Die Spekulation mit Nahrungsmitteln ist des Teufels. Wir – also die Hochfinanz im Westen – spielen an den Börsen mit den Grundnahrungsmitteln der Ärmsten, treiben die Preise in die Höhe, streichen die Gewinne ein, während die Menschen in Afrika verhungern. So sehen es die Kritiker, die seit Jahren jedwede Form der Spekulation mit Agrarrohstoffen anprangern und einen Verzicht des Handels mit entsprechenden Finanzprodukten fordern. Auch in der Schweiz. «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» fordern die Jungsozialisten zusammen mit den Hilfswerken Swissaid und Solidar Suisse in einer Initiative, die heute eingereicht wird.
Bloss, haben sie recht? Falsch liegen sie nicht, dennoch ist die Sache weitaus komplexer als bis anhin dargestellt. Klar ist: Die Spekulation mit Agrarrohstoffen beschert weder den Banken fette Gewinne, noch trägt sie zur globalen Versorgungssicherheit bei. Warum also braucht es dieses Geschäft, das niemand reicher macht und gleichzeitig starke Preisschwankungen auf den Märkten verursachen kann? Darüber wird in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kontrovers debattiert.
Ein Blick zurück schärft das Verständnis für die heutige Debatte. Im Zentrum stehen dabei die massiven Preissprünge bei Grundnahrungsmitteln in den vergangenen Jahren. So verzeichnete der von den Vereinten Nationen berechnete Nahrungsmittelpreisindex zwischen 2006 und 2008 eine Preissteigerung von 71 Prozent bei den Grundnahrungsmitteln. Für Reis und Getreide betrug die Steigerung gar 126 Prozent. Besonders betroffen von diesen Preisausschlägen waren Entwicklungs- und Schwellenländer – mit dramatischen Folgen: Es kam zu globalen Hungersnöten. In über 30 Ländern gingen Millionen Menschen auf die Strasse und protestierten gegen die hohen Lebensmittelpreise.
Die Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) schätzt, dass die Krise zwischen 2006 und 2008 für rund 80 Millionen Menschen Hunger und Elend bedeutete. Gemäss dem Diskussionspapier von Joachim von Braun und Getaw Tadesse nahm die Armut in Pakistan auf einen Schlag um 35 Prozent zu und in Äthiopien mussten die Menschen ihren Kalorienkonsum um einen Viertel reduzieren. Laut Schätzungen der Weltbank stieg die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen um etwa 130 bis 155 Millionen.
Die Preise für Grundnahrungsmittel erreichten in dieser Zeit einen 30-jährigen Höchststand. Seitdem sind sie weiter gestiegen. Eine weitere Preisspitze war 2010/11 zu beobachten, wie die folgende Grafik zeigt.
Die Agrarpreise unterliegen seit jeher starken Schwankungen und sind selten stabil. Zum Teil sind die Preisentwicklungen von realwirtschaftlichen Faktoren getrieben. Dazu zählen:
Um Preisschwankungen, im Börsenjargon Volatilität genannt, abzufedern, wurden die Terminmärkte erfunden. Mit Hilfe eines Termingeschäfts, also eines Future-Kontrakts, kann ein Bauer seine erwartete Ernte bereits heute am Markt zu einem festen Preis anbieten, das Geschäft selbst wird erst ein paar Monate später abgewickelt. Damit sichert sich der Bauer gegen einen Preissturz ab und hat bereits einen sicheren Abnehmer gefunden. Das beschert Käufern wie Verkäufern Planungssicherheit und sorgt für Preisstabilität.
Was sich jedoch zwischen 2006 und 2008 abspielte und schliesslich 2010 wiederholte, kann alleine anhand von realwirtschaftlichen Faktoren nicht erklärt werden. Die Preisausschläge – das ist heute gesichertes Wissen – wurden durch den spekulativen Handel mit Nahrungsmitteln auf den globalen Finanzmärkten angetrieben. Wie kam es dazu?
Seit den 1990er-Jahren hat sich der Handel mit Agrarrohstoffen fundamental verändert. Grund dafür ist die Deregulierung der Rohstoff-Finanzmärkte Ende der 90er-Jahre durch die USA. Derivate-Deals wurden von der Aufsicht freigestellt, Beschränkungen für den Handel mit Energie-Futures aufgehoben und die Chicago-Terminbörse lockerte die Positionslimiten für die Händler.
Das ermöglichte Banken, Hedgefonds und Versicherungen verstärkt im Sektor des Agrarrohstoffhandels zu spekulieren. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 2007, die mit der US-Immobilienblase verknüpft war, wandten sich die Investoren von den Immobilien ab und verlegten sich auf die Nahrungsmittelspekulation. Ein Zahlenbeispiel illustriert diese Verschiebung: 2003 waren Finanzinvestoren mit 13 Milliarden Dollar auf den Rohstoff-Derivatemärkten investiert, im Frühjahr 2013 waren es 33 Mal mehr – nämlich 430 Milliarden Dollar.
Wenn nicht mehr Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, werden falsche Signale an die Produzenten gesendet, was dramatische Folgen wie Über- oder Unterproduktion haben kann. Das wiederum führt zu starken Preisschwankungen, einer hohen Volatilität. Was zwischen 2006 und 2008 auf den globalen Agrarrohstoffmärkten zu beobachten war, liegt auch im spekulativen Verhalten der Hochfinanz begründet.
Seit Jahren wird in der Wissenschaft (mehr oder weniger seriös) darüber gestritten, wie sich die Spekulation mit Agrarrohstoffen auf die Grundnahrungsmittel-Preise auswirkt. Etwas Ruhe in die Sache bringen nun unsere östlichen Nachbarn. Die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) und das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) haben kürzlich den ersten Teil eines breit angelegten Forschungsprojekts «Finanzmärkte und der Rohstoffboom – Auswirkungen auf Entwicklungsländer» abgeschlossen.
Die Forscher stellen fest:
Die Zocker, im Börsenjargon Money Manager genannt, sind die Hauptakteure im Nahrungsmittel-Casino. Darunter zu verstehen sind Hedgefonds, professionelle Handelsberater sowie Banken und Wertpapierfirmen, die Eigenhandel betreiben. In den Krisenjahren haben die Money Manager stark an Bedeutung gewonnen. «(...) seit 2006/07 sind die Preisveränderungen bei den verschiedenen Rohstoffen zu zehn bis 50 Prozent durch die Money Manager verursacht worden», kommen die Forscher zum Schluss.
Und bezüglich des Weizenmarkts halten die Studienautoren fest, dass «die fundamentalen Faktoren von Angebot und Nachfrage nach Weizen noch in den 90er-Jahren bis 2006/07 die Preisentwicklung erklären konnten». Doch seither hätten Spekulanten die Preise zusätzlich beeinflusst. Mit anderen Worten: Exzessive Spekulation führt zu Blasen. Diese gefährden das Funktionieren der Warenterminmärkte, erhöhen die Preisschwankungen und können zu Hungersnöten führen.
Auch die Schweizer Banken spielen im Nahrungsmittel-Casino um Cash. Laut Recherchen der Nichtregierungsorganisationen «Brot für alle», «Fastenopfer» und «Alliance Sud» beliefen sich die Investitionen von zehn Schweizer Banken auf landwirtschaftliche Produkte im Jahr 2013 auf rund 3,6 Milliarden Franken. An der Spitze steht die Credit Suisse mit einem Investitionsvolumen von rund 2,5 Milliarden Franken, gefolgt von der UBS und der Bank Sarasin mit je rund 350 Millionen Franken.
In Europa zogen sich inzwischen mehrere Banken medienwirksam aus dem spekulativen Handel mit Agrarrohstoffen zurück. Von den Kommunikationsabteilungen wurden die Ausstiege gerne als Geschichten einer Läuterung verpackt. Allerdings handelt es sich bei den Aussteigern auch um die Banken, bei denen die Rohstoffanlagen ohnehin nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
In der Schweiz tut sich derweil wenig. Zwar haben die Credit Suisse und die Zürcher Kantonalbank (ZKB) einen Teilausstieg beschlossen, ganz vom Handel mit Rohstoff-Derivaten absehen wollen aber beide nicht.
Sie argumentieren, dass die Wissenschaft keine abschliessende Antwort darauf geben könne, ob der Handel mit entsprechenden Papieren die Grundnahrungsmittelpreise massgeblich beeinflusse. Die UBS ebenso wie die Bank Julius Bär und Bank Vontobel sehen von einem Rückzug aus der Nahrungsmittelspekulation gänzlich ab.Unter den G20-Staaten herrscht Konsens darüber, dass der Agrarrohstoffhandel re-reguliert werden muss. Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftshistoriker, Hans-Heinrich Bass, plädiert in seiner Studie für «Foodwatch» für folgende Massnahmen:
In einem globalen Markt können nur internationale Standards dafür sorgen, dass Hungersnöte – mit-ausgelöst durch die Spekulation mit Nahrungsmitteln – nicht mehr vorkommen. Darüber herrscht in Wissenschaft und Politik Einigkeit und das sieht auch der Bundesrat so. Doch die Schweizer Regierung tut sich schwer mit dem Thema, wie die Ende 2013 gestartete Vernehmlassung für ein neues Bundesgesetz über die Finanzmarktinfrastruktur (FinfrG) zeigt.
Abwarten und Tee trinken ist die Devise. Der Bundesrat will erst dann entscheiden, wenn die EU über allfällige Massnahmen befunden hat. Die Finanzbranche mahnt derweil, keinen «Swiss-Finish» anzustreben, weil dies dem Finanzplatz schaden könnte. Diese Pattsituation wird nun mit der Initiative der Jungsozialisten durchbrochen. Sie will es den hiesigen Finanzinstituten per Verfassung verbieten, «direkt und indirekt in Finanzinstrumente zu investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen». Kommt das Begehren zustande, entscheidet das Volk, ob der spekulative Handel mit Nahrungsmitteln per Verfassungsartikel verboten wird.