«Das Haus ist am Brennen, doch Albert Rösti löscht es nicht»
Der Bundesrat hat kürzlich seine Klimapolitik für die Jahre 2031 bis 2040 vorgestellt. Die Grünen schrieben: «Der Bundesrat ignoriert die Klimakrise. Statt endlich Verantwortung zu übernehmen, setzt er auf Ablasshandel.» Woran stören Sie sich?
Lisa Mazzone: Um es mit einem Bild zu erklären: Das Haus ist am Brennen, statt es zu löschen, kommt Umweltminister Albert Rösti lediglich mit einem Tropfen Wasser. Was wir bei Rösti und dem Bundesrat aktuell sehen, ist ein massiver Abbau der Klimapolitik.
Der Bundesrat möchte für die CO₂‑intensiven Sektoren Gebäude und Verkehr anstelle von Abgaben Emissionsrechte versteigern. Die Menge dieser Rechte soll jährlich reduziert werden, als Folge davon käme es zu einer Senkung der Emissionen. Das ist doch eine gute Lösung?
Es gibt mehrere grundlegende Probleme.
Die wären?
Es ist davon auszugehen, dass die heutige CO₂-Abgabe damit unterschritten, es in Zukunft also billiger wird, schädliches CO₂ zu emittieren. So würde etwa beim Heizen weniger Geld an die Bevölkerung zurückerstattet wie bis anhin. Für die Regulierung des Flugverkehrs ist in den Klimaplänen des Bundesrats kein Instrument vorgesehen. Auch um den Schweizer Finanzplatz macht der Bundesrat einen grossen Bogen. Dabei richten Grossbanken und Versicherungen in der Schweiz mit ihren internationalen Geschäften grossen Schaden an.
Die Grünen fordern erneut eine Flugticketabgabe. Dabei hat das abgelehnte CO₂-Gesetz 2021 gezeigt, dass die Schweizer Bevölkerung sehr sensibel auf Vorschriften reagiert.
Ich bin überzeugt davon, dass das CO₂-Gesetz vor vier Jahren nicht deswegen gescheitert ist. Zudem zeigten Umfragen nach der Abstimmung zum CO₂-Gesetz, dass sich fast drei Viertel der Bevölkerung offen zeigen für eine Flugticketabgabe.
Das reicht Ihnen?
Schauen Sie, die Situation im Flugverkehr ist einfach grotesk: Es gibt keine Kerosinsteuer, keine Mehrwertsteuer und in der Schweiz keine Flugticketabgabe. Wenn man mit dem Auto fährt, bezahlt man ab dem ersten Meter eine Abgabe. Unter dem Strich werden die Fluggesellschaften faktisch subventioniert. Das kann nicht im Sinne der Bevölkerung sein, welche die durch den Flugverkehr verursachten Schäden bezahlt. 80 Prozent der Flüge aus der Schweiz gehen übrigens nach Destinationen in Europa.
Die Grünen betonen jeweils, dass die Klimapolitik fair gestaltet sein müsse. Eine Flugticketabgabe ist jedoch genau das Gegenteil. Finanziell schlechter gestellte Menschen sind die ersten, die sich das Fliegen bei höheren Preisen nicht mehr leisten können.
Das stimmt. Deswegen ist ein Verbot – dort, wo es realistisch ist – oft viel fairer als eine Abgabe. Zum Beispiel für die dekadenten Privatjets. Oder nehmen wir Heizungen und Autoimporte. Hier würde es alle gleich treffen, wenn man aus Gründen des Klimaschutzes sagen würde: Ab einem gewissen Zeitpunkt sind in der Schweiz fossile Heizungen und Verbrennerautos verboten.
Dass man so weit wie möglich von fossilen Energieträgern wegkommen möchte, ist in der Schweiz bereits gesetzlich verankert.
Auf dem Papier, ja. Aber nicht in der Tat. Das ist die Kunst der Schweiz. Sich hohe Ziele zu setzen, sich selbst als vorbildlich zu bezeichnen und dann doch viel zu wenig Massnahmen zu ergreifen. Im Frühling hat der Bundesrat ein Sparpaket angekündigt, das das Erreichen der Schweizer Klimaziele massiv gefährdet. Die Stimmbevölkerung hat das Klimaschutzgesetz klar angenommen. Das Vorgehen des Bundesrates zeigt, dass er am Willen der Bevölkerung vorbei politisiert. Und auch eine Mehrheit des Parlaments nimmt die Bevölkerung nicht ernst.
Das Parlament wurde aber von der Bevölkerung gewählt.
Das schon. Seit Beginn der Legislatur vor zwei Jahren hat das Stimmvolk jedoch fast jedes Referendum gewonnen. Bei den Autobahnen, der BVG-Reform, beim Mietrecht. Die Gesetze der parlamentarischen Mehrheit, zu der wir Grünen nicht gehören, werden vom Stimmvolk reihenweise abgelehnt. Das ist schon auffällig.
Die Kritik der Grünen richtet sich vor allem gegen Umweltminister Albert Rösti. Obwohl er gleich zwei zentrale Vorlagen – das Klimaschutzgesetz und das Stromgesetz – erfolgreich durch die Abstimmung gebracht hat.
Bundesrat Rösti hat sein Amt als Lobbyist für fossile Energien, für Autos, für Atomkraftwerke angetreten, und er macht genau das, was man erwarten konnte. Er möchte, dass wieder AKWs gebaut werden, und sabotiert damit die Entwicklung der erneuerbaren Energien. Rösti wählt gerne den Weg der Verordnung, wogegen kein Referendum ergriffen werden kann. Zuletzt beim Entscheid zu Tempo 30 in Gemeinden und Städten. Auch da greift er den Klimaschutz frontal an.
Sie vergleichen Albert Rösti immer wieder mit US-Präsident Donald Trump. Ist das wirklich angebracht?
Ja. Er hat auch kein Geheimnis daraus gemacht, dass er zu Trump tendiert. Seine Klimapolitik ist auf Linie Trump. Unter Röstis Führung kann die Schweiz keine wirksame Klimapolitik betreiben. Er lanciert zahnlose Gesetze, die nichts bringen, und das in einer Zeit, die für das globale Klima so wichtig ist. Die 1,5 Grad haben wir bereits überschritten. Rösti ist das alles egal und die Art und Weise, wie er vorgeht, etwa beim erwähnten Tempo 30, ist hochproblematisch und undemokratisch. Es ist die Methode Rösti, dagegen wehren wir uns vehement.
Wir befinden uns in der Hälfte der laufenden Legislatur. Seit der verlorenen eidgenössischen Parlamentswahl 2023 hat bei kantonalen Parlamentswahlen keine Partei mehr Sitze verloren als die Grünen. Kann Ihre Partei nur Erfolg haben, wenn die politische Grosswetterlage gerade passt, so wie dies 2019 bei der Klimawahl der Fall war?
Überhaupt nicht.
Es scheint aber so.
Man darf nach wie vor nicht vergessen, dass die Grünen bei der Parlamentswahl 2023 das zweitbeste Resultat ihrer Geschichte eingefahren haben. Nach unserem historischen Erfolg 2019 haben die anderen Parteien teils massiv Stimmung gegen uns gemacht und Falschinformationen verbreitet. Das hat sich auf das Resultat 2023 ausgewirkt.
Wie wollen Sie auf die Erfolgsspur zurückfinden?
Man sieht, was passiert, wenn wir als Partei im Parlament weniger stark vertreten sind: Die Klimapolitik wird abgebaut. Wir müssen den Wählerinnen und Wählern vermitteln, was die Konsequenzen davon sind. Dann werden wir Grünen wieder mobilisieren. Gerade die Mobilisierung der jüngeren Generationen ist für uns von zentraler Bedeutung.
Sie bezeichnen die aktuelle Legislatur als Referendumslegislatur. Ist das nicht anstrengend, immer nur die Position des Bremsklotzes einzunehmen?
Es ist verlorene Zeit für unsere gemeinsame Zukunft. Aber es bleibt uns im Moment nichts anderes übrig. Wenn Umweltminister Albert Rösti, der Bundesrat und das Parlament nichts erreichen, müssen wir mittels Volksinitiativen und Referenden mit dem Stimmvolk zusammenarbeiten. Die Mehrheiten im Bundesrat und im Parlament sind nicht links-grün und schon gar nicht klimafreundlich.
Haben Sie als Parteipräsidentin der Grünen Kontakt zu bürgerlichen Bundesräten?
Seit ich nicht mehr im Parlament bin, etwas weniger. Aber man trifft sich offiziell regelmässig. Ich mache jedoch nicht Politik, um Kaffee mit Bundesräten zu trinken, sondern damit sich im Leben der Schweizer Bevölkerung Verbesserungen einstellen.
Wie sehr überdecken geopolitische Krisen wie der Krieg in der Ukraine oder derjenige im Nahen Osten das Bewusstsein der Bevölkerung für das Klima?
Ich glaube nicht, dass das Klima vergessen geht. Der Bergsturz in Blatten und die Waldbrände im Mittelmeerraum sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie sehr die Klimakrise Teil unseres Alltags ist. Dass ein Genozid wie derjenige in Gaza bei den Menschen ein Dringlichkeitsgefühl auslöst, bringt jedoch Hoffnung. Es zeigt, dass die Menschen sich dafür engagieren und auf die Strasse gehen wollen. Mir geht es gleich.
Sie haben bei der Parlamentswahl 2023 Ihren Ständeratssitz verloren. Kandidieren Sie in zwei Jahren erneut?
Das ist noch offen. Aktuell gilt meine volle Aufmerksamkeit dem Präsidium der Grünen. Ich bin in direktem Kontakt mit unserer Basis, mit den Menschen, den Verbänden, die sich für eine bessere Welt engagieren. Diese Aufgabe schätze ich sehr.