Mit Überraschung, Ratlosigkeit und Sorge haben die Griechen auf die Ankündigung ihres Ministerpräsidenten Alexis Tsipras reagiert, das Volk in einem Referendum am 5. Juli über die Sparvorgaben der Gläubiger entscheiden zu lassen.
Trotz heftiger Kritik der Eurostaaten und der Frage, was eine solche Volksabstimmung nach dem Auslaufen der Finanzhilfen am 30. Juni noch bringen könnte, stimmte das Parlament in Athen dem Referendum zu. Die Griechen stehen nun zwischen allen Stühlen – und wollen zunächst einmal ihr Geld abheben.
Vor den Geldautomaten in Athen und Thessaloniki bildeten sich am Samstag lange Schlangen. In Thessaloniki spuckten einige Automaten kein Geld mehr aus, dafür wurde die Schlange vor der Nationalbank immer länger. «Ich habe einen Laden. Ich brauche das Geld, um ihn am Laufen zu halten», sagt die 42-jährige Maria Kalpakidou. «Wenn wir bis 4. Juli kein Abkommen haben, wird unser Bankensystem zusammenbrechen», glaubt sie.
Der 52-jährige Nikos stimmt ihr zu: «Es gibt eine Menge Angst vor dem, was passieren wird.» Er habe beim letzten Mal Syriza gewählt, sagt er: «Aber wir haben für sie gestimmt, damit sie entscheiden, und nicht, damit sie die Verantwortung uns übertragen.»
Giannis Monogios, ein junger Händler, ist genervt: Die Regierung sei «unverantwortlich und heuchlerisch», schimpft er. «Was bedeutet schon ein Ja oder Nein zu Massnahmen, wenn wir die Konsequenzen nicht kennen?» Auch Amalia Notara hält die Regierung für feige: Das Referendum sei eine «indirekte Form, Nein zu sagen, ohne die Verantwortung zu übernehmen».
Griechenland hat keine Übung mit Referenden, das letzte liegt mehr als 40 Jahre zurück. Damals, 1974, sollte die Bevölkerung zwischen Monarchie und Republik wählen, sie entschied sich für die Republik. Taxifahrer Anastasios Markatos ärgert sich: «Das ist ja toll, dass sie uns jetzt nach unserer Meinung fragen. Als wir Europa beigetreten sind, hat uns niemand gefragt.»
Viele Griechen zeigen sich verärgert, vor die Wahl gestellt zu werden. Vor einem Kiosk in Athen steht der Informatiker Takis Bezaitis und studiert die Schlagzeilen der Zeitungen. «Euro oder Drachme» titelt die rechtsgerichtete «Eleftheros Typos». Bezaitis lacht: «den Schweizer Franken», sagt der 40-Jährige. Dann wird er ernst. Die Wahl zwischen Ja und Nein lasse ihn ratlos.
Die Anwältin Notara will für die Sparmassnahmen der Gläubiger stimmen. Ein Nein, fürchtet sie, werde Griechenland in den Bankrott führen und auf Jahre isolieren. Der 27-jährige Giorgos dagegen will mit Nein stimmen: «Die wollen uns nur reinlegen, das lassen wir nicht mit uns machen», sagt er.
Damit ist Giorgos einer Meinung mit der linksgerichteten Zeitung «Efimerida ton Syntakton»: «Sie wollen, dass wir eine Kolonie werden», titelt das Blatt und ersetzt in einer Karikatur den griechischen Sitz in der Eurogruppe durch einen Elektrischen Stuhl.
Viele Griechen aber sind nach den jahrelangen Diskussionen und Sparmassnahmen nur noch müde. Sie glauben schon lange nicht mehr an eine bessere Zukunft – wie Dimitris Darras, einer der vielen Arbeitslosen in Athen: «Ob die Lösung, für die wir uns entscheiden, schlecht sein wird oder sehr schlecht, für uns kommt es auf dasselbe raus», sagt er und zuckt mit den Schultern.
Und während Tsipras inmitten der allgemeinen Verwirrung für ein «Nein» beim Referendum wirbt, zeigt eine jüngste Umfrage, dass immerhin 50,2 Prozent der Griechen für eine Einigung mit den Gläubigern sind – egal zu welchem Preis. 37,4 Prozent sind dagegen, 12,4 Prozent unentschieden. (dhr/sda/afp)
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— Marian Kamensky (@MarianKamensky1) 19. Juni 2015