Sechs Jahre nach der grossen Finanzkrise in den USA beendet die Notenbank Federal Reserve (Fed) das grösste Experiment ihrer Geschichte. Mit Anleihekäufen in gigantischem Stil hatte sie die Konjunktur angekurbelt.
Nun hätten sich die Aussichten für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Preisstabilität weiter verbessert, teilte die Zentralbank am Mittwoch mit. Ökonomen und Investoren hatten mit diesem Schritt gerechnet. An der Wall Street hielten sich die Kursverluste im Rahmen. Die weitere Entwicklung aber ist unsicher.
Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Das klassische Mittel der Notenbanken, um eine kriselnde Wirtschaft anzukurbeln, sind Zinssenkungen. Bereits im Dezember 2008 senkte die Fed deshalb den Leitzins faktisch auf null Prozent. Doch die Wirkung blieb aus. In solchen Fällen haben die Notenbanken nur eine Alternative: eine quantitative Lockerung ihrer Geldpolitik, im Fachausdruck Quantitative Easing (QE).
Konkret bedeutet dies, dass die Zentralbanken im grossen Stil Wertpapiere und Staatsanleihen aufkaufen. Die Geschäftsbanken erhalten dadurch frisches Geld, dass sie als günstige Kredite an Unternehmen und Private ausleihen sollen, um die Wirtschaft zu stimulieren. Unter dem früheren Fed-Chef Ben Bernanke und seiner Nachfolgerin Janet Yellen wurden seit 2009 drei QE-Programme durchgezogen. Sie haben die Bilanzsumme des Fed auf 4,5 Billionen Dollar (in Zahlen 4'500'000'000'000) aufgebläht. Vor der Finanzkrise betrug sie weniger als eine Billion.
Eine lockere Geldpolitik wird umgangssprachlich als «die Notenpresse anwerfen» bezeichnet. Doch derart gigantischen Summen lassen sich in nützlicher Frist gar nicht drucken. Das Geld fliesst rein virtuell. Dies ist möglich, weil der Zahlungsverkehr heutzutage elektronisch abgewickelt wird.
Jahrelang entwickelte das Quantitative Easing nur geringe Wirkung, doch in den letzten Monaten hat die Konjunktur in den USA deutlich zugelegt. Das Wirtschaftswachstum dürfte 2014 rund drei Prozent betragen, die Arbeitslosenquote sank im September auf 5,9 Prozent. Für die Fed ist deshalb der Zeitpunkt gekommen, das QE zu beenden. Wie weit es tatsächlich geholfen hat, ist heftig umstritten. Kritiker meinen, die Geldzufuhr werde zu neuen Blasen an den Finanzmärkten führen.
Allerdings hat sich die grösste Befürchtung, eine hohe Inflation, nicht bewahrheitet. Der Dollar ist in letzter Zeit erstarkt und die Teuerung liegt mit 1,5 Prozent sogar unter dem Fed-Zielwert von zwei Prozent. Für die Notenbanker steht deshalb fest, dass QE ein Erfolg war. Doch niemand weiss warum. «Das Problem des QE ist, dass es in der Praxis funktioniert, aber nicht in der Theorie», witzelte Ben Bernanke.
Die Nagelprobe aber steht noch bevor. In absehbarer Zeit muss die Fed die Trendwende einleiten, sprich die Zinsen erhöhen. Weil der Aufschwung fragil bleibt und sich kaum auf die Löhne ausgewirkt hat (ausgenommen jene ganz oben), dürfte dieser Schritt nur sehr zaghaft erfolgen, frühestens ab Mitte 2015. Der frühere Fed-Chef Alan Greenspan, dessen Tiefzinspolitik als Hauptursache für die Finanzkrise gilt, hält es für unwahrscheinlich, dass sich Turbulenzen vermeiden lassen. «Ich glaube nicht, dass dies möglich ist», sagte er am Mittwoch in New York.
Die erstarkte US-Wirtschaft ist ein Lichtblick, denn andernorts sieht es düsterer aus. Der zaghafte Aufschwung in der Eurozone hat sich bereits verflüchtigt, auch in China hat sich das Wachstum abgeschwächt. Auf die durchzogenen Perspektiven der Weltwirtschaft ging die Fed bei ihrem Entscheid vom Mittwoch nicht ein. Sollte sich die Lage nicht deutlich verbessern oder sogar weiter verschlechtern, halten Experten ein viertes QE-Programm in den USA für sehr wahrscheinlich.
Die Bank von England setzt seit 2009 ebenfalls auf Quantitative Easing. Mit Erfolg, die britische Wirtschaft hat einen Aufschwung erlebt, dessen Nachhaltigkeit von Experten allerdings bezweifelt wird. Weit geringer ist der Spielraum der Europäischen Zentralbank (EZB), trotz schlechter Konjunkturlage in der Eurozone. Europa droht eine Deflation mit fallenden Preisen, ausbleibenden Investitionen, sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosigkeit.
EZB-Chef Mario Draghi kündigte am Treffen der Notenbanker in Jackson Hole umfassende Massnahmen gegen eine solche «Todesspirale» an. Am Montag lancierte die EZB ein Kaufprogramm für Pfandbriefe, das Analysten als Tropfen auf den heissen Stein bezeichnen. Für ein QE nach US-Vorbild fehlen Draghi die gesetzlichen Grundlagen. Der grösste Widerstand kommt von den Deutschen. Sie fürchten, dass eine Geldschwemme den Spar- und Reformdruck auf die überschuldeten Euroländer erlahmen lässt.
Ein Wirtschaftsaufschwung in den USA und ein erstarkter Dollar sind positiv für die Exportwirtschaft. Anders sieht es aus, wenn die EZB ebenfalls auf Quantitative Easing setzt. In diesem Fall dürfte der Euro und damit auch der Mindestkurs von 1.20 Franken unter Druck geraten. Die Nationalbank konnte ihn in den letzten Jahren relativ problemlos verteidigen. Vermutlich müsste sie an den Devisenmärkten intervenieren.
Eine Zinswende ist bei einem solchen Szenario nicht in Sicht. Höhere Hypothekarzinsen wären kein Thema, womit aber auch die Gefahr einer Immobilienblase zunehmen würde.