Alles schien nach Plan zu verlaufen: Wie erwartet sprach der Senat Donald Trump im Impeachment-Prozess frei. Nur einer, Mitt Romney, brach aus der geschlossenen Front der Grand Old Party aus. Alle anderen folgten wie Schafe der Twitter-Peitsche des Präsidenten.
Die Wirtschaft brummte, die Börse boomte, und die Demokraten machten sich zuerst in Iowa lächerlich, um sich danach gegenseitig zu zerfleischen und so den Sozialisten Bernie Sanders zum Kronfavoriten für die Präsidentschaftskandidatur zu machen. Trump konnte sich beruhigt seinem Golf-Handicap widmen. Die Wiederwahl im kommenden November schien gesichert.
Dann kam das Coronavirus. Kein Problem, alles im Griff, spätestens im April wird der Spuk vorbei sein, erklärte Trump und verbreitete dabei wie üblich auch ein paar falsche Fakten. Doch Viren lassen sich weder wegtweeten noch einschüchtern.
Die Anzahl der Infizierten steigt und steigt. Inzwischen sind in den USA mehr als 150 Menschen an Covid-19 erkrankt und ein Dutzend daran gestorben.
Nun zeigt sich, wie schlecht das Land darauf vorbereitet ist. Menschen können nicht getestet werden, weil die Ausrüstung fehlt. Kalifornien ruft den Notstand aus. Im Bundesstaat Washington mehren sich die rätselhaften Ansteckungen und dessen Metropole Seattle wird bereits mit der chinesischen Stadt Wuhan verglichen.
Das Weisse Haus macht bisher eine mehr als schlechte Figur. Vor laufenden Kameras musste sich Trump von seinem Epidemiologen Anthony Fauce erklären lassen, dass ein Impfstoff nicht innerhalb von Monaten zur Verfügung stehen werde und dass man auch nicht auf andere Grippenimpfungen ausweichen könne.
Dass der Präsident ausgerechnet seinen Vize an die Spitze einer Taskforce gegen das Virus hievte, wird als schlechter Witz interpretiert. Der tiefgläubige Mike Pence gilt als wissenschaftsfeindlich und inkompetent.
Das Coronavirus infiziert nicht nur Menschen, es sorgt auch für Turbulenzen an den Finanzmärkten. Nach einer katastrophalen Woche mit einem Minicrash befinden sich die Börsen derzeit auf einer Achterbahn. Daran kann auch der Fed-Präsident Jay Powell nichts ändern, der überraschend und auf Druck des Präsidenten den Leitzins um ein halbes Prozent gesenkt hat.
Schlimmer noch: Angesichts der absehbaren Pandemie ist eine Rezession der realen Wirtschaft im Sommer ein sehr realistisches Szenario geworden.
Hart getroffen muss Trump die Tatsache haben, dass der Freudensprung der Aktienbörsen vom Mittwoch nicht etwa ihm, sondern Joe Biden zugeschrieben wird. Der Dow Jones legte 4,5 Prozent zu, weil die Investoren nun hoffen, die Gefahr von Bernie Sanders sei gebannt.
Auch viele Banker mögen Trump nicht. Sie lehnen seine Handels- und seine Einwanderungspolitik ab, ebenso seine Weigerung, die Klimaerwärmung zu akzeptieren und sein ungebührliches Verhalten gegenüber Frauen. Mit Biden hingegen kann die Wall Street gut leben.
Womit wir bei des Pudels Kern angelangt sind: der Wende in der amerikanischen Politik. In den letzten 72 Stunden ist alles anders geworden. Der bereits abgeschriebene und verhöhnte Joe Biden ist nach dem Super Tuesday von den Toten auferstanden und zum Favoriten für die demokratische Präsidentschaftskandidatur avanciert.
Das hatten weder Trump noch seine Handlanger bei Fox News auf der Rechnung. Bisher hatten sie Sanders aktiv unterstützt in der Hoffnung, eine Rote-Gefahr-Kampagne gegen die Demokraten führen zu können. Daraus wird nun wahrscheinlich nichts.
Entsprechend absurd fallen die ersten Reaktionen aus. Fox-News-Moderator Tucker Carlson versucht, eine These zu basteln, wonach Biden eine Marionette von Alexandria Ocasio-Cortez und den anderen aufmüpfigen neuen Frauen im Abgeordnetenhaus sei. Das werden ihm selbst die Fox-News-Zuschauer nicht abkaufen.
Sean Hannity lässt derweil in einem unterwürfigen Interview Trump drohen, die Hunter-Biden-Story wieder aufleben zu lassen und zum Schwerpunkt seiner Kampagne zu machen. Viel Glück damit. Unfreiwillig rückt der Präsident damit sein Impeachment wieder in den Vordergrund.
Biden hingegen kann sich nur auf eine Koalition von Schwarzen, Vorstadt-Müttern und einer harten Anti-Trump-Front verlassen. Diese Koalition hat Power. «Mit Biden haben die Demokraten gute Chancen, nicht nur die Präsidentschaft zu gewinnen, sondern auch ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu behalten und eine neue Mehrheit im Senat zu gewinnen», stellt Nicholas Kristof in der «New York Times» fest.
Am schmerzlichsten für Trump dürfte jedoch sein, dass er sich das alles selbst eingebrockt hat. Joe Biden ist nicht über Nacht ein politisches Genie geworden. Er lebt vom Wunsch, dass die Amerikaner sehnlichst etwas wollen, das Trump ihnen nie wird bieten können: Ruhe – und einen anständigen Mann im Oval Office.
Oh ja bitte... Wieder leben ohne jeden morgen eine "WTF, ernsthaft Donald!?" Neuigkeit.
Make politics boring again!