Als die Briten 1997 Hongkong wieder an China zurückgaben, haben sie sich dabei herausbedungen, dass die Menschen in der ehemaligen Kolonie noch 50 Jahre lang in einem System mit dem Titel «ein Land, zwei Systeme» weiterleben dürfen. Westlicher Rechtsstaat und Demokratie sollten bis Mitte des 21. Jahrhunderts nicht angetastet werden dürfen.
Damit scheint bald Schluss zu sein. Im Vorfeld des Nationalen Volkskongresses ist durchgesickert, dass die Führung in Peking im Rahmen eines nationalen Sicherheitsgesetzes plant, Hongkong stärker an die Kandare zu nehmen. Neue Proteste zur Verteidigung der demokratischen Rechte wie letztes Jahr sollen somit im Keim erstickt werden.
Warum erfolgt dieser Schritt gerade jetzt? Innenpolitisch kann Präsident Xi Jinping mit grosser Zustimmung rechnen. Auf dem Festland sind die rund 7,5 Millionen Hongkonger nicht sehr beliebt. So stellt der deutsche Wirtschaftsjournalist Wolfgang Hirn in seinem kürzlich erschienen Buch «Shenzhen» fest:
Etwas salopp ausgedrückt: Für die Festlandchinesen sind die Hongkonger verwöhnte ungezogene Kinder reicher Eltern. Zeit also, dass ihnen Xi den Tarif durchgibt.
Auch der Einsatz des Westens für Hongkongs Demokratie ist in den Augen der Festlandchinesen reine Heuchelei. So erklärte etwa der Wirtschaftsprofessor Jongweng Chiang in einem Interview mit «watson»:
Gleichzeitig hat die wirtschaftliche Bedeutung Hongkongs in den letzten Jahren tendenziell abgenommen. Das Finanzzentrum gerät in Gefahr, in den Schatten von Shenzhen zu geraten. Um es mit einem Vergleich auszudrücken: Shenzhen ist die neue betörende Frau, Hongkong die Schönheit von gestern, die Mühe mit dem Altern hat.
Es gibt sehr widersprüchliche Einschätzungen, ob und wie weit die Coronakrise Präsident Xi geschadet hat. Die meisten China-Experten kommen jedoch zum Schluss, dass seine rigorosen Lockdown-Massnahmen nicht nur das Ausbreiten des Virus verhindert, sondern auch seine Stellung gestärkt haben.
Auch die jüngsten Angriffe des US-Präsidenten Donald Trump spielen Xi in die Hände. Sie versetzen die Chinesen in eine nationalistische Empörung, die Xi geschickt für seine Zwecke einspannen kann. So schreibt Tom Mitchell in der «Financial Times»:
Die Antwort darauf dürfte nicht allzu schwer zu erraten sein.
Und was ist mit den Folgen? Schliesslich haben die Meldungen über Xis Absichten sogleich einen Kurssturz an der Börse von Hongkong und einen Proteststurm in Washington ausgelöst. Offenbar geht Peking davon aus, dass das Verhältnis zu Washington so zerrüttet ist, dass es hier nichts mehr zu verlieren gibt.
Daher nimmt man die Proteste des Präsidenten gelassen zur Kenntnis im Wissen, dass das Image eines «Trump-als-Kämpfer-für-die-Demokratie» selbst die Hühner zum Lachen bringen würde.
Langfristig steht jedoch viel auf dem Spiel. Hongkong ist Teil der Greater Bay Area (GBA), eines ehrgeizigen Projekts, das China wirtschaftlich und technologisch an die Spitze führen soll. Im Perlflussdelta entsteht ein Machtzentrum, das dereinst Silicon Valley und Kalifornien in den Schatten stellen wird. Wolfgang Hirn beschreibt es wie folgt:
Hongkongs Demokratie wird somit ein Opfer der ehrgeizigen wirtschaftlichen Ziele Pekings. Washington wird kaum etwas dagegen unternehmen können. So erklärt Elizabeth Economy vom Council on Foreign Relations gegenüber der «New York Times»: