Herr Kalt, wovor müssen wir uns derzeit mehr fürchten, vor einem «Grexit» oder vor einem Börsencrash in China?
Daniel Kalt: China ist die sehr viel bedeutendere Volkswirtschaft. So gesehen macht mir ein Wachstumseinbruch in China eindeutig mehr Angst. In Griechenland werden gerade mal knapp zwei Prozent der gesamten europäischen Wirtschaftsleistung erarbeitet. Griechenland ist kein ökonomisches, sondern ein politisches Problem.
Abgesehen von Griechenland: Wie steht Europa wirtschaftlich da?
Eigentlich ganz gut. Die europäische Wirtschaft befindet sich mitten in einem Aufschwung. Der schwache Euro hilft enorm. Zudem können ehemalige Sorgenländer wie Spanien und Irland erste Erfolge vorweisen.
Was ist mit China?
Das macht mir deutlich mehr Sorgen. Das Wachstum verlangsamt sich, was teilweise gewollt ist, und an den Finanzmärkten sehen wir ein enormes Auf und Ab.
Stellen die politischen Turbulenzen um Griechenland nicht auch den wirtschaftlichen Aufschwung wieder in Frage?
Das hängt davon ab, wie gut es der Europäischen Zentralbank (EZB) gelingen wird, mögliche Ansteckungsgefahren auf andere Länder im Keime zu ersticken. Die Reaktion der Finanzmärkte auf das Nein der Griechen vom Sonntag zeigt, dass man keineswegs in Panik verfällt. Generell scheint man der EZB zu vertrauen und ist offenbar gut für einen möglichen «Grexit» gewappnet.
Die Gelassenheit der Finanzmärkte steht in krassem Gegensatz zum spürbar härteren Ton in der Politik. Kann das gut gehen?
Derzeit kann ich keine Anzeichen entdecken, dass sich die Finanzmärkte von der Politik beeindrucken lassen. Europa hat sehr viel Geduld mit Griechenland gehabt. Auch nach dem Nein wird nach Lösungen gesucht.
«Grexit» und chinesischer Börsencrash: Wird die Schweiz erneut zu einem Geld-Fluchthafen?
Das können wir nicht beobachten. Der Franken ist in den letzten Tagen nicht stärker geworden. Man vertraut der EZB und ihren Schutzwällen, die sie aufgezogen hat.
Trotzdem befindet sich die Schweiz wegen dem Frankenschock wahrscheinlich in einer leichten Rezession. Wie gefährlich ist das?
Die Schweizer Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren sehr kräftig entwickelt. Deshalb ist dieser Einbruch nicht dramatisch. Das heisst nicht, dass es im Einzeln nicht zu Auslagerungen und Stellenabbau kommen kann, vor allem in der Industrie. Aufs ganze Jahr gesehen rechnen wir bei der UBS für die Schweizer Volkswirtschaft mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 0,5 Prozent.