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«Trotz KI werden wir Menschen die Kontrolle behalten»

Künstliche Intelligenz, KI, artificial intelligence
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Interview

«Trotz KI werden wir Menschen die Kontrolle behalten»

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Macht sie uns Menschen zu Sklaven oder hilft sie uns, die wichtigsten Herausforderungen zu bewältigen? Rolando Grandi, CFA, Fund Manager of Echiquier Artificial Intelligence erklärt, weshalb Algorithmen unsere Zukunft bestimmen werden.
09.04.2023, 06:0509.04.2023, 15:34
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Fangen wir mit einem Zitat von Sundar Pichai, CEO von Google, an. Es lautet: «Künstliche Intelligenz ist das Wichtigste, mit dem sich die Menschheit je beschäftigt hat. Ich glaube, es wird die Welt mehr verändern als die Elektrizität oder das Feuer.» Ist das eine masslose Übertreibung – oder teilen Sie diese Einschätzung?
Ich teile diese Einschätzung zumindest teilweise, denn ich bin sehr optimistisch, was die Zukunft der Technologie betrifft, insbesondere auch der künstlichen Intelligenz. KI ist eine transformative Technologie, und wie die Elektrizität ist es auch eine universelle Technologie. Alle Wirtschaftsbereiche und auch alle Länder werden davon profitieren. KI wird alles verändern, die Schulen, unser Gesundheitswesen und unseren Arbeitsplatz.

Und ist somit die wichtigste Innovation aller Zeiten, wie Pichai sagt?
Ich stimme dem nicht ganz zu. Ich denke, dass die Erforschung des Weltraums auch eine sehr transformative Technologie sein wird.

Rolando Grandi
Spezialist für Künstliche Intelligenz: Rolando Grandi, CFA, Fund Manager of Echiquier Artificial Intelligence.

Es gibt jedoch auch eine völlig entgegengesetzte These. Vaclav Smil, ein bedeutender Energieexperte und Lieblingswissenschaftler von Bill Gates, sagt in seinem jüngsten Buch: Die vier entscheidenden Dinge, die unser Leben beeinflussen, sind Stahl, Zement, Plastik und Ammoniak – und sie werden es auch bleiben. Was entgegnen Sie ihm?
Innovation kommt in den verschiedensten Formen daher. Deshalb geht es nicht darum zu entscheiden, welche Innovation besser ist als die andere. Die Corona-Krise hat zudem gezeigt, dass wir auf eine globale Lieferkette angewiesen sind. Wir müssen daher die traditionellen Neuerungen mit den künftigen verknüpfen. Nur so können wir die Herausforderungen der Zukunft – die Demografie, Klimaerwärmung, Armut, etc. – meistern.

Werden wir spezifischer. KI ist im Begriff, die Finanzwelt umzukrempeln. Algorithmen steuern Investitionen, digitales Zentralbanken-Geld wird diskutiert. Wie geht es weiter?
Gerade in der Finanzwelt gibt es sehr viele Anwendungsmöglichkeiten für KI, sei es, um Risiken besser abzuschätzen, oder sei es bei der Krediterteilung. KI wird Banken effizienter machen, aber auch neue Applikationen ermöglichen, die den Kunden zugutekommen.

Wird sie Banken dereinst gar überflüssig machen?
Wir sprechen bei den Kryptowährungen ja bereits von den DAOs, den dezentralisierten autonomen Organisationen, die ohne Intermediäre auskommen. In solchen Organisationen können Kredite tatsächlich von KI gesteuerten Systemen gewährt werden, die ohne Banken auskommen. Ich frage mich, ob die traditionellen Banken diese neue Generation von Tools annehmen werden?

«Die Blockchain wird im Finanzsystem der Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen.»

Dann braucht es auch bald kein Bankpersonal mehr.
Doch, das wird es immer geben. Es geht darum, dass Mensch und Maschine optimal zusammenarbeiten. Der menschliche Geist ist nach wie vor viel flexibler als KI und kann sich schneller veränderten Bedingungen anpassen. Ich glaube deshalb an eine hybride Entwicklung. Mensch und Maschine werden sich ergänzen, nicht miteinander konkurrieren.

Sie sprechen von DAOs. Heisst dies, dass uns eine Zukunft ohne Zentralbanken bevorsteht?
Nein, es braucht nach wie vor eine Institution, welche die Regeln der Finanzwelt bestimmt. Innovation ist prima, aber es braucht auch ein Schutzgeländer. Nur so können wir ein Chaos vermeiden, in dem rücksichtslose Betrüger die Oberhand kriegen. Wir müssen dafür sorgen, dass Innovation und Verantwortung sich Hand in Hand entwickeln. Doch auch die Zentralbanken müssen sich weiterentwickeln.

Die Zentralbanken könnten noch wichtiger werden, beispielsweise dann, wenn digitale Währungen eingeführt würden, ein digitaler Franken etwa, oder ein digitaler Dollar. Dann hätten wir alle ein Konto bei der Zentralbank und nicht mehr bei einer Geschäftsbank.
Bereits jetzt schreitet die Digitalisierung des Geldes voran. Ich bin jedoch überzeugt, dass eine dezentrale Lösung aus architektonischer Sicht mehr Sicherheit bietet. Ich denke, dass die Blockchain im Finanzsystem der Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen wird. Denn damit kann man Transaktionen in Echtzeit nachverfolgen. Das sorgt für mehr Transparenz und mehr Resilienz im Laufe der Zeit.

epa10226444 A presentation of a new metaverse-related project at the Thailand Crypto Expo 2022 in Bangkok, Thailand, 06 October 2022. According to the organizers, the four-day Expo aims to introduce i ...
Präsentation an der Krypto-Expo in Bangkok.Bild: keystone

Der Hype über die Blockchains ist eher am Abklingen. Die hochfliegenden Versprechungen haben sich bisher nicht erfüllt.
Dasselbe kann man auch über selbstfahrende Autos sagen oder andere Technologien der nächsten Generation. Auch davon hat man vor ein paar Jahren noch geschwärmt. Doch Innovationen entwickeln sich nicht linear.

Wie dann?
In einer sogenannten J-Kurve. Das bedeutet, dass es zunächst gar zu Rückschritten kommen kann, weil das System noch nicht für die Innovationen gerüstet ist. Wenn dies der Fall ist, dann entwickeln sich Innovationen exponentiell. Sie explodieren förmlich und übertreffen die in sie gesetzten linearen Erwartungen deutlich.

Woran denken Sie konkret?
An das Internet oder an das Smartphone zum Beispiel. Beide hatten einen harzigen Start und siehe da: Die grössten Unternehmen der Welt sind das Ergebnis dieser beiden Megatrends.

Sie sagen, die künftigen, auf der Blockchain basierenden Systeme werden sicherer sein. Was aber ist mit der Hacker-Gefahr?
Derzeit nimmt die Internet-Kriminalität massiv zu. Ich stimme zu: Cyberkriminalität ist eine der grössten Gefahren, die wir in Zukunft bewältigen müssen. Weil immer mehr Bereiche digitalisiert werden, wird diese Gefahr auch nicht so rasch wieder verschwinden. Gerade deshalb sind Blockchain und Dezentralisierung so wichtig. Solche Systeme sind sehr viel schwieriger zu hacken als zentralisierte Monstersysteme.

«Wer sagt, dass Bitcoin die Kryptowährung ist, die sich langfristig durchsetzen wird?»

Dummerweise brauchen diese Systeme jedoch sehr viel Energie. In Zeiten der Klimaerwärmung ist dies suboptimal. Gibt es künftig auf der Blockchain basierende Systeme, die keine Energiefresser sind?
Meiner Ansicht nach ist Bitcoin bis anhin bezüglich Energie sehr ineffizient. Doch Blockchains entwickeln sich. Ethereum beispielsweise hat seinen Energieverbrauch bereits auf einen Bruchteil reduziert. Zudem werden erneuerbare Energien zum Betreiben dieser Systeme eine bedeutende Rolle spielen.

Geschwindigkeit wird ebenfalls ein Thema sein. Im Vergleich zu den grossen Kreditkarten-Unternehmen braucht eine Bitcoin-Transaktion immer noch sehr lange.
Wer sagt, dass Bitcoin die Kryptowährung ist, die sich langfristig durchsetzen wird? Erinnern Sie sich an die Anfangszeiten des Internets? Damals schien die Zukunft America Online (AOL) oder Netscape zu gehören. Wo sind diese Unternehmen heute? Ich denke, dass wir auch in Zukunft ähnliche Entwicklungen erleben werden.

Sind wir nicht zu schnell unterwegs? Selbst Elon Musk hat zusammen mit anderen Tech-Grössen ein Manifest unterschrieben, das zu einem Marschhalt auffordert. Teilen Sie deren Bedenken?
Ich verstehe die Angst. Veränderungen verunsichern die Menschen am meisten, und rasche Veränderungen, wie wir sie derzeit erleben, verstärken diese Verunsicherungen. Trotzdem müssen wir uns im Klaren sein: Auf uns warten Herausforderungen, die wir nur mit technischen Innovationen bewältigen können. KI allein kann dies nicht leisten, und ja, wir brauchen Regeln und Schutzgeländer, die dafür sorgen, dass KI nicht ausser Kontrolle gerät. Auf keinen Fall dürfen wir jedoch die Innovation abwürgen.

FILE - Elon Musk departs the Phillip Burton Federal Building and United States Court House in San Francisco on Jan. 24, 2023. Musk said Wednesday, Feb. 15, that he anticipates finding a CEO for Twitte ...
Fordert einen KI-Marschhalt: Elon Musk.Bild: keystone

Was ist mit dem Verlust der Privatsphäre? Oder mit der Tatsache, dass KI schon heute darüber entscheidet, ob ich einen Job oder einen Kredit erhalte?
Es lässt sich nicht bestreiten, dass heute schon vieles in unserem Leben von Algorithmen bestimmt wird. Viele dieser Algorithmen sind noch zu plump. Ironischerweise brauchen wir gerade deswegen mehr Daten, um sie besser einstellen zu können. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass die Daten, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, auch zerstört werden.

Sie betonen die immense Bedeutung von Innovation. Wenn jedoch immer mehr Bereiche von KI bestimmt werden, dann nimmt auch die Innovation ab. Gleichförmigkeit breitet sich aus, oder nicht?
Nein. Diese Befürchtung hat sich ja auch im Zuge der Globalisierung ausgebreitet. Alle Menschen kaufen die gleichen Dinge, alle Städte sehen gleich aus, etc. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Ja, die Globalisierung hat tatsächlich bis zu einem gewissen Grad die Standardisierung gefördert. Sie hat aber auch dazu geführt, dass die Einzigartigkeit der verschiedenen Kulturen stärker betont wurde. Sehen Sie Netflix beispielsweise: Einige der wichtigsten Shows stammen aus Asien oder Südamerika. Die Gleichmacher-These hat sich nicht bestätigt. Sie wird sich auch mit der KI nicht bestätigen.

Und schliesslich, was ist mit der Mutter aller Ängste, die lautet: KI übernimmt die Macht – und wir Menschen werden im besten Fall noch als Haustiere geduldet?
Ich bin ein grosser Fan von Science Fiction, ich kenne Matrix, Terminator und wie sie alle heissen. Die Ängste, die in diesen Filmen zum Ausdruck kommen, sind eine Überreaktion. Wir Menschen werden die Kontrolle behalten. Das könnte sich nur dann ändern, wenn es zu einer Singularität kommt, wenn menschliche Intelligenz und KI miteinander verschmelzen. Sollte es je dazu kommen, dann sind wir noch mindestens 200 Jahre davon entfernt.

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127 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mad Heidi
09.04.2023 08:12registriert März 2019
„Trotz KI werden wir Menschen die Kontrolle behalten“.

Das mag sogar stimmen. Angst macht mir, welche Menschen das sein werden.
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Swen Goldpreis
09.04.2023 07:54registriert April 2019
Ich kann meinen Gedanken noch nicht so klar formulieren, aber ich glaube, das grösste Problem an KI ist das Mindset, das die Leute haben, die die Entwicklung vorantreiben. Das sind nicht etwa Menschen, die das Gute für die Gesellschaft wollen, sondern teilweise widerliche Geschäftsleute wie Musk, aber auch MBAler, die nichts anderes als wirtschaftliche Rationalisierung kennen und uns des Profits willen in eine menschenverachtende standardisierte Zukunft führen, die keinen Platz mehr hat für Kunst und Kreativität.
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