Es ist niemand zu alt, eine neue Technologie zu entdecken und sich mutig in noch unbekannte Gefilde zu stürzen: Das stellt derzeit Phil Schiller unter Beweis.
Das Apple-Urgestein, mittlerweile 62, hat diesen Monat beim freien, unabhängigen Social-Media-Dienst Mastodon ein Profil eröffnet. Dies, nachdem Apples App-Store-Chef im letzten November sein Twitter-Profil deaktiviert hatte.
Inzwischen meldet sich Schiller mit Postings zu diversen Themen bei Mastodon zu Wort. Und er erhält auch – wie das im Fediverse üblich ist – freundlich gemeinte Ratschläge, wie er seine Social-Media-Aktivitäten verbessern kann.
Obwohl Schiller den Grund nie bestätigte, verliess er Twitter in der gleichen Woche, in der Elon Musk öffentlich Apple attackierte. (Musk deutete da an, dass der iPhone-Konzern das Schalten von Werbung auf «seiner» Plattform eingestellt habe – was sich nachträglich als Fehlbehauptung erwies.)
Interessanterweise war einer von Schillers ersten Beiträgen auf Mastodon so etwas wie eine Werbebotschaft – für eine App namens Ivory. Das ist eine Mastodon-App, die von den Entwicklern der populären Tweetbot-App stammt.
Hier gilt es in Erinnerung zu rufen, dass Twitter unter Elon Musk Dritt-Apps neuerdings den Zugriff auf Twitter-Programmierschnittstellen (API) verweigert. Dieser Schritt bedeutete das Aus für populäre Apps wie Tweetbot.
Apples früherer langjähriger Marketing-Chef war 2020 von der Unternehmensführung unter Tim Cook in den Rang eines «Apple Fellow» gehoben worden.
Der altgediente Techmanager übe bei Apple nach wie vor eine wichtige Funktion aus, ruft heise.de in Erinnerung. So sei er trotz des eher symbolischen «Fellow»-Titels noch immer für die Leitung des App-Stores und die Veranstaltungen des Konzerns (Apple-Events, also Keynotes) zuständig.
Schillers Mastodon-Nutzung zeige, dass sich Apple zunehmend für den Twitter-Konkurrenten erwärme, konstatiert das deutsche IT-Newsportal. Entwickler bekannter Twitter-Anwendungen seien derzeit dabei, auf die freie Alternative Mastodon umzusatteln, nachdem Twitter selbst ein faktisches Verbot von Dritt-Apps im Januar eingeführt hatte.
Dass am Apple-Hauptsitz in Cupertino gewisse Vorbehalte bezüglich Mastodon und dem Fediverse existierten, zeigt die Geschichte des unabhängigen Software-Entwicklers Thomas Ricouard. Als der ehemalige Googler und Medium-Angestellte aus Paris sein Open-Source-Projekt «Ice Cubes» im App-Store lancieren wollte, stiess er auf breite Ablehnung.
Siebenmal hintereinander wurde seine App von Apples App-Review-Team, der Einlasskontrolle zum App-Store, abgewiesen. Zur Begründung hiess es, sie biete nur Links, Bilder und aus dem Internet zusammengetragene Inhalte – also genau das, was ein Mastodon-Client tun sollte ...
Dann schaltete sich der Apple-Blogger John Gruber ein. Der bekannte Techblogger, der in seiner Talkshow regelmässig hochrangige Apple-Gäste wie Software-Chef Craig Federighi oder Schillers Nachfolger, den Marketing-Chef Greg Joswiak, empfängt, bezeichnete die Entscheidung des Review-Teams in seinem Blog als «völlig unsinnig».
In ungewohnter Schärfe nannte Gruber die für die App-Ablehnung verantwortlichen Rezensenten ahnungslos und bürokratisch, berichtete heise.de. Nur zwei Stunden später habe Apple die App dann plötzlich doch für den App Store freigeschaltet. Dort ist sie nun kostenlos verfügbar.
PS: Noch gibt es kein offizielles Apple-Profil bei Mastodon. Den entsprechenden Account @apple hält der Mastodon-Erfinder Eugen Rochko für den US-amerikanischen Konzern in Verwahrung, wie heise.de schreibt.
Phil Schiller war und ist die erste Person aus Apples oberstem Führungsgremium, die bei Mastodon ein persönliches Profil eingerichtet hat. Ob Tim Cook, der sich wiederholt gegen den Überwachungskapitalismus à la Facebook und Co. geäussert hat, bald mit gutem Beispiel folgt?
Ob viele Unternehmen Twitter definitiv verlassen und stattdessen bei Mastodon Präsenz markieren, ist fraglich.
Sicher ist: Um eigene praktische Erfahrungen zu sammeln und mitreden zu können, empfiehlt sich das Einrichten eines persönlichen Mastodon-Profils.
Sicher ist aber auch, dass Akteure aus der Politik, aus Medienorganisationen, Universitäten, Stiftungen, gemeinnützigen Organisationen und NGOs ihre (geschäftlichen) Beziehungen zu Twitter dringend überdenken sollten.
Der amerikanische Techjournalist und Autor Dan Gillmor brachte es auf den Punkt: Elon Musk habe mit seinem Verhalten auf Twitter seine Verachtung für die Meinungsfreiheit im Allgemeinen und den Journalismus im Besonderen gezeigt. Der Multimilliardär zeige damit auch, warum es töricht sei, sich auf zentralisierte Plattformen zu verlassen, um wertvolle Informationen zu erstellen und zu verteilen.
Und an diejenigen gerichtet, die noch zögerten, der Social-Media-Plattform den Rücken zu kehren, warnte er: