Wir fassen die Anfänge von Elon Musks Twitter-Odyssee ganz kurz zusammen: Am 4. April wird bekannt, dass Musk einen Anteil von 9,2 Prozent an Twitter erworben hat, was ihn zum grössten Aktionär macht. Zehn Tage später kündigt er an, Twitter zu einem Preis von 54.20 Dollar pro Aktie kaufen zu wollen. Sein erklärtes Ziel: mit dem aussergewöhnlichen Potenzial Twitters die Meinungsfreiheit und Demokratie in der Welt zu fördern.
Es folgt ein langes Hin und Her: Musk will Twitter doch nicht kaufen, Twitter klagt Musk an, Musk reicht eine Gegenklage ein, das Gericht gibt den Streithähnen bis zum 28. Oktober Zeit, den Deal zum Abschluss zu bringen.
Kurz vor Ablauf dieser Frist taucht Musk am 26. Oktober im Twitter-Hauptsitz auf und läutet damit für die Twitter-Community einige höchst turbulente Tage ein. Eine Übersicht.
💩
— Elon Musk (@elonmusk) May 16, 2022
Mit einem Lavabo in den Händen taucht Tesla-Gründer Elon Musk am 26. Oktober im Twitter-Hauptsitz in San Francisco auf. Kommentieren tut er seinen Auftritt auf Twitter mit «Let that sink in» («Lass das mal sacken»). Ein Wortspiel, das auf Deutsch leider nicht funktioniert.
Ob der Deal um die Twitter-Übernahme damit finalisiert ist, ist nicht klar. Musk ändert allerdings seine Twitter-Profilbeschreibung und bezeichnet sich neu als «Chief-Twit».
Auch am darauffolgenden Tag, dem 27. Oktober, ist der Deal noch nicht offiziell verkündet. Das hält den Tesla-Gründer allerdings nicht davon ab, sich bereits ins Geschäft von Twitter einzuschalten.
In einem offenen Brief an Twitters Anzeigenkunden erläutert der Tesla-Chef noch einmal seine Motive für den 44 Milliarden US-Dollar schweren Deal und tritt Bedenken entgegen, dass die Plattform zu einem Hort von Hetze und Hassbotschaften werden könnte.
Er spuckt grosse Töne:
Der Kauf sei nicht aus Geldgründen erfolgt, sondern aus Liebe gegenüber der Menschheit, der er helfen wolle.
Dear Twitter Advertisers pic.twitter.com/GMwHmInPAS
— Elon Musk (@elonmusk) October 27, 2022
In der Nacht zum Freitag wird dann bekannt, dass Musk bereits mit Entlassungen in der Chefetage begonnen haben soll. Wie später bestätigt werden wird, müssen etwa der bisherige Firmenchef Parag Agrawal und Finanzchef Ned Segal ihren Platz räumen.
Am 28. Oktober ist es so weit: «Der Vogel ist befreit.» Mit diesen Worten verkündet Musk den Kauf von Twitter und die Beilegung des damit einhergegangenen Rechtsstreits. Twitter informiert die US-Wertpapieraufsicht SEC über den Rückzug von der Börse und bestätigt damit den Vollzug der Übernahme.
the bird is freed
— Elon Musk (@elonmusk) October 28, 2022
Der frisch gebackene Twitter-Besitzer schreitet sofort mit neuen Massnahmen zur Tat. So will er beispielsweise ein neues Gremium zum Umgang mit kontroversen Inhalten schaffen. Bevor ein solcher Rat zusammentrete, werde es keine grossen Entscheidungen zur Inhalte-Politik oder zu der Wiederherstellung von Accounts geben, verkündet Musk auf Twitter.
Twitter will be forming a content moderation council with widely diverse viewpoints.
— Elon Musk (@elonmusk) October 28, 2022
No major content decisions or account reinstatements will happen before that council convenes.
Apropos Moderation: Mit Musks Übernahme von Twitter sind auch die Spekulationen über ein Comeback von Donald Trump entbrannt. Musk hat die Sperre des ehemaligen US-Präsidenten in der Vergangenheit nämlich als «moralisch falsch und einfach nur dumm» bezeichnet.
Doch der ehemalige US-Präsident hat gar keinen Bock, wie er zu Fox News sagt. Er wolle nicht zu Twitter zurückkehren, auch wenn dies mit Elon Musk als neuem Eigentümer möglich werden sollte. Stattdessen werde er bei seinem eigenen Dienst Truth Social bleiben. «Es gefällt mir hier mehr», erklärt Trump. «Ich mag Elon, aber ich bleibe bei Truth.»
Er wünscht Musk viel Glück, wirft aber ein: «Ich denke nicht, dass Twitter ohne mich erfolgreich sein kann.»
Mit der Twitter-Übernahme sind unzählige Trolle aus ihren Löchern gekrochen, um die Grenzen von Musks angekündigter «Free Speech» zu testen. Dazu veröffentlichen sie sogenannte Test Tweets, die hauptsächlich aus Beleidigungen und Behauptungen zu Musk bestehen. Zum Beispiel:
Elon Musk has sex with farm animals.
— Adam Parkhomenko (@AdamParkhomenko) October 28, 2022
(This is a test tweet)
Doch nicht nur das: Wie die Washington Post berichtet, ist der Gebrauch des N-Worts auf Twitter innerhalb von 12 Stunden nach Abschluss der Übernahme um 500 Prozent gestiegen.
Musk veröffentlicht daraufhin einen Tweet, in dem er betont, dass noch keine Änderungen in der Inhaltsmoderation vorgenommen worden seien.
To be super clear, we have not yet made any changes to Twitter’s content moderation policies https://t.co/k4guTsXOIu
— Elon Musk (@elonmusk) October 29, 2022
Am 30. Oktober sind es wieder Musks eigene Tweets, die für Aufruhr sorgen. Diesmal allerdings nicht in Zusammenhang mit seiner neuen Position als Twitter-Besitzer. Stattdessen provoziert er mit der Verbreitung einer Verschwörungstheorie zum Angriff auf den Ehemann der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi. «Es gibt die winzige Möglichkeit, dass bei dieser Geschichte mehr dahintersteckt», schreibt der Milliardär zu dem weitergeleiteten Link. Wenige Stunden später löscht er den Tweet wieder.
Nachdem Musk bereits das Topmanagement vor die Tür gesetzt hat, wird am 31. Oktober bekannt, dass auch der Verwaltungsrat dran glauben musste. Alle neun Mitglieder des Verwaltungsrates hätten ihre Posten aufgegeben, verkündet Twitter. Zum bislang einzigen neuen Mitglied ernennt Musk sich selbst.
Am 1. November verkündet Musk eine höchst unpopuläre Änderung: Die begehrten weissen Häkchen auf einem blauen Verifikationsabzeichen sollen künftig in den USA acht Dollar im Monat kosten.
Bislang hatte Twitter die Symbole mit dem Häkchen, die die Echtheit des Twitter-Profils garantieren, kostenlos vergeben. Vor allem die Konten von Prominenten, Unternehmen sowie Nutzern mit vielen Followern, etwa Politiker oder Journalisten, wurden damit gekennzeichnet.
In der Vergangenheit hatte es aber immer wieder kontroverse Diskussionen um die Verifizierung gegeben, da die Vergabekriterien für viele User nicht transparent genug waren. Auch Musk ist kein Fan dieses Systems, wie er auf Twitter unverhohlen verkündet:
Twitter’s current lords & peasants system for who has or doesn’t have a blue checkmark is bullshit.
— Elon Musk (@elonmusk) November 1, 2022
Power to the people! Blue for $8/month.
Musk will den Verifizierungshaken und andere Vorteile in das bestehende Abo «Twitter Blue» integrieren, das bislang Lesezeichen, einen besonderen Lesemodus sowie die Möglichkeit zur Korrektur eines bereits gesendeten Tweets umfasst. Es ist bislang aber nur in Kanada und den USA verfügbar und kostet knapp fünf Dollar. Für das erweiterte Abo waren zwischenzeitlich Preise von bis zu 20 Dollar pro Monat im Gespräch.
Für die bald kostenpflichtigen Häkchen hagelt es Kritik. Musk lässt sich davon aber nicht beeindrucken:
To all complainers, please continue complaining, but it will cost $8
— Elon Musk (@elonmusk) November 2, 2022
Kritiker hatten sich aber nicht nur an dem Preis für die Verifizierung gestört. So befürchten sie unter anderem, dass der eigentliche Zweck des Verifizierungshäkchens gefährdet werden könnte. Dieses war nämlich bislang dazu da, die Echtheit eines Kontos zu garantieren.
Mit der Entlassung der Chefetage und des Verwaltungsrates war die Sache scheinbar noch nicht gegessen. Musk soll nun die Streichung von etwa 3700 Arbeitsplätzen ins Auge fassen, wie Bloomberg berichtet. Damit wolle er versuchen, die Kosten der Übernahme tief zu halten. Denn obwohl Elon Musk einer der reichsten Menschen der Welt ist, konnte er den 44 Milliarden US-Dollar teuren Twitter-Kauf nicht selber stemmen. Neben seinem eigenen Vermögen musste er für den Kauf Bankkredite aufnehmen und andere Investoren an Bord holen.
Die Entlassung von 3700 Mitarbeitenden kommt der Hälfte aller Arbeitskräfte bei Twitter gleich. Die betroffenen Mitarbeitenden sollen am Freitag darüber informiert werden.
Musk fühlt derweil den Twitter-Usern mit einer kleinen Abstimmung auf den Zahn. Er möchte wissen, was Werbungtreibende unterstützen sollten: Redefreiheit oder politische Korrektheit.
Advertisers should support:
— Elon Musk (@elonmusk) November 2, 2022
Ob er aber wirklich auf die Meinung der User hören wird, bleibt fraglich.
(mit Material der Nachrichtenagenturen sda, dpa und awp)