Wochenlang dümpelte die Aktie von Kodak (Eastman Kodak) im Zwei-Dollar-Bereich vor sich hin. Pro Tag wurden zwischen 60'000 und 80'000 Aktien gehandelt – ein mickriges Handelsvolumen. Vor allem für ein ehemaliges Milliardenunternehmen, das in den 80er Jahren 120'000 Angestellte beschäftigte.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Kodak schien nur noch ein Schatten seiner selbst. Bis vor einer Woche.
Am Montag, dem 27. Juli explodierte plötzlich das Handelsvolumen. Statt der üblichen 70'000 wechselten 1,6 Millionen Aktien den Besitzer. Der Kurs stieg um 25 Prozent. Wie aus heiterem Himmel.
Einen Tag später trat US-Präsident Donald Trump vor die Kamera und erklärte in seinem typischen Stil, dass die USA im Kampf gegen das «China-Virus» und aufgrund der Bestrebungen, die «verlorene Pharmaproduktion zurückzuholen», mit Kodak einen Deal getätigt habe.
Das Unternehmen erhalte einen Kredit von 765 Millionen Dollar. Dafür werde der Traditionshersteller von Photo-Utensilien künftig die Ressourcen für Medikamente herstellen. Darunter sollen sich laut «Wall Street Journal» auch Inhaltsstoffe für das gegen Covid-19 erwiesenermassen nutzlose, aber von Trump geliebte Hydroxychloroquin befinden.
Weshalb gerade Kodak? So genau kann sich das bisher niemand erklären.
Kodak verfügt im hart umkämpften Medikamente-Markt über bescheidene Erfahrungen. 1990 versuchte die Firma sich mit rezeptfreien Medikamenten wie Aspirin zu positionieren. Bereits vier Jahre später wurde der Bereich wieder abgestossen. Auch CEO Jim Continenza betritt Neuland. Seine Expertise liegt im Marketing – und er besitzt einen Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft.
Vor Continenzas Ernennung zum CEO hatte Kodak jahrelang nur noch für Negativschlagzeilen gesorgt. Sei das mit dem Fast-Bankrott 2012, mit einem dubiosen Bitcoin-Miner oder einer grossmundig angekündigten eigenen Blockchain für Fotografen, die auf Eis gelegt wurde. Und nun der Deal mit der Regierung. Die Fachwelt reibt sich erstaunt die Augen.
Weniger kritisch, dafür umso kauffreudiger zeigen sich die Hobby-Trader auf Robinhood. Die Börsenplattform bietet Aktienhandel per App und Mausklick und ist in den USA als Börsenhändler für jedermann äusserst populär. Die User, die sogenannten Robinhooders, sind für irrationales Handeln berüchtigt. Ein Beispiel:
Bevor Hertz bankrott ging, besassen weniger als 43'000 Robinhood-Trader Wertpapiere des Autoverleihers. Nach dessen Bankrott waren es 170'000. Aber wieso stürzt sich eine derart grosse Masse auf ein scheinbar wertloses Papier?
Als die Hertz-Aktionäre in Panik ihre Positionen verscherbelten, stieg das Handelsvolumen. Aktien mit hohem Handelsvolumen landen bei Robinhood automatisch in der Kategorie «Top Movers». Und was dort auftaucht, ist wie Kuhmist für Fliegen. Da wird blind zugegriffen. Fomo (Fear of missing out – die Angst eine Gewinnmöglichkeit zu verpassen) macht sich breit. Und tatsächlich – Hertz legte kurzfristig 900 Prozent zu. Und schon wieder bleibt den Experten die Spucke weg.
Einen ähnlichen Effekt hatte nun auch die Veröffentlichung des Kodak-Deals. Die Anzahl Robinhood-Aktionäre sprang innerhalb eines Tages von 10'000 auf über 130'000, der Preis von unter drei auf 60 Dollar.
Wer in den Tagen zuvor Kodak-Aktien erstanden hatte, konnte diese nun für das fast Dreissigfache wieder verkaufen. Wer zur vielleicht doch nicht ganz so unerklärlichen Masse einen Tag zuvor gehörte, konnte immerhin noch mit einem zwanzigfachen Gewinn auschecken.
Viele der Profiteure des Kurssprungs werden unbekannt bleiben. Die Rufe nach einer Untersuchung durch die Börsenaufsicht ist zwar laut, droht aber bereits wieder zu verhallen. Ein Profiteur ist indes bereits bekannt. CEO Jim Continenza. Einen Tag bevor Trump vor die Öffentlichkeit trat, sprach ihm Kodak Kaufoptionen im Wert von 1,75 Millionen zu. Zwei Tage später hatten die Optionen, wenigstens auf dem Papier, 50 Millionen Wert.
Continenza selbst kann sich die erstaunlichen Börsenbewegungen am Tag zuvor übrigens selbst nicht erklären: «Das war ein gut gehütetes Geheimnis. Wir wussten es selber erst seit einer Woche». Entlarvend dann die Antwort des Journalisten: «Offenbar war das Geheimnis nicht ganz so gut gehütet.»
Selbstverständlich ranken sich um die Profiteure des Insiderhandels diverse Gerüchte. Es wird befürchtet, dass vorinformierte Regierungsbeamte Profit aus Insiderinformationen herausgeschlagen haben könnten. Wie damals im Januar.
Die drei Republikaner Kelly Loeffler, Richard Burr und James Imhofe und die Demokratin Dianne Feinstein verkauften Anteile diverser Firmen, nachdem sie als Teil des Parlaments intern zum Coronavirus gebrieft worden waren. Perfid: Der Öffentlichkeit gegenüber vertraten die Republikaner auch nach diesem Briefing weiterhin die Position, das Virus sei harmlos für Land, Leben und Wirtschaft.
Loeffler, die mit dem Chef der New Yorker Börse verheiratet ist, war sogar so dreist, in Entwicklerfirmen für Homeoffice-Software zu investieren. Trotzdem wurden die Untersuchung wegen Insiderhandel gegen die Spitzenpolitiker fallen gelassen. Sie konnten glaubhaft machen, ihre Portfolios nicht selbst zu überwachen. Sie hätten erst nach den Transaktionen davon erfahren. Nur Richard Burr wird weiterhin untersucht. Mal sehen, wie der Kodak-Fall weiter geht.
Apropos Fall: Die Kodak-Aktie befindet sich bereits wieder im Sinkflug. Im Moment wird sie noch für 16.30 gehandelt (Stand 19.10 Uhr).
Apropos wie will Kodak ohne Medizintechnisches Know-how das stemmen?
Im Moment dürften Fachkräfte Mangelware sein