Ein bald 13-jähriger Diesel-Saab? Damit kann man in Zeiten von Greta und Klimakrise nicht mehr durch die Landschaft kutschieren. Obwohl ich ein Wenigfahrer bin und ein Auto vor allem aus Gewohnheit besitze, und weil es halt praktisch ist. Also war der Fall für mich klar: Etwas Neues muss her. Ich wollte den Einstieg in die Elektromobilität wagen.
Das passende Modell war schnell gefunden: Ein Mercedes EQA 250 sollte es sein. Weil er mir gefällt und die Probefahrt Spass gemacht hat, vor allem das Rekuperieren, mit dem man innerorts fast ohne Bremse unterwegs sein und Energie zurückgewinnen kann. Anfang Juni orderte ich ein Exemplar nach meinen Vorgaben in Denimblau.
Geplant ist ein Leasing für vier Jahre, weil es dann vielleicht attraktive Carsharing-Angebote oder Auto-Abos gibt (bei den Stromern ist das Angebot noch mager) und ich mich vom Besitz-Fahrzeug verabschieden kann. Allerdings war mir schon bei der Bestellung klar, dass es ein «kleines», aber nicht unwichtiges Problem geben könnte: den Mangel an Halbleitern.
Ohne diese Chips fährt kein modernes Auto, und die E-Mobile brauchen mehr davon als konventionelle Verbrenner. Doch der Nachschub fehlt, und das seit Monaten. Der deutsche Ökonom Ferdinand Dudenhöffer, bekannt als «Autopapst», bezeichnete die Chipkrise gegenüber dem Sender MDR als «eine der grössten Krisen, die es in der Autoindustrie gab».
Weltweit werden Produktionslinien und ganze Fabriken immer wieder stillgelegt und die Belegschaft wenn möglich in Kurzarbeit geschickt. Allein Mercedes konnte im dritten Quartal 2021 rund 30 Prozent weniger Autos ausliefern als im gleichen Vorjahreszeitraum – also im Corona-Jahr 2020! Auch mein im Juni bestellter EQA lässt auf sich warten.
Fairerweise muss ich sagen, dass der Verkäufer mich vorgewarnt hatte. Bis zum Eintreffen des Autos könnte es September oder Oktober werden. Als die endgültige Bestellung raus ging, tönte er schon zuversichtlicher: Im besten Fall könnte ich den EQA Ende August bekommen. Und tatsächlich war er dann praktisch fertig gebaut.
Seither aber steht er auf einem Abstellplatz im Werk in Rastatt, denn die entscheidenden kleinen Teile fehlen immer noch. Wann es soweit ist, kann oder will niemand sagen. Die ganze Branche fährt derzeit «auf Sicht». Dabei wäre die Nachfrage vorhanden. Renault etwa meldete letzte Woche, die Auftragsbücher seien so voll wie seit 15 Jahren nicht mehr.
Die Krise trifft die Industrie also im dümmstmöglichen Moment. Skoda in Tschechien erwägt einen Produktionsstopp bis Ende Jahr, weil die Stellplätze mit halbfertigen Autos zugeparkt sind. Wie aber sind die Hersteller in diese Bredouille geraten? Zum einen leiden derzeit viele Bereiche – auch wegen Corona – unter weltweiten Lieferengpässen.
Der Chipmangel in der Fahrzeugbranche aber ist nach Ansicht von Experten wie Ferdinand Dudenhöffer zu einem beträchtlichen Teil hausgemacht. Die Autobauer nehmen nur etwa zehn Prozent der weltweiten Halbleiter-Produktion ab. Nach Ausbruch der Coronakrise im Frühjahr 2020 annullierten viele fast panikartig ihre Bestellungen.
Gleichzeitig legten die Käufe von IT-Hardware oder Unterhaltungselektronik in Zeiten von Lockdowns und Homeoffice rasant zu. Die Chip-Produktion wanderte in diese Sektoren ab. Als sich der «Nachfragestau» bei Autos oder Lastwagen auflöste, mussten sich die Hersteller als relativ kleiner Kunde «hinten anstellen», wie Dudenhöffer dem MDR sagte.
Verschärft wurde das Problem durch zeitweise ausgefallene Chipfabriken. Dennoch ortet der «Autopapst» in erster Linie ein «Versagen der Einkäufer bei den traditionellen Autobauern». Der Grund ist die verbreitete «Just in time»-Produktion. «Man agiert immer nur kurzfristig, weil man damit besser auf die Nachfrage reagieren kann und Kosten spart», sagte Dudenhöffer.
Lagerhaltung gilt in diesem neoliberalen Dogma als fast schon gotteslästerlich. Ferdinand Dudenhöffer glaubt, dass die Krise sich bis 2023 hinziehen könnte. Kurzfristig sind die Perspektiven miserabel. Martin Hirzel, der Präsident des Industrieverbands Swissmem, zeichnete letzte Woche in der SRF-«Tagesschau» ein düsteres Bild.
Die Autobauer hätten alles abgegrast, vom Graumarkt bis zu Zwischenhändlern. «Jetzt gibt es schlicht und einfach keine Chips mehr», so Hirzel. Bereits mussten Schweizer Zulieferer Kurzarbeit anmelden. Es sieht schlecht aus für meinen EQA. Das Portal Carwow berechnet die Lieferzeit auf sieben Monate. Im August waren es noch vier bis fünf Monate.
Ein Hoffnungsschimmer ist das Interesse der Autobauer an einer privilegierten Auslieferung von Elektrofahrzeugen. Sie könnten damit die Bussen reduzieren, die ihnen aufgebrummt werden, weil ihre verkaufen Neuwagen zu viel CO2 ausstossen. Allein Mercedes Schweiz musste letztes Jahr dem Bund deswegen mehr als elf Millionen Franken abliefern.
Nach wie vor kauft die Schweizer Kundschaft mit Vorliebe fette SUVs oder sonstige PS-starke Verbrenner. Greta oder Klimakrise? Fuck it! Mein Auto fährt auch ohne Klima.
Ohne Chips aber heisst es auch für «Elektrophile» derzeit warten, warten, warten. Ich habe mich schon gefragt, ob ich nicht besser einen Tesla bestellt hätte. Die haben offenbar weniger Lieferprobleme (man kann von Elon Musk halten, was man will, aber der Mann ist visionär). So aber kommt mein EQA vielleicht nächste Woche. Oder nächstes Jahr.
Mann, der ist ja quasi noch fast neu. So was gibt man doch nicht her.
Danach folgt wieder ein Occasion.