierabend war. Der Nationalspieler wurde nach 18 Minuten ausgewechselt. In den letzten zehn Minuten bin ich noch fünfmal nach vorne gelaufen, habe immer geschrien, dass ich den Ball haben wollte, und war froh, dass ich nicht angespielt wurde. Die Fans waren begeistert. Standing Ovations, Froschi bester Mann.»