Neue dramatische Wendung in Washington: Justizminister William Barr hat eine Untersuchung eingeleitet, die kriminelle Handlungen im Vorfeld der Russland-Affäre abklären soll. Federführend dabei ist John Durham, ein Strafverfolger aus Tennessee. Barr selbst mischt jedoch ebenfalls kräftig mit. Es stellen sich sieben Fragen.
Schon im vergangenen Mai hat Barr Durham den Auftrag erteilt, die Vorgänge im Vorfeld der Russland-Affäre abzuklären. Nun hat er ihm weitreichende Machtmittel in die Hand gegeben. Durham kann nun sogenannte Subpoenas aussprechen, Vorladungen, denen man unter Strafandrohung folgen muss. Ebenso kann er Dokumente anfordern.
Zudem kann Durham nun eine sogenannte «grand jury» einberufen. So nennt man das Gremium, das beim Verdacht eines Verbrechens die Beweislage abschätzen und grünes Licht für eine Anklage geben muss. Um dieses Verfahren einzuleiten, muss das Justizministerium bereits über Fakten verfügen, die es rechtfertigen. Was für Fakten Barr vorzuweisen hat, ist nicht bekannt.
Seit Beginn seiner Amtszeit setzt Präsident Trump alles daran, die Russland-Affäre umzudeuten. Er will eine abstruse, in rechtsextremen Kreisen weit verbreitete Verschwörungstheorie «beweisen», wonach nicht der russische Geheimdienst hinter den Wahlmanipulationen von 2016 steht, sondern die Regierung von Barack Obama.
Anders als sein Vorgänger Jeff Sessions ist Justizminister William Barr offensichtlich bereit, sich für diese Verschwörungstheorie einspannen zu lassen. Er ist höchstpersönlich nach Rom gereist, um die italienische Regierung aufzufordern, entsprechende Beweise zu liefern. Auch die Regierungen von Australien und Grossbritannien hat er mit ähnlichen Forderungen beglückt.
Im Mittelpunkt steht ein gewisser George Papadopoulos, ein junger Politologe, der Mitglied des Wahlkampfteams von Trump war. Er hat eine Gefängnisstrafe von zwei Wochen abgesessen, weil er Sonderermittler Robert Mueller angelogen hat.
Im Frühjahr in Rom ist Papadopoulos von einem mysteriösen Professor namens Joseph Mifsud – man weiss nicht, ob er Italiener oder Bürger von Malta ist – kontaktiert worden. Heute ist sein Aufenthaltsort unbekannt.
Mifsud hat Papadopoulos Dreck gegen Hillary Clinton aus russischen Quellen versprochen. Nachdem er ein bisschen über den Durst getrunken hatte, erzählte Papadopoulos dies in einer Bar in London dem Botschafter von Australien. Als tatsächlich Dreck über Clinton verbreitet wurde, informierte der australische Botschafter die CIA.
Das war der Anfang der Untersuchung der Russland-Affäre. Zumindest offiziell. Die Verschwörungstheorie-Variante lautet: Mifsud war gar kein russischer, sondern ein amerikanischer Geheimagent. Er wurde von der Obama-Regierung gezielt auf Papadopoulos angesetzt, um Trump in Verruf zu bringen.
Die wahren Schuldigen der Manipulationen sitzen nicht in Moskau, sondern in Kiew, und sie haben nicht mit Trump, sondern mit Clinton zusammengearbeitet.
Sonderermittler Robert Mueller und sein hochkarätiges Team haben jahrelang in der Russland-Affäre ermittelt, dabei jede Menge Zeugen vorgeladen und unzählige Dokumente studiert. Der Befund ist eindeutig: «Die russische Regierung mischte sich 2016 tiefgreifend und systematisch in den Präsidentschaftswahlkampf ein», heisst es unmissverständlich im Mueller-Report.
Zudem heisst es:
Gegen 13 Russen hat Mueller Anklage erhoben, eine Anklage, die minutiös aufzeigt, wie sie vorgegangen sind. Wer Mueller nicht glauben mag, kann sich an den von Trump eingesetzten FBI-Chef Christopher Wray halten, oder an den ebenfalls von Trump ernannten, inzwischen zurückgetretenen obersten Geheimdienstchef Dan Coates. Beide haben mehrmals öffentlich bestätigt, dass Moskau hinter den Wahlmanipulationen gesteckt hat. Schliesslich ist auch das überparteiliche Intelligence Committee des Senats unter einem republikanischen Vorsitzenden vor ein paar Wochen zu diesem Schluss gekommen.
Seit Monaten kursieren in den konservativen Medien Gerüchte, wonach endlich die Hintermänner der Russland-Affäre zur Kasse gebeten werden sollen. Dass Justizminister Barr ausgerechnet jetzt zuschlägt, ist wahrscheinlich kein Zufall. Mit der Ukraine-Affäre ist Trump in echte Schwierigkeiten geraten.
Anders als in der Russland-Affäre gibt es hier nicht nur ein «smoking gun» – der englische Ausdruck für eindeutige Beweise –, sondern eine rauchende Artillerie. Das hat zu einem Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit geführt. Inzwischen befürwortet eine wachsende Mehrheit der Amerikaner nicht nur das Impeachment-Verfahren, sondern auch, dass Trump aus dem Weissen Haus verjagt wird.
Die Lage für Trump droht sich noch zu verschlimmern. Schon in ein paar Wochen sollen die bisher hinter verschlossenen Türen geführten Hearings öffentlich werden. Weil die Republikaner materiell keine Gegenargumente haben, müssen sie sich auf kindische Proteste wie das Stürmen eines Sicherheitssaales beschränken. Justizminister Barr hat nun eine weitere Möglichkeit eröffnet, von der Ukraine-Affäre abzulenken.
Das Justizministerium ist zwar formal dem Präsidenten unterstellt, de facto jedoch unabhängig. Der Justizminister dient nicht dem Präsidenten, sondern dem amerikanischen Volk.
Diesen für einen Rechtsstaat unabdingbaren Tatbestand unterlaufen Trump und sein korrupter Handlanger Barr. Die Justiz wird damit politisiert. Jerry Nadler, der Vorsitzende des House Judiciary Committee, schlägt denn auch Alarm: «Sollten sich diese Berichte bewahrheiten, dann ist dies Anlass für gravierende Bedenken, dass das Justizministerium unter Barr seine Unabhängigkeit eingebüsst hat und zu einem Instrument für Trumps politische Rache geworden ist.»
Seit seiner schamlosen Verdrehung des Mueller-Reports ist Barrs Ruf, milde ausgedrückt, angeschlagen. Das gilt nicht für John Durham. Er hat sich als unparteiischer Strafverfolger einen Namen gemacht. So hat er jahrelang Foltervorwürfe gegen die CIA untersucht – und schliesslich doch keine Anklage erhoben.
Das könnte auch bei diesem Verfahren das Endresultat sein, zumal Durham nicht nur unparteiisch, sondern auch sehr minutiös und langsam vorgeht.
Zudem hat Barr mit seinen Bemühungen bisher wenig Erfolg gehabt. Seine Reisen nach Rom und London waren ein Flop. Der italienische Premierminister Giuseppe Conte hat öffentlich erklärt, dass der italienische Geheimdienst niemals mit dem FBI zusammengearbeitet hat und dass die italienische Regierung nicht daran denkt, sich in diese Verschwörungstheorie einspannen zu lassen. Auch London und Canberra haben ähnlich reagiert.
Der Inspector General des Justizministeriums, Michael Horowitz, hat den geschassten FBI-Direktor James Comey nicht wie gewünscht angeklagt. Auch das Verfahren gegen Comeys Stellvertreter Andrew McCabe ist versandet. Barrs Anwälte konnten die Grand Jury nicht von einer Anklage überzeugen, ein äusserst seltener Fall – und eine peinliche Niederlage.
Der Klassiker schlechthin.