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Wie die Kämpfe im Sudan Cola, Pepsi und Co. in die Krise stürzen können

Wie die Kämpfe im Sudan Cola, Pepsi und Co. in die Krise stürzen können

Für uns ist E414 nur eine Lebensmittelbezeichnung, für Millionen von Menschen im Sudan bedeutet der Rohstoff Existenz – bis jetzt. Denn die Machtkämpfe verschärfen den Niedergang der wichtigen Industrie des Landes. Und dies hat weltweite Auswirkungen.
16.07.2023, 06:0517.07.2023, 09:41
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Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich – dieses Bonmot, das fälschlicherweise Mark Twain zugeschrieben wird, bewahrheitet sich einmal mehr.

Als der Sudan 2007 wegen des blutigen Darfur-Konflikts mit westlichen Sanktionen belegt wurde, sprach der sudanesische Botschafter John Ukec Lueth Ukec eine unmissverständliche Drohung aus. Er hielt eine Flasche Coca-Cola in die Höhe und machte klar: Der Sudan ist der wichtigste Produzent von Gummi arabicum – einem Bindemittel, ohne das viele Produkte nicht auskommen. Unverblümt teilte er mit, dass er die Produktion problemlos einstellen könne.

Droht dem Westen mit einer Cola-Flasche: Botschafter John Ukec Lueth Ukec an der Pressekonferenz im Jahr 2007.
Droht dem Westen mit einer Cola-Flasche: Botschafter John Ukec Lueth Ukec an der Pressekonferenz im Jahr 2007.bild: johnakecsouthsudan

Das Druckmittel zeigte Wirkung. Der Regierung gelang es, den klebrigen Stoff vom Embargo zu befreien. Nun ist die Industrie erneut in Gefahr – diesmal aus einem anderen Grund.

Exportgut von grosser Bedeutung

Neben Petroleum, Gas, Gold, Baumwolle und Sesam zählt Gummi arabicum zu den wichtigsten Exportgütern für den Sudan. Beim Rohstoff handelt es sich um einen Stoff, der aus dem Harz von Akazien gewonnen wird. Die Geschichte der klebrigen Substanz reicht bis ins alte Ägypten zurück. Damals wurden Tote mit dem Naturprodukt mumifiziert. Zuletzt soll Lenin damit eingestrichen worden sein, bevor er ins Mausoleum gebracht wurde. Heute dient der Stoff einem anderen Verwendungszweck: Lebensmittel, Medikamente und Kosmetika werden mit dem Naturprodukt «einbalsamiert».

Gummi arabicum wird aus dem Wundsaft der Akazienbäume gewonnen.
Gummi arabicum wird aus dem Wundsaft der Akazienbäume gewonnen.Bild: Shutterstock

Der essbare Kleber – auf Lebensmitteletiketten auch bekannt unter E414 – wird unter anderem als Binde- oder Verdickungsmittel verwendet. Er hat fast schon Superkräfte: In kohlensäurehaltigen Süssgetränken verhindert der Stoff, dass der Zucker auf den Boden sinkt. In Saucen sorgt der Stoff für eine feste Konsistenz. Im Bier kräftigt er den Schaum. Dem Wein entzieht er die Bitterkeit. In Gummibärchen verhindert er, dass der Zucker kristallisiert.

Der Stoff dient vor allem der Nahrungsmittelindustrie, er befindet sich in bekannten Produkten wie Coca-Cola, Pepsi und Mars. Auch die Pharma- und Kosmetikindustrie nutzen das Naturprodukt als Bindemittel oder Stabilisator. Typische Beispiele: mit Zucker überzogene Lutschtabletten, Mascara, Eyeliner.

Gummi arabicum – vom Gummistück zum Pulver.
Gummi arabicum – vom Gummistück zum Pulver. bild: wikipedia / CC BY-SA 3.0

Der weltweite Handel mit Gummi arabicum hatte 2021 nach Angaben der Online-Plattform Observatory of Economic Complexity einen Wert von rund 363 Millionen US-Dollar. Der Sudan war 2021 für den Export von Gummi arabicum im Wert von 111 Millionen US-Dollar verantwortlich – dieses war damit das am achthäufigsten exportierte Produkt aus dem nordostafrikanischen Land. Je nach Schätzungen stammen zwischen 60 und 80 Prozent des weltweit gehandelten Gummi arabicum aus dem Sudan. Die grössten Abnehmer: Frankreich, die USA, Deutschland sowie das Vereinigte Königreich. Sprich: Länder mit millionenschweren Nahrungsmittelherstellern.

Doch nicht nur Nestlé, Cola, Pepsi, Mars und Co. sind vom Stoff abhängig. Schätzungen zufolge erzielen rund fünf der 45 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner direkt oder indirekt ein Einkommen aus der Produktion des Naturkristalls. Doch wie lange noch?

Bedrohung der Industrie

Nach zwei Jahrzehnten Krieg und Frieden sind im Sudan in diesem Jahr neue Kämpfe entfacht. Seit April kämpft die Armee gegen die einst verbündete paramilitärische Einheit Rapid Support Forces (RSF) um die Macht im Land. Inmitten der schweren Gefechte verzeichnet der Sudan einen Preisverfall des Rohstoffes von etwa 60 Prozent.

«Der Preis des Stoffes ist so stark gesunken, dass es sich nicht einmal mehr lohnt, ihn auf den Markt zu bringen.»
Sahel-Analyst Eugene Puryear

«Die Auseinandersetzungen haben den Gummi-arabicum-Handel zweifellos negativ beeinflusst», sagt der südsudanesische Journalist Akol Miyen Kuol gegenüber Al Jazeera. Er befürchtet, dass die Produktion bald völlig zu unterbrechen droht, sollten die Kämpfe nicht bald enden.

People board a truck as they leave Khartoum, Sudan, Monday, June 19, 2023. Sudan's warring parties have begun another attempt at a cease-fire after more than two months of brutal fighting ? and a ...
Der Machtkampf treibt die Menschen zu Hunderttausenden in die Flucht.Bild: keystone

Im Sudan wächst der Akaziengummibaum auf einem langen Gürtel von 500'000 Quadratkilometern, der von West-Darfur, nahe an Grenze des Tschad, bis nach Al-Qadarif im Südosten des Landes reicht. Der wichtigste Hafen des Landes liegt in Port Sudan, im Nordosten des Landes.

Brennpunkt der Kämpfe ist die Hauptstadt Khartum, wo sich die Exportzentrale befindet. Im Strudel der Gewalt befindet sich auch die Region Darfur im Norden, wo sich eine der wichtigsten Produktionsstätte befindet. Nahe der Provinz sind soeben 87 getötete Menschen entdeckt worden, die in einem Massengrab verscharrt worden seien, darunter 14 Frauen und Kinder.

Alle Hauptproduktionsgebiete sind dem Journalisten Akol Miyen Kuol zufolge indirekt oder direkt vom Konflikt betroffen. Das grösste Problem ist allerdings nicht die eingeschränkte Produktion, sondern die Logistik. Der Transport ist so gefährlich wie herausfordernd. Es soll an Lastwagen fehlen. Viele seien aufgrund der Kreuzfeuer zerstört oder beschlagnahmt worden, berichten Anwohner gegenüber Africannews. Ein weiteres Hindernis: An den Tankstellen ist der Treibstoff knapp und beinahe unbezahlbar geworden.

Sudanese refugees who fled the conflict in Sudan gather July 1, 2023 at the Zabout refugee Camp in Goz Beida, Chad. The U.N. says the conflict in Sudan has driven more than 3.1 million people from the ...
Sudanesische Flüchtlinge im Flüchtlingslager im Tschad. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Konflikt im Sudan mehr als 3,1 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, von denen über 700'000 in die Nachbarländer geflohen sind. Mehr als 70 Prozent der Vertriebenen stammten aus der Hauptstadt Khartum und etwa 9 Prozent aus der Provinz Darfur, wo die Zusammenstösse stattfinden.Bild: keystone

Auch wenn die Einwohnerinnen und Einwohner bereit sind, den riskanten Weg auf sich zu nehmen, haben sie oft Mühe, ein Transportmittel zu finden, bestätigt Sahel-Analyst Eugene Puryear gegenüber «Al Jazeera». Weiter sagt er: «Der Zugang zu Transportmitteln wurde erheblich eingeschränkt und letztendlich ist der Preis des Stoffes so stark gesunken, dass es sich nicht einmal mehr lohnt, ihn auf den Markt zu bringen.»

«Der Konflikt verschärft den Niedergang der Industrie, die zu den wichtigsten Industrien des Sudan gehört.»
Sahel-Analyst Eugene Puryea
Picture dated 23 October 2004 shows a Sudanese SLA (Sudan Liberation Army) soldier in the village of Muhajiriyah in SLA controlled South Darfur, Sudan. At the UN securtiy council meeting in Nairobi, K ...
Das Bild vom 23. Oktober 2004 zeigt einen sudanesischen Soldaten der Sudan Liberation Army in Süd-Darfur, Sudan.Bild: EPA

Dass der Preisverfall eine ernsthafte Bedrohung für die Industrie darstellt, bestätigt William Lawrence, Professor für internationale Angelegenheiten an der American University in Washington D.C, gegenüber dem arabischen Nachrichtensender. Seit den 1950er-Jahren dominiere der Sudan den Gummimarkt, sagt er. Nun könnten die Abnehmer des relativ preiswerten Gummis versuchen, ihre Zutaten zu diversifizieren. Aber womit?

Kaum Ausweichmöglichkeiten

Die Lebensmittel- und Pharmaindustrie kommt ohne Gummi nicht aus. Das zeigte sich 2007, als der klebrige Stoff aus dem US-Embargo entfernt wurde. Analysten warnen bereits, dass Getränkehersteller und Pharmaunternehmen weltweit erheblich eingeschränkt sein könnten, wenn nicht bald ein Waffenstillstand eintritt. Andere Hauptanbauländer in der Sahelzone, wie der Tschad, Somalia oder Nigeria, können die Nachfrage nicht stemmen. Diese exportieren nur in geringen Mengen.

This satellite photo from Planet Labs PBC shows fires burning at Khartoum International Airport in Khartoum, Sudan, Wednesday, April 19, 2023. Explosions and heavy gunfire rattled the Sudanese capital ...
Das Satellitenfoto zeigt Feuer am internationalen Flughafen von Khartum im April 2023. Das Scheitern des Waffenstillstands deutet darauf hin, dass die beiden rivalisierenden Generäle, die um die Kontrolle über das Land kämpfen, entschlossen sind, sich in einem möglicherweise lang anhaltenden Konflikt gegenseitig zu vernichten.Bild: AP Planet Labs PBC

Auch andere Ersatzstoffe können kaum in die Bresche springen. «In manchen Produkten könnten Pektin oder Maisfaser eingesetzt werden, doch das kommt nicht an den Nutzen von Gummi arabicum heran», sagt Martijn Bergkamp, Partner beim niederländischen Unternehmen Foga, das sudanesisches Gummi arabicum importiert und verarbeitet, im Wall Street Journal.

Mit dieser Ansicht steht er nicht alleine da: «Es wäre möglich, einen Ersatz für Gummi arabicum zu finden, beispielsweise einen Stabilisator auf Stärkebasis», schätzt Sahel-Analyst Puryear ein. Doch dies würde nicht über Nacht geschehen. Je länger der Konflikt andauere, so Puryear, desto grösser werde der Stress für die betroffenen Unternehmen. Noch bestünde bei den Herstellern einen Vorrat von mindestens sechs Monaten, so Martijn Bergkamp.

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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bär51
16.07.2023 07:20registriert Juni 2019
Ein Verzicht auf CocaCola, Gummibärchen und gewisse Kosmetika wäre ja für unsere Kultur schrecklich...
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Jonas der doofe
16.07.2023 09:51registriert Juni 2020
Ich hätte eine doofe Frage:

Wenn das Zeug so wichtig ist, das Hauptexportland im Chaos versinkt, alle anderen Länder nicht einspringen können und es auch keinen gleichwertigen Ersatz dafür gibt:

Warum ist es so billig?
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Walter Sahli
16.07.2023 09:08registriert März 2014
Das wäre doch eine schöne Gelegenheit für all die milliardenschweren Konzerne, ihr Geld für einmal sinnvoll einzusetzen und sich mit aller Kraft um Frieden zu bemühen.
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