Wirtschaft
International

«Müsse die Extrameile gehen»: Wizz-Air-CEO ärgert Piloten

«Alle sind müde, aber wir müssen die Extrameile gehen»: Wizz-Air-CEO ärgert Cockpit-Crews

József Váradi hat die ungarische Billigairline Wizz-Air mitgegründet und gross gemacht. Doch Aussagen zum Thema Müdigkeit verärgern nicht nur seine Crew – sondern könnten auch der Airline langfristig schaden.
09.06.2022, 11:2913.06.2022, 10:16
Benjamin Weinmann / ch media
Mehr «Wirtschaft»

Das Video verbreitete sich gestern Abend in Pilotenkreisen in Windeseile. Die European Cockpit Association, der Dachverband der europäischen Piloten-Gewerkschaften, publizierte auf Online-Kanälen ein Video von Wizz-Air-Chef József Váradi, in dem er brisante Aussagen zum Thema Müdigkeit von sich gibt. In der Branche ist von der sogenannten Fatigue die Rede.

Dieses Video des Wizz-Air-Chefs schockiert die Cockpit-Crews weltweit.
Dieses Video des Wizz-Air-Chefs schockiert die Cockpit-Crews weltweit.

Das Thema ist nicht neu. Seit Jahren beklagen sich die Piloten weltweit, dass ihre Arbeitgebenden Fatigue zu wenig ernst nehmen würden. Denn die Ruhezeit der Cockpit-Crew sei nun mal das oberste Sicherheitsgebot. Nun, in der Phase nach Corona mit rasant steigenden Buchungszahlen und gleichzeitigem Personalmangel in der Aviatik, hat das Thema aber an Brisanz gewonnen. Weltweit beklagen sich Airline-Angestellte über den starken Druck, der auf ihnen lastet.

«Wir sind alle müde»

Váradi scheint mit Fatigue allerdings wenig anfangen zu können. Er verstehe, dass es aktuell zu mehr Müdigkeitsfällen komme und es deshalb zu Absenzen komme. Doch sobald sich die Situation stabilisiere, müsse diese Zahl wieder sinken. «Wir können dieses Geschäft nicht führen, wenn sich jede fünfte Person wegen Müdigkeit krankmeldet. Wir sind alle müde, aber manchmal müssen wir die Extrameile gehen.»

Der Grund: Die Wirtschaftlichkeit. «Der Schaden ist enorm, wenn wir einen Flug absagen müssen. Er ist enorm!» Annullationen würden dem Image der Marke schaden und die Kompensationszahlungen für die nicht durchgeführten Flüge wirkten sich finanziell negativ aus.

«Absolut entsetzliche Sicherheitskultur!»

Unklar ist, woher das zusammengeschnittene Video stammt. Dazu machte die ECA bisher keine Angaben. Die Reaktionen der Aviatik-Community auf den sozialen Medien folgten dennoch prompt: «Absolut entsetzliche Sicherheitskultur!», schreibt ein Pilot auf Twitter. Und eine Easyjet-Flight-Attendant versteht nicht, wieso der Billigairline-Chef die finanziellen Schäden und den potenziellen Imageverlust in den Fokus stellt: «Das Resultat, wenn ein Pilot übermüdet fliegt, könnte viel katastrophaler sein. Mir ist es lieber, dass mein Flug abgesagt wird, anstatt dass ich in einem Flugzeugunfall bin.»

Der Europäische Pilotenverband schreibt auf Linkedin: «Der Wizz-Air-Chef hält seine Piloten dazu an, übermüdet zu fliegen. Das ist, als wenn man die Autoschlüssel einem betrunkenen Fahrer geben würde.» Der Verband nimmt die EASA in die Pflicht. Die EU-Flugsicherheitsbehörde sei schliesslich die zuständige Aufsichtsbehörde.

Derweil meint ein Swiss-Pilot, der nicht genannt werden möchte: «Es ist gut, dass nun alle sehen, wie das Management dieser Airline tickt.» Er hoffe, dass dies nachhaltig etwas bewirke. «Wobei ich befürchte, dass am Schluss die meisten Passagiere halt doch einfach auf den Preis schauen und den billigsten Flug wählen.»

Rasantes Wachstum

Wizz Air musste – wie viele andere Airlines auch – zuletzt zahlreiche Flüge wegen Personalmangel in der Branche absagen. So gab die Lufthansa am Mittwoch bekannt, für Juli 900 Flüge innerhalb Deutschlands und Europas an den Drehkreuzen in Frankfurt und München aus dem System zu nehmen. Am Dienstag hatte die Swiss zudem bestätigt, ihren Flugplan ebenfalls weiter auszudünnen.

Bei Swiss-Piloten ist unisono zu hören, dass die Lufthansa-Tochter das Thema Fatigue ernst nehme. Allerdings kam es erst kürzlich auch bei der Swiss zu einem kleinen Eklat, wie CH Media weiss. Ein Manager auf Linkedin «Fatigue als Unwort des Jahrhunderts» bezeichnete. Insider betonen jedoch, dass es sich dabei um dessen Privatmeinung handelt und dies von der Swiss nicht goutiert wurde.

Wizz Air gehörte in den vergangenen Jahren zu den am stärksten expandieren Fluggesellschaften in Europa – gilt aber wegen ihrer tiefen Löhne als Feindbild der Gewerkschaften. Erst 2004 gegründet, transportierte sie 2019 rund 40 Millionen Passagiere, unter anderem auch von den Schweizer Landesflughäfen Genf und Basel. Zum Vergleich: Bei der Swiss waren es vor der Covid-Pandemie knapp 19 Millionen Fluggäste.

Auf Anfrage bestätigt ein Wizz-Air-Sprecherin Éva Szabó, dass der zusammengeschnittene Clip von einer internen Ansprache Váradis stammt. Sie betont, dass die Aviatik-Industrie stark reguliert sei: «Die Sicherheit hatte stets oberste Priorität bei uns und wird dies auch immer haben, für unser Personal und unsere Kundinnen und Kunden.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Gratis Upgrade gibt es nicht! Swiss-Pilot gibt Einblicke ins Cockpit ✈️
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
3
Krise in Deutschland wirkt sich wohl auf Wintertourismus in der Schweiz aus

Die Konsumzurückhaltung in Deutschland wird sich in diesem Winter mutmasslich auch auf Österreich und die Schweiz auswirken. Erste Zeichen deuten auf weniger Gäste in der neuen Wintersaison.

Zur Story