Noch sieht die Schweizerische Nationalbank eine «geringe Wahrscheinlichkeit, dass mit dem Klimawandel verbundene Risiken die Stabilität des Bankensystems als Ganzes gefährden». Doch eine grosse Mehrheit der wichtigsten Notenbanken (70 Prozent) anerkennt den Klimawandel inzwischen als ernsthafte Bedrohung für die Stabilität des Finanzsystems. Das Ergebnis einer neuen Studie der britischen Denkfabrik Omfif (Official Monetary and Financial Institutions Forum) und des französischen Beratungsunternehmens Mazars zeigt einen erstaunlichen Gesinnungswandel unter den Währungshütern.
Als sich Mark Carney, der scheidende Chef der Bank of England, vor fünf Jahren in einer berühmt gewordenen Rede im Vorfeld des Pariser Klimagipfels mit ebendieser Warnung als erster grüner Notenbanker geoutet hatte, rümpfte manch einer seiner damaligen Kollegen die Nase. «Mission Creep», die schleichende Ausweitung des Mandats, lautete der Vorwurf der Kritiker.
Mittlerweile kann sich aber keine bedeutende Notenbank mehr um das Thema drücken. Das «Network for Greening the Financial System», das Carney zusammen mit der Banque de France Ende 2017 als kleinen «Club der Willigen» gegründet hatte, ist von 8 auf 54 Mitglieder angewachsen. Selbst die SNB, die dem Verein bis heute skeptisch gegenübersteht und ihren Stabilitätsauftrag betont eng auf die Sicherung des hiesigen Bankensystems auslegt, ist ihm 2019 eher widerwillig beigetreten.
Die Studie stellt aber auch fest, dass nur 27 Prozent der befragten Notenbanken konkrete Massnahmen tatsächlich umsetzen. Die SNB gehört zu den 55 Prozent, die sich auf das «kontinuierliche Monitoring der Entwicklungen» beschränken.
Der Hauptgrund für die eklatante Diskrepanz zwischen Problembewusstsein und Anerkennung eines Handlungsbedarfs liegt darin, dass die Notenbanken ihren geldpolitischen Auftrag unterschiedlich auslegen. Eine enge Auslegung, wie sie die SNB vornimmt, fokussiert darauf, wie sich Klimarisiken auf die Stabilität des in ihrem Einflussbereich stehenden Bankensystems auswirken könnten.
Gemeint ist damit zum Beispiel die Frage, was mit einer Bankbilanz passiert, wenn grosse Kreditkunden wie ein Erdölkonzern oder ein Kohlebergbauunternehmen durch regulatorische Massnahmen zur Eindämmung des globalen CO2-Ausstosses gezwungen werden, ihre Produktion drastisch einzuschränken und ihre Rohstoffreserven zu Lasten der Bilanz abzuschreiben. Die erzwungene Stilllegung solcher Vermögenswerte kann grosse Konzerne über Nacht in eine finanzielle Schieflage bringen und damit die Solidität der kreditgebenden Banken beeinträchtigen.
Die Tragweite dieses Schadenpotenzials ist schwer zu fassen. Die Destabilisierung einzelner grosser Banken über das global vernetzte Finanzsystem kann sich schnell auf die Stabilität anderer Banken übertragen. Die gefährliche Wirkung solcher Übertragungseffekte wurde vor zwölf Jahren in der internationalen Finanzkrise offensichtlich.
Ausgangspunkt der Finanzkrise war eine Akkumulation von äusserst seltenen und unerwarteten Ereignissen, deren Tragweite erst nach dem Ereignis sichtbar wird. Der Finanzwissenschafter Nassim Nicholas Taleb hatte diese Gefahren 2007 in seinem Buch «Der Schwarze Schwan» dargestellt und die kognitiven Verzerrungen gängiger Risikomodelle kritisiert.
In Anlehnung an Talebs Bild haben Ökonomen der Basler «Bank für Internationalen Zahlungsausgleich» im Januar ein Buch über den «Grünen Schwan» verfasst. Im Vorwort plädiert der französische Notenbankgouverneur François Villeroy de Galhau für eine ganzheitliche Sicht auf das Klimaproblem und seine Risiken für das Finanzsystem. Der wirtschaftliche Effekt des Klimawandels sei in der langen Sicht wahrscheinlich ein stagflationärer Schock, bei dem steigende Preise mit einem Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums zusammenfallen.
Hinter dieser Sichtweise verbirgt sich eine scharfe Kritik an der engen Mandatsauslegung, wie sie die Nationalbank und andere Notenbanken favorisieren. Villeroy de Galhau glaubt, dass die Klimaveränderungen in der extrem arbeitsteiligen Weltwirtschaft zu einer Unterbrechung von Lieferketten, Beschädigung von Infrastrukturen und Zerstörung ganzer Ökosysteme führen könnte, was eine sinkende Produktivität, ein rückläufiges Angebot und steigende Preise für viele Güter zur Folge hätte.
Davon leitet er eine direkte Verantwortung aller Notenbanken ab, auch jener, die ihren Auftrag strikt in der Wahrung der Preisstabilität und der Sicherung des lokalen Finanzsystems sehen. Im Kampf gegen stagflationäre Schocks sind Instrumente der Notenbanken bekanntermassen ziemlich wirkungslos.
Dass der Franzose mit dieser Warnung keinem Hirngespinst erliegt, zeigen die Gefahren, welche die rasche Ausbreitung des Corona-Virus für die Weltwirtschaft zeitigen. Vermehrte Pandemien sind Teil der bedrohlichen Klimaszenarien. Vor diesem Hintergrund evaluiert zum Beispiel die Europäische Zentralbank, inwiefern sie mit geldpolitischen Massnahmen eine nachhaltigere Wirtschaft befördern kann.
Im Gespräch sind etwa verstärkte Investitionen in «grüne» Anleihen im Rahmen des laufenden 2,5 Billionen Euro schweren Anleihenrückkaufprogramms. Erwogen wird auch die Möglichkeit, mit Hilfe von Eigenmittelunterlegungsrabatten Anreize für Geschäftsbanken zur Priorisierung grüner Investitionen zu schaffen.
Noch schrecken aber viele Notenbanken davor zurück, ihre geldpolitischen Massnahmen explizit auch in den Dienst des Klimas zu stellen. Das ist bei der EZB nicht anders. In diesen Tagen hat die Institution die Überprüfung ihrer Strategie an die Hand genommen. Damit will sie insbesondere klären, ob sie nebst der Sicherung der Preisstabilität und der Vollbeschäftigung auch den Klimaschutz zum offiziellen Ziel erheben soll.
Kritiker warnen vor einer solchen Mandatsausweitung. Der Klimaschutz sei Sache der Politik. Programme zur gezielten Förderung grüner Anlagen führten zu Preisverzerrungen an den Finanzmärkten, die volkswirtschaftlich mehr Schaden als Nutzen stiften, lautet ihr ordnungspolitisches Credo.
Diese Position vertritt auch die SNB. Als eine der inzwischen weltgrössten institutionellen Investorinnen macht sie in ihrer Anlagepolitik keinen grundlegenden Unterschied zwischen Klimarisiken und anderen finanziellen Risiken und hält bedeutende Beteiligungen an Erdölmultis wie Exxon Mobil oder Chevron. Die Prognose sei gewagt, dass dies nicht mehr allzu lange so bleibt.
Die Umwelt schützen können wir nur mit demokratisch legitimierten politischen Massnahmen. Nicht mit mehr Geld drucken.