Seit Ende 2024 ist Elon Musk wieder reichster Mann der Welt. Er überholte im letzten Jahr den Franzosen Bernard Arnault. Dieser ist Eigentümer und CEO von LVMH, dem weltweit grössten Luxusgüter-Konzern. Im Gegesatz zu Musk erlebte Arnault finanziell kein gutes Jahr: Vor allem aufgrund von Börsenverlusten seines Konzerns war er Ende 2024 gemäss Schätzungen mehrere Milliarden «ärmer» als zu Beginn des Jahres. Er verlor damit so viel wie kein anderer Milliardär.
Arnaults monströse Verluste stehen sinnbildlich für eine gröbere Krise in der Luxusgüter-Branche. Das letzte Jahr war dabei das schlechteste für die Industrie seit der Finanzkrise 2007/2008, so die «Financial Times». Andere sprechen gar von einer «Todesspirale», in der sich die Luxusgüter-Branche befindet.
Wie steht es wirklich um die Dior, Gucci, Rolex und Co.? Wir haben bei einem Experten nachgefragt. Er sagt: Es ist eine schwierige Zeit für die Branche – die Unternehmen sind aber auch selber Schuld.
«Was einst eine subtile Verschiebung war, scheint nun ein vollwertiger Einbruch zu sein», schrieb «Forbes» im Dezember. Das renommierte Wirtschaftsmagazin bezog sich damit auf die gesamte Luxusgüterindustrie: «Seit dem Frühjahr hat sich der Abschwung in allen Bereichen [...], einschliesslich Mode, Accessoires, Uhren, Autos und sogar Beauty, drastisch verschärft.»
Die beiden Branchenführer aus Frankreich, die Konzerne LVMH (Louis Vuitton, Dior, Marc Jacobs, Givenchy, und viele mehr) und Kering (Gucci, Balenciaga, Yves Saint Laurent, ...) vermeldeten im letzten Jahr negative Wachstumszahlen. Dasselbe gilt für Burberry und Capri Holdings (Michael Kors, Versace, Jimmy Choo). Auch die Richemont-Gruppe, die ihren Sitz in der Schweiz hat, schrieb im ersten Halbjahr des Geschäftsjahrs 2024/25 weniger Umsatz und Gewinn.
Was sind die Gründe? In den amerikanischen Medien ist von China die Rede, wo das Geschäft besonders schlecht läuft, von Unsicherheit über die kommende Trump-Amtszeit und von der Inflation. Eine Journalistin in der NYT glaubt, der Hauptgrund ist ein anderer: «Die wachsende Erkenntnis, dass viele Luxushäuser mit den Prinzipien, die sie so erfolgreich gemacht haben, gebrochen haben.»
Fragt man Frank Müller, Markenberater und Dozent in Luxury Management, trifft alles ein bisschen zu. Er ist zudem überzeugt, dass der Einbruch struktureller und nicht nur konjunktureller Natur ist – er also länger anhalten wird als nur ein paar Quartale. Müller zählt fünf Gründe auf, wieso das so ist.
Der Luxusbranche ging es sehr, sehr lange prächtig. In Zahlen ausgedrückt: Für die grossen Marken lagen über die letzten 20 Jahre jährlich Wachstumsraten von etwa 6 Prozent drin – im Durchschnitt. Das ist, gerade im Vergleich zu anderen Branchen oder zum durchschnittlichen Wachstum einer Volkswirtschaft, enorm.
Dieses Wachstum wurde durch mehrere Trends beflügelt, erklärt Frank Müller. Dazu gehören: Internationalisierung, Digitalisierung (heisst: Online-Shops), Heimlieferung und das sogenannte Retailing, also die Eröffnung von immer mehr eigenen Geschäften an immer mehr Standorten, wo ausschliesslich die eigenen Produkte vertrieben werden können.
Doch Wachstumstreiber wie diese scheinen langsam ausgeschöpft. Den Wertschöpfungsbereich vergrössern und damit mehr vom Umsatz behalten, sprich: Zulieferer einfach aufkaufen oder eben einen eigenen Shop eröffnen, statt von Jelmoli und Co. die Kleider verkaufen zu lassen – die Betriebswirtschaftslehre spricht hier von «vertikaler Integration». Und Luxus-Experte Müller sagt: «Der Effekt dieser vertikalen Integration ist verpufft.»
Das stellt die Firmen vor grössere Herausforderungen, denn, so Müller: Das Geschäftsmodell sei eben nicht mehr «easy growth» also Wachstum, das einfach zu erreichen ist, sondern vielmehr ein Kampf um Marktanteile. «Diese Denkweise ist für diese Unternehmen nicht einfach, denn sie kommt mit komplett neuen Herausforderungen.»
Es sei aber wichtig zu betonen: «Luxus ist nicht gleich Luxus», so Müller, denn nicht alle Unternehmen gingen gleich gut – oder gleich schlecht – mit diesen Herausforderungen um:
Inwiefern diese Unterschiede immer augenscheinlicher werden, zeigt auch folgende Entwicklung.
Im oben angesprochenen Artikel der NYT beklagt die Autorin eine Preisinflation in der Luxusgüterbranche bei immer schlechter werdender Qualität: die gleiche Prada-Handtasche, die in wenigen Jahren über 100 Prozent teurer wurde, die sündhaft teuren Marc-Jacobs-Schuhe, bei denen dann der Absatz abfällt, oder das Chanel-Täschchen, das 2019 noch 5800 Dollar kostete und heute 10'800 – aber zunehmend Gegenstand von Qualitätsbeschwerden wird.
Während die exorbitante Preisinflation, die weit über derjenigen von anderen Gütern liegt, ausser Frage steht, könne die Qualitätsabnahme empirisch zwar nicht bewiesen werden, sagt Frank Müller. Es gebe aber durchaus bekannte Beispiele, die diese These stützen. Dazu gehört die Meldung über einen Produzenten von Dior – das übrigens seit 2023 von Arnaults Tochter Delphine geführt wird –, gegen den die italienische Justiz ermittelt. Der Vorwurf: Ausbeutung von chinesischen Arbeiterinnen in einem Sweatshop in Italien, um die eigene Marge von Christian-Dior-Taschen zu steigern.
Dass die Kluft zwischen verkaufter Menge und Preisen grösser wird, kann auch bei Schweizer Firmen wie Swatch beobachtet werden. Der Uhrenkonzern steht seit geraumer Zeit massiv unter Druck, präsentiert immer wieder Zahlen unter den Erwartungen. Entsprechend hat die Swatch-Aktie in den letzten fünf Jahren fast 40 Prozent an Wert verloren.
Es sind vor allem diejenigen Marken, die in den letzten Jahren besonders auf Kommerzialisierung und Volumen setzten, die jetzt die grösste Mühe haben. Demgegenüber stehen aber auch Unternehmen, die nach wie vor sehr gut dastehen. Und dies nicht zufällig, wie Müller meint. Ausnahmen seien Marken wie Hermès, Rolex oder Ferrari.
Was machen solche Marken besser? Hermès, zum Beispiel, verzichtete grösstenteils auf horrende Preissteigerungen. Gemäss NYT stieg der Preis einer «Birkin 30 bag» in «Togo-Leder» zwischen 2019 und 2024 «nur» um 15 Prozent. Die Birkin Bag – das ist die Tasche, die man nur durch gewisse Privilegien und nach langer Wartezeit kriegt. Den Preis zwischen ein paar Tausend und einigen Hunderttausend Dollar muss man aber trotzdem noch hinblättern. Allerdings: «Die Tasche basiert auf Handarbeit, die Qualität blieb über die Jahre dieselbe. Eine Birkin Bag ist noch immer eine Birkin Bag», erklärt Luxus-Experte Müller.
Rolex derweil ist sehr diszipliniert im Branding: Seit Jahrzehnten vermittle die Marke die eine zentrale Botschaft, dass der Genfer Zeitmesser mit der Krone das Symbol des persönlichen Erfolgs seines Trägers oder seiner Trägerin ist. «Oder anders formuliert: Rolex ist Status pur.» Zudem ist das Gütesiegel eines Schweizer Uhrwerks so schnell nicht zu ersetzen.
Es ist also auch eine Frage der Luxuskategorie: «Während die Superreichen nach wie vor ausgeben, als befänden sie sich in einer eigenen Gravitationsbahn, halten sich die anspruchsvolleren Verbraucher, die den wichtigen Teil des Marktes für ‹Massenluxus› ausmachen, zurück», schreibt die «Financial Times». Das sehe man auch am Markt für Yachten und Privatjets, der noch immer gut läuft.
Doch Konsumentinnen und Konsumenten, die zuvor bereit waren, 500 Euro für eine Marken-Tasche auszugeben, sind dies immer weniger. Das liegt, gerade in Europa und den USA, auch am inflationsbedingten Kaufkraftverlust. Der Luxusmarkt ist ein Stimmungsmarkt – und die Konsumentenstimmung ist gerade nicht die beste. In den USA kommt zudem die grosse Unsicherheit hinzu, die vor dem Amtsantritt Donald Trumps herrscht.
Das grösste Sorgenkind von allen liegt allerdings im Fernen Osten. Bei den meisten Unternehmen sind die Verkäufe aus China am stärksten eingebrochen, und es sieht nicht danach aus, als würden sie sich in nächster Zeit erholen. «Das Stichwort lautet ‹Guochao› – das neue chinesische Selbstbewusstsein und der Trend Chinas hin zum kulturellen Nationalismus, der auch die Luxusgüterindustrie erfasst», erklärt Frank Müller.
China ist im Begriff, seine eigene Luxus-Branche aufzubauen. Und diesmal werden Marken im «High-End»-Bereich – also die teuerste Kategorie – aufgebaut, also solche, die nicht die breite Masse ansprechen, sondern die Reichsten der Reichsten. Das betreffe weniger den Bereich Uhren, so Müller, dafür umso mehr den Bereich Mode und Autos.
Die Kommerzialisierung und das Wachstum im verkauften Volumen offenbart ein weiteres Problem für die grossen Marken. Experte Müller beschreibt es so: «Es gibt kein episches Storytelling mehr.» Was er damit meint, ist, dass Konsumenten weltweit «gescheiter und selbstbewusster werden und sich besser spüren». Da hilft allzu kommerzielles Denken bei der Vermarktung irgendwann nicht mehr.
Das hat indirekt auch mit dem sogenannten Prestigeeffekt zu tun: Die nachgefragte Menge nach Gütern kann auch dann steigen, wenn der Preis steigt. Das widerspricht eigentlich den gängigen VWL-Theorien, ist aber bekanntermassen im Luxusbereich oft der Fall. Unter diesem Prinzip stehen höhere Preise für etwas, das entweder sehr kostbar und edel ist oder schwer zu kriegen.
Doch Luxus sei mittlerweile allgegenwärtig geworden, schreibt die NYT-Journalistin, und die Preissteigerungen dienten zunächst dem Zweck, dass die ‹falschen Menschen› mit dem Kaufen aufhören:
Das mit den Preissteigerungen ging so lange gut, als die Leute auch bereit waren – oder das Geld dazu hatten – mitzumachen. Doch irgendwann offenbarte sich ein Problem: Die Produkte waren weder edler noch schwerer zu kriegen als vorher – oft im Gegenteil, der Prestigeeffekt spielte nicht mehr so zuverlässig. Denn die Kommerzialisierung führte auch zum Aufkommen von zahlreichen Outlets. Luxusexperte Müller: «Zumindest bei weniger professionellen Marken stiegen die Preise offiziell – fielen aber inoffiziell, also auf Sekundärmärkten.»
Die Folge: Ende 2023 wurden etwa 13 Prozent aller Luxusgüter in einem Discount- oder Outlet-Geschäft gekauft. Zehn Jahre zuvor waren es lediglich 5 Prozent. Nicht zu vergessen: Wenn überschüssige Produkte an wenig glamourösen Orten verkauft werden, kann das der Wahrnehmung einer Marke extrem schaden – so sehr, dass Unternehmen überschüssige Produkte auch mal wortwörtlich abfackeln, um ein solches Schicksal zu vermeiden.
Nicht zuletzt gerät auch die Luxusbranche zunehmend unter Druck durch das, was im Fachjargon unter ESG bekannt ist: Environmental, Social und Governance (auf Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Schliesslich können sich auch die Reichen und Schönen nicht ewig vor Umweltproblemen und Klimakrise drücken. Gerade die Brände in Los Angeles, so Frank Müller, zeigten uns doch: «Auch The Rich and Famous sind verletzlich.»
Auch Kundinnen und Kunden, die Öffentlichkeit und die Medien machen zunehmend Druck auf die Branche. Darauf zu reagieren, gewisse Standards einzuhalten und Lieferketten nachhaltiger zu gestalten, kostet Geld. Wo wir schliesslich wieder beim Problem wären, dass die Kundschaft ein Produkt irgendwann als zu teuer empfindet. Entweder das – oder die Margen der Unternehmen werden noch weiter sinken müssen.
Angesichts der Klimakrise müsste man sich aber sowieso fragen: Ist Luxus an sich nicht völlig anachronistisch – also verschwenderisch, dekadent, den Planeten belastend und damit längst aus der Zeit gefallen? Müller sagt:
Trotzdem ist er überzeugt: «Es wird den Luxus immer geben, der Mensch ist einfach so gesteuert. Aber der Konsum wird anders aussehen.» Was heisst das alles für die Branche und ihre langfristige Entwicklung? Müller glaubt, dass nach wie vor gute Jahre mit wieder gutem Wachstum möglich sind. Im Schnitt rechnet er langfristig aber mit etwa halb so grossen Wachstumsraten, und glaubt nicht mehr an die starken Phasen, die die letzten 20 Jahre möglich waren. In jedem Fall scheint klar: «Die Industrie macht einen Fehler, wenn sie glaubt, es handle sich hier nur um eine industrielle Delle – und nicht um ein strukturelles Problem.»