Seit Anfang März ist die Credit Suisse in den Schlagzeilen. Sie ist in einen Finanzskandal verwickelt, bei dem nur wenige den Durchblick haben. Falls du auch zu den Verwirrten gehörst, gemach. Hilfe ist auf dem Weg – und es ist gar nicht so kompliziert.
Lex Greensill ist ein 44-jähriger Australier, der aus einfachen Verhältnissen stammt. Seine Eltern sind Zuckerrohr- und Melonenfarmer, ein Umstand, den der clevere Sohn später geschickt ausnutzen sollte. Ihn zog es auf die britische Insel. Zunächst studierte er an der Universität Manchester Finanzwissenschaften und arbeitete danach als Investmentbanker bei der Bank Morgan Stanley.
Greensill strebte jedoch nach Höherem. 2011 gründete er seine eigene Firma, die Investmentfirma Greensill Capital. Später kam in Deutschland die Greensill Bank dazu, über die er seine Geschäfte abwickelte.
Greensill gilt nicht nur als Finanzgenie, sondern auch als gewiefter Verkäufer. Es gelang ihm bald, Grössen aus Wirtschaft und Politik in seinen Bann zu ziehen. Der bekannteste darunter war David Cameron, der ehemalige britische Premierminister. Ihn konnte er als Berater gewinnen.
Erinnerst du dich an die Finanzkrise von 2008? Damals standen die CDOs im Mittelpunkt, verbriefte Hypotheken, die gebündelt und dann an Investoren verkauft wurden. Greensill machte sich an eine Neuauflage dieser Idee, allerdings benutzte er nicht Hypotheken, sondern die sogenannte Supply-Chain-Finanzierung.
Will heissen: Greensill kaufte den Unternehmen die Verpflichtungen ab, die ihnen andere schuldeten, bündelte sie und brachte sie als Anlagevehikel unter die Investoren.
Greensill machte so die Bezahlungen innerhalb von Lieferketten – bisher eine eher dröge Geschichte – mit Hilfe von Fintech sexy. Und alle schienen davon zu profitieren. Die Kleinen erhielten ihr Geld prompt, die Grossen mussten sich nicht mehr mit dem bürokratischen Abrechnungskram herumplagen. Die Investoren erwarteten saftige Gewinne, denn selbstverständlich verlangte Greensill für seine Dienste einen Zuschlag.
Wie einst die CDOs entwickelte sich das Lieferketten-Zahlungsmodell bald zu einem Hit. Dazu kam die passende Story: Greensill nutzte seine einfache Herkunft, um sich als Retter der Kleinen feiern zu lassen. Damit gelang es ihm, potente Investoren für sein Unternehmen zu begeistern, allen voran SoftBank, die mysteriöse Firma des japanischen Milliardärs Masayoshi Son.
SoftBank beteiligte sich mit 800 Millionen Dollar an Greensill Capital. Aber auch die Schweizer Grossbank Credit Suisse kam auf den Geschmack.
Gestern hat die CS bekannt gegeben, dass sie bereits einen 50-Millonen-Dollar-Kredit zurückerhalten habe. Im vergangenen Oktober hatte sie der Bank Greensill 140 Millionen Dollar geliehen. Wie viel sie vom Rest noch erhalten wird, ist ungewiss. Die CS liess durchblicken, dass «möglicherweise Kosten entstehen könnten».
Der teilweise geplatzte Kredit dürfte indes die kleinste Sorge der CS-Banker sein. Das Bankgeschäft ist mit Risiken behaftet und «shit happens» bekanntlich. Sehr viel gravierender ist der Reputationsschaden, den Lex Greensill der CS zugefügt hat – und das sind die Gründe:
Für superreiche Kunden und institutionelle Anleger hatte die CS einen 10-Milliarden-Dollar-Fonds aufgelegt. Dieser Fonds war vollgestopft mit Greensill-Papieren. Den Anlegern wurde dabei nicht nur eine anständige Rendite versprochen, sondern auch Sicherheit. Der Fonds war nämlich beim japanischen Versicherer Tokio Marine rückversichert.
Trotzdem hat die CS diesen Fonds am 1. März überraschend eingestellt. Seither hat sie insgesamt rund 4,5 Milliarden Dollar sichern können.
Auch wenn die Bank für den Rest rechtlich gesehen nicht haftet, ist dies ein schwerer Schlag. Mit der japanischen Versicherung liegt sie im Clinch, und die juristischen Auseinandersetzungen könnten Jahre dauern.
Vor allem jedoch ist die Kundschaft sauer. Superreiche haben es nicht so gerne, wenn ihre Bank Geld verliert. Wie die CS sie entschädigen will, ist ein heikles Geschäft, das noch lange nicht gelöst ist. Es besteht die Gefahr, dass sich die superreichen Kunden aus dem asiatischen Raum in Scharen von der CS abwenden.
Das wäre ein schwerer Rückschlag, ist doch das Wealth Management zu einem Kerngeschäft der Bank geworden. Gemäss Berechnungen der Bank Vontobel soll der Schaden für die CS an der Börse deshalb bereits rund drei Milliarden Franken betragen.
Besser abgesichert hat sich offenbar Lex Greensill. Die «Financial Times» berichtet, er habe bereits 2019 Aktien seines Unternehmens im Wert von rund 200 Millionen Dollar verkauft.
Das Lieferketten-Zahlungsmodell war offenbar gar nie so lukrativ, wie es Greensill vorgegaukelt hatte. Bereits vor Jahresfrist kollabierte der Greensill-Kunde NMC Health, eine Spitalkette im Nahen Osten. Am aktuellen Desaster ist dem Vernehmen nach Sanjeev Gupta schuldig, ein persönlicher Freund von Lex Greensill. Der indische Stahl-Industrielle ist offenbar nicht mehr in der Lage, seinen grossen Verpflichtungen nachzukommen. Anscheinend ist das auch der Grund, weshalb die CS ihren Fond auf Eis gelegt hat.
So kompliziert ist es somit gar nicht, auch wenn wir einige Abkürzungen genommen haben. Beispielsweise haben wir die Rolle der Zürcher Investmentgesellschaft GAM ausgelassen, ebenso diejenige der Greensill-Bank in Bremen.
Doch letztlich geht es auch bei diesem Skandal um das ewig Gleiche: Ein raffinierter Hochstapler überlistet mit einem vermeintlich todsicheren, hypermodernen Finanzierungsmodell Banken und gutgläubige Investoren so lange, bis das Kartenhaus zusammenbricht.
Dabei kann Schaden vermeiden, wer auf die einfachsten Dinge achtet. Lex Greensill pflegte einen äusserst luxuriösen Lebenswandel und flog aus Prinzip nur mit Privatjets in der Welt herum. Ein Kollege, der ebenfalls in diesem Geschäft tätig ist, meinte dazu in der «Financial Times» trocken: «Wir arbeiten in einer grossartigen Industrie – aber ich fliege Ryanair.»