Okay, das Zitat ist zumindest angelutscht, aber es drängt sich an dieser Stelle ganz einfach auf. Es stammt von Ernst Hemingway, der in seinem Roman «The Sun also Rises» einen Typen, der sein ganzes Vermögen verspielt hat, auf die Frage, wie er denn pleitegehen konnte, lapidar antworten lässt: «Zuerst graduell, dann plötzlich.»
Die Summen, die Elon Musk und Gautam Adani in den letzten Monaten verloren haben, wären für Hemingway wohl noch unvorstellbar gewesen. Das Prozedere hingegen ist das gleiche. Innerhalb kürzester Zeit sind dreistellige Milliardenbeträge vernichtet worden, und es drängt sich die Frage auf: Wie konnte das geschehen?
Bei Elon Musk betrug der Verlust zeitweise mehr als 200 Milliarden Dollar. Das zumindest hat der Bloomber Billionaires Index ausgerechnet. Nicht, dass man jetzt deswegen für Musk sammeln müsste. Nach wie vor dürfte sich sein Vermögen in der Höhe von rund 150 Milliarden Dollar befinden. Das reicht immerhin noch für den zweiten Platz auf der Hitliste der Reichsten. Platz eins belegt übrigens derzeit Bernard Arnault, der Vorsitzende des französischen Luxuskonzerns LVMHF.
Mit dem Kauf von Twitter hat sich Musk wahrscheinlich nicht nur in der Höhe von rund 40 Milliarden Dollar verzockt, er hat auch das Image von Tesla ramponiert. Die Tesla-Aktien befanden sich im November 2021 auf ihrem Höhepunkt. Das Vermögen von Musk betrug damals mehr als 300 Milliarden Dollar. Dann kam der Techno-Crash und die Tesla-Papiere verloren gegen 70 Prozent ihres Wertes.
In den letzten Tagen hat sich der Kurs der Tesla-Aktie wieder leicht erholt. Ob er sich bald wieder auf den einstigen Höchststand emporschwingen wird, dürfte fraglich sein. Zu gross ist der Image-Schaden, den Musk durch sein ungeschicktes Verhalten bei Twitter angerichtet hat.
Auch der Inder Gautam Adani konnte sich kurze Zeit rühmen, der reichste Mann der Welt zu sein. Derzeit muss er jedoch zusehen, wie sein Vermögen schmilzt wie ein Schneeball in der Hölle. Anders als Musk ist Adani hierzulande noch wenig bekannt. Deshalb hier eine kurze Biografie:
Der heute 60-jährige Adani ist in der indischen Stadt Ahmedabad im Bundesstaat Gujarat aufgewachsen. Er besuchte keine höhere Schule, sondern arbeitete zunächst als Diamanten-Händler in Mumbai. Danach kehrte er in seine Heimatstadt zurück und gründete die Firma Adani Exports. In den Neunzigerjahren begann er, mit dieser Firma Land um den Hafen von Mundra zu erwerben. Weil dort das Meer besonders tief ist, eignet sich dieser Hafen speziell für die riesigen Container-Schiffe. Adani ging mit Gujarat ein Joint-Venture ein, um diesen Hafen zu entwickeln.
Um die Jahrhundertwende war ein gewisser Narendra Modi der starke Mann in Gujarat. Der heutige Premierminister von Indien verstand sich bestens mit Adani. Bald waren das Unternehmen Adani Exports und der Bundesstaat Gujarat siamesische Zwillinge. Adani erhielt die meisten Aufträge der öffentlichen Hand. Er konnte Eisenbahnlinien und Flughäfen kaufen und ausbauen. All dies machte ihn sehr reich. Kein Wunder, hat er kürzlich in einem TV-Interview gesagt: «Mit Stolz kann ich erklären, dass ich sehr gute Erfahrungen mit der Modi-Regierung gemacht habe.»
Die Adani Gruppe entwickelte sich in der Folge zu einem unübersichtlichen Konglomerat, unter dessen Dach sich Unternehmen aller Art tummelten. Von Kohle-Import aus Indonesien bis zu Datenzentren ist so ziemlich alles dabei. Kommt dazu, dass Gautam Adani ein Mann mit grossem Ego und noch grösserer Risikobereitschaft ist. Gegenüber der «Financial Times» erklärte er einst selbstbewusst: «Entweder du sitzt auf einem Haufen Cash oder du wächst weiter. Es gibt keinen anderen Weg.»
Wer sich zu weit von seiner Kernkompetenz entfernt, riskiert, abzustürzen. Das geschah auch mit Adani, leider ausgerechnet mit seinen grossspurigen Plänen auf dem Gebiet der nachhaltigen Energie. Mit seinen Plänen, Indien dank Solarenergie und Wasserstoff zu einem ökologischen Musterstaat zu machen, ist er offenbar auf die Nase gefallen. Die Ratingagentur Credit Sight kam daher schon im vergangenen Sommer zum Schluss, wonach die Adani-Gruppe «tief überschuldet» sei.
Adani liess sich davon nicht abschrecken. Im Gegenteil, er ging weiter in die Offensive und wollte weiteres Fremdkapital in der Höhe von 2,4 Milliarden Dollar aufnehmen. Diesen Plan musste er jetzt aufgeben, denn ein New Yorker Hedge-Fund namens Hindenburg hat ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.
Der Kopf hinter Hindenburg ist ein Mann namens Nate Anderson. Er hat sich einen Namen als Shortseller gemacht, will heissen, er setzt darauf, dass die Aktien eines Unternehmens deutlich zu hoch bewertet sind und deshalb einbrechen werden. Diesem Einbrechen kann man nachhelfen, indem man beispielsweise aufdeckt, dass das betreffende Unternehmen etwas vorgaukelt, das nicht der Wirklichkeit entspricht.
Genau dies hat Hindenburg mit Adani getan. In einem mehr als 100-seitigen Report werden die Schandtaten der Gruppe minutiös aufgelistet. Gautam Adanis Bruder Vinod habe auf der Insel Mauritius 38 Briefkastenfirmen mit dem Zweck gegründet, den Aktienkurs zu manipulieren und Geld zu waschen. Ebenso seien die wahren Besitzverhältnisse vertuscht und die hohe Verschuldung unterschlagen worden, heisst es unter anderem im Bericht.
Adani weist die Anschuldigungen vollumfänglich zurück und bezeichnet sie als einen «Haufen Lügen». Nicht verhindern konnte er jedoch den Einbruch seiner Aktien, der ihm bis dato einen Verlust von über 100 Milliarden Dollar beschert hat. Ebenso musste er gestern die geplante Kapitalaufstockung abblasen, denn sein Ruf als verlässlicher Schuldner ist im Eimer. Banken wie die CS oder die Citigroup weigern sich, seine Wertpapiere als Sicherheit zu akzeptieren.
Von dem her ist es egal, wenns wieder weg ist…