Der Neoliberalismus entstand in den USA als Reaktion eines maroden Sozialstaates. Die Gewerkschaften wurden übermütig und streikten bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Missbräuche mit Sozialgeldern häuften sich, eine Welle der Kriminalität rollte über das Land.
Als Ronald Reagan in seiner Inaugurationsrede erklärte: «Die Regierung ist nicht die Lösung unserer Probleme, sie ist das Problem», traf er einen wunden Punkt. Zehn Jahre später erklärte selbst der Demokrat Bill Clinton: «Die Zeit der aufgeblähten Regierung ist vorbei.»
40 Jahre Neoliberalismus haben die Stimmung vollständig verändert. Die Ungleichheit in den USA hat absurde Ausmasse angenommen. Während Amazon-Chef Jeff Bezos allein im letzten Jahr 70 Milliarden Dollar reicher geworden sein soll, leben Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern unter der Armutsgrenze. Im reichsten Land der Welt gehen Kinder hungrig ins Bett.
Der amerikanische Mittelstand wurde ausgepowert. Die gut bezahlten Jobs wanderten nach Asien und Mexiko ab. Um über die Runden zu kommen, mussten die Ehefrauen mit anpacken und die Ehemänner bis zu drei lausig entlohnte Jobs gleichzeitig annehmen.
Zudem hat der Neoliberalismus seinen wichtigsten Trumpf verspielt: den Anspruch, die Wirtschaft effizienter zu machen und so mehr Wohlstand zu schöpfen. Die Coronakrise wurde zum Debakel für das angelsächsische Kapitalismus-Modell. Das Gerangel um Masken, Schutzanzüge und Beatmungsgeräte war nicht nur ein Schmierentheater, es hat auch Hunderttausende von unnötigen Todesopfern gefordert.
Auftritt Joe Biden: Der vermeintlich schwache und moderate Demokrat ist im Begriff, eine stille Revolution in den USA durchzuziehen. Das grösste Hilfspaket seit Menschengedenken ist bereits vom Kongress verabschiedet worden. Nun legt Biden ein historisches Infrastrukturprogramm vor. Es besteht aus zwei Teilen. Im ersten geht es um eine physische Renovation der Infrastruktur. Diesen Teil hat Biden gestern vorgestellt. In ein paar Wochen will er auch den sozialen Teil präsentieren. Beide Teile kosten rund zwei Billionen Dollar, verteilt auf 15 Jahre.
Bei diesem Infrastrukturprogramm geht es jedoch um weit mehr als Strassen, Brücken und 5G-Netze. Es geht darum, die in jeder Hinsicht marode gewordenen Vereinigten Staaten wieder auf Kurs zu bringen. Brian C. Deese, der Direktor des National Economic Council, formuliert es wie folgt:
Bidens Programm ist auch ein heimlicher Green New Deal. So soll ein einheitlicher Standard festgelegt werden, in dem sich die Stromerzeuger verpflichten, einen bestimmten Anteil nachhaltiger Energie zu produzieren. Die Stromerzeuger sind darüber nicht unglücklich, denn es würde das bestehende Chaos aus dem Weg schaffen.
Bis 2030 sollen in den USA auch mindestens 500’000 Aufladestationen für Elektroautos geschaffen und 20 Prozent der Schulbusse elektrisch betrieben werden. 35 Milliarden Dollar werden für die Erforschung neuer Technologien im Kampf gegen die Klimaerwärmung zur Verfügung gestellt. Dazu kommen Gelder für die Wiederaufforstung der Wälder und das Zubetonieren von Lecks ehemaliger Öl- und Gasfelder, usw.
Als Barack Obama 2009 ein weit weniger umfangreiches Konjunkturpaket verabschiedete, reagierte das konservative Amerika mit der Tea-Party-Bewegung. Mit Erfolg: Bei den Zwischenwahlen 2010 verloren die Demokraten ihre Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses.
Diesmal steht die überwiegende Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner hinter Bidens Plänen. Von einer Protestbewegung sind nicht einmal Ansätze erkennbar. Die Republikaner reagieren deshalb hilflos. Seit Donald Trump für ein Steuergeschenk an die Superreichen zwei Billionen Dollar verschwendet hat, können sie nicht einmal mehr mit der Angst vor Staatsschulden punkten. Daher konzentrieren sich die Republikaner auf die heikle Situation an der Grenze zu Mexiko und versuchen, eine nicht existente Steuererhöhung für den kleinen Mann heraufzubeschwören.
Tatsächlich will Biden die Steuern heraufsetzen, aber nicht für den Mittelstand, sondern für Unternehmen und für Einkommen über 400’000 Dollar pro Jahr.
Die Republikaner befinden sich auch moralisch in einem Tief. Donald Trump wird in seinem Asyl täglich peinlicher. So hat er kürzlich eine Hochzeit in Mar-a-Lago zum Anlass genommen, einmal mehr über den Wahlausgang zu jammern. In New York kommen derweil die Ermittlungen gegen den 45. Präsidenten in Fahrt. Soeben wurden Dokumente des Finanzministers der Trump Group beschlagnahmt.
In Florida steckt Matt Gaetz, einer von Trumps engsten Kumpels, in grössten Schwierigkeiten. Das FBI untersucht, ob der flegelhafte Kongressabgeordnete minderjährige Mädchen sexuell ausgebeutet hat.
Vor diesem Hintergrund wird der vermeintlich schwache Joe Biden immer mehr zur Lichtgestalt. Hat er mit seinem Mammutprogramm Erfolg, dann hebt er sich auch von den autoritären Herrschern in der ehemaligen Supermacht Russland und der aufstrebenden Supermacht China ab. Biden ist sich seiner historischen Verantwortung bewusst. «Wir müssen beweisen, dass die Demokratie funktioniert», erklärte er letzte Woche.
Der Neoliberalismus entstand in sogenannten "Thinktanks" also Top -down nicht Bottom-up, also Aktion nicht Reaktion
Von diesen "Thinktanks" haben wir übrigens auch heute noch einige in der Schweiz. Wann räumen wir auf?