Wirtschaft
Nationalbank

US-Notenbank-Chef warnt: Ultratiefe Zinsen werden notwendig

Notenbank-Chef warnt: Ultratiefe Zinsen werden notwendig, wenn dieser Fehler gemacht wird

Eine Methode zur Inflationsmessung wird zur Gefahr und Chance für Finanzmärkte und Hausbesitzer, auch der Einkaufstourismus könnte betroffen sein.
04.05.2024, 12:5707.05.2024, 10:16
Niklaus Vontobel / ch media
Mehr «Wirtschaft»
Zinsen, Inflation: Vor dem Abgrund: Wehe, die Zentralbanken vertun sich mit ihrer Zinspolitik
Vor dem Abgrund: Wehe, die Zentralbanken vertun sich mit ihrer ZinspolitikBild: gary waters/imago

Die US-Notenbank Fed hat am Mittwoch erneut über ihren Leitzins entschieden. Da die Inflation zuletzt enttäuschend hoch ausfiel, gab es keine Senkung. Die Börsen hatten dies erwartet und rechnen für das Gesamtjahr nicht mehr mit einer starken Lockerung wie noch vor kurzem. Neu wetten sie auf einen einzigen Zinsschritt.

Dieser Umschwung ist kurioserweise die Folge davon, wie die USA ihre Inflation messen. Doch dieses statistische Problem könnte global Folgen haben, auch hierzulande für Konsumenten und Hausbesitzerinnen. Der Chef von Italiens Zentralbank warnt vor einem Rückfall auf ultratiefe Zinsen.

Der Reihe nach. Mit Corona stieg die Inflation auf ein Rekordhoch von 9 Prozent. Dann ging es schnell hinab, nahe an 2 Prozent. Sowohl das schnelle Rauf als auch das schnelle Runter überraschte die Fed. Ein Rätsel. Wie auch immer. Man war dem Ziel von 2 Prozent nahe. Aber die Frage blieb: Sinkt die Inflation auch darunter – und bleibt sie dort auch?

Federal Reserve Board Chair Jerome Powell speaks during a news conference at the Federal Reserve in Washington, Wednesday, May 1, 2024. (AP Photo/Susan Walsh)
Jerome Powell
Fed-Chef Jerome Powell.Bild: keystone

Fed-Chef Jerome Powell war noch im Dezember guter Dinge. Seine Zuversicht liess die langfristigen Zinsen sinken, etwa für Staatsanleihen oder Hypotheken. Doch dann kamen Januar, Februar und März – und die Inflation sank nicht mehr, sie stieg leicht an. Powell zweifelte, die Märkte zweifelten, und die Zinsen gingen wieder hoch.

Die Folgen einer unvollständigen Heilung

Warum das schnelle Rauf und Runter? Warum ging es zuletzt nicht weiter runter? Die frühere Fed-Ökonomin Claudia Sahm hat eine Erklärung, denn anders als Powell hatte sie das schnelle Runter vorhergesagt. Auf ihrem Blog erklärt sie, was noch übrig sei an Inflation, sei die «Folge einer unvollständigen Heilung von Corona.»

Das Paradebeispiel sind Autos. Die Preise von Neuwagen gingen zuerst hoch, als die globalen Lieferketten auseinanderfielen. So konnten die Hersteller nicht mehr mit der Nachfrage mithalten. Die Käufer flüchteten zu den Gebrauchtwagen, worauf deren Preise hochgingen.

Doch die Hersteller waren flink, die Lieferketten bald geflickt und die Produktionsmengen bald hochgefahren – und schon 2022 ging es runter mit den Preisen. Doch Corona war nicht besiegt.

Als Nächstes wurden Ersatzteile teurer, wohl als die Lager leer waren. Danach die Preise von Reparaturen, also dem Verbau der teuren Ersatzteile. Schliesslich gingen die Prämien für die Versicherungen hoch, um sich gegen die teuren Reparaturen abzusichern. Diese Prämien waren zuletzt ein wichtiger Inflationstreiber.

Noch wichtiger ist die unvollständige Heilung bei den Wohnkosten. Wobei diese Wunden nur in der Statistik verbleiben und weitgehend eine Fiktion sind, welche dennoch globale Folgen haben könnte.

Die USA hatten schon vor Corona zu wenig Häuser; mit Corona explodierte die Nachfrage und es hatte viel zu wenig Häuser. 2022 schossen darum die Mieten in die Höhe. Zwei Jahre später ist dieser Schock in der realen Welt zwar abgeklungen, wie man an den neuvermieteten Wohnungen sieht. Aber nicht so in der Statistik.

2022 wirkt bis heute nach bei den Wohnkosten von Hausbesitzern. Diese Kosten sind fiktiv, in der realen Welt zahlt sie niemand. Es werden bloss Hausbesitzer gebeten, die Mietkosten für ihr Heim zu schätzen. Das tun sie mässig gut, ihre Schätzung hinkt anderen Indikatoren zum Wohnungsmarkt um ein Jahr hinterher.

Die Schweiz hätte wieder Negativzinsen

Heute könnten diese fiktiven Wohnkosten dennoch zum globalen Gamechanger werden: Sie sind der wichtigste Grund, warum die Inflationszahlen im Januar, Februar und im März enttäuschend hoch waren. Es wäre anders, wenn die USA so rechnen würden wie die Europäische Union. Dann wäre die US-Inflation schon dort zurück, wo sie vor Corona war – und alle wären beruhigt.

Powell hätte nicht umgedacht. Die Märkte würden noch immer mit kräftigen Zinssenkungen rechnen. Stattdessen orientiert sich Powell an einem Mietenschock von 2022. Er müsste die Messmethode wechseln, es gäbe bessere, aber er wagt es nicht, weil seine Glaubwürdigkeit leiden würde. «Ein riskanter Schritt» sei dies, sagt Sahm, der «globale Folgen haben wird».

Eine Folge könnte sein, dass die EZB darum ebenfalls die Leitzinsen länger oben belässt. Weil der Euro zum Dollar allzu sehr abwerten könnte, wenn sie die Leitzinsen senkt, die Fed aber nicht. Eine solche Euroschwäche würde die Importe verteuern und die Inflation befeuern.

Diese Gefahr sieht auch der Chef von Italiens Zentralbank, Fabio Panetta. In einer Rede rief er darum seine Kolleginnen und Kollegen bei der Europäischen Zentralbank auf, nicht dem Beispiel von Powell zu folgen und nicht länger abzuwarten, sondern die Leitzinsen bald zu senken, ein erstes Mal im Juni.

«Unnötige Verzögerungen könnten uns zu einem späteren Zeitpunkt unangenehm nahe an die effektive Untergrenze bringen», sagte Panetta und meinte damit die Grenze von null Prozent Zins. Die Newsagentur «Bloomberg» titelte: «EZB-Panetta warnt: Leitzinssenkungen sind notwendig, um spätere ultratiefe Zinsen zu vermeiden.»

Panetta sieht eine europäische Wirtschaft, die sich ohnehin in einem wackligen Gleichgewicht befindet und welcher dazu der Gegenwind von staatlichen Sparprogrammen und hohen Zinsen entgegenbläst. Komme nicht bald Hilfe, drohe der Sturz in eine Rezession und eine Deflation, eine zu tiefe Inflation. Sei dies einmal geschehen, werde man den Schaden nicht so schnell kitten können – und extrem tiefe Zinsen würden nötig.

Ultratiefe Zinsen in der Eurozone würden bedeuten, dass die Schweizerische Nationalbank ihren Leitzins wieder in den negativen Bereich drücken müsste. Der Euro würde sonst noch schwächer zum Franken und die Importe wieder so billig, dass die Preise im Durchschnitt stagnieren würden oder gar fallen. Der Einkaufstourismus würde wieder an Schwung gewinnen, Wohneigentümer hätten noch tiefere Zinsen. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
40 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Skunk42
04.05.2024 14:59registriert Februar 2022
Habe als Saron Halter und Hausbesitzer eigentlich kein Problem mit einem 0% Leitzins.
546
Melden
Zum Kommentar
40
Ärger für BMW und VW in den USA wegen verbotener Teile aus China

BMW und Volkswagen haben wegen von einem chinesischen Sublieferanten hergestellter Bauteile politischen Ärger in den USA. Der Vorsitzende des Finanzausschusses im Washingtoner Senat wirft den beiden deutschen Autoherstellern sowie Jaguar Land Rover vor, elektronische Bauteile eines chinesischen Unternehmens verwendet zu haben, dessen Produkte wegen Zwangsarbeitsverdachts nicht in die Vereinigten Staaten eingeführt werden dürfen.

Zur Story