Das Internet stellt die Reisebüro-Branche auf den Kopf
Gross geworden ist die Markus Flühmann AG mit dem Versand von Reisekatalogen. 2001 erzielte das Logistikunternehmen mit Sitz in Merenschwand AG noch 95 Prozent des Umsatzes mit diesem Geschäft. Heute sind es noch 35 Prozent. «Der Strukturwandel in der Reisebranche hat uns gezwungen, neue Geschäftsfelder zu erschliessen», sagt Firmengründer Markus Flühmann der «Nordwestschweiz».
Mit «Strukturwandel» meint Flühmann das Reisebürosterben in der Schweiz. 2002 gab es hierzulande insgesamt 3693 Reisebüros. Ende 2014 waren es noch 2025. Mit jedem Reisebüro, das wegfiel, verlor die Markus Flühmann AG einen Kunden, der beliefert werden konnte. «Um trotzdem zu wachsen, vertreiben wir heute Prospekte von Unternehmen aus vielen verschiedenen Branchen», sagt Flühmann. Ein wichtiger Kunde sei zum Beispiel die Grossbank UBS.
Rote Zahlen hüben wie drüben
Das Beispiel des 40-Mann-Betriebs zeigt, wie vielfältig die Auswirkungen sind, welche die Krise in der Reiseindustrie ausgelöst hat. Auch die Geschäftsergebnisse der grössten Schweizer Reiseveranstalter führen Jahr für Jahr vor Augen, wie schwierig das Umfeld geworden ist: Die Migros-Tochter Hotelplan zum Beispiel hat seit der Jahrtausendwende ein Umstrukturierungsprogramm nach dem anderen durchgeführt. Verschiedene Ländergesellschaften wurden aufgegeben, der Umsatz hat sich halbiert.
Beim Schweizer Branchenprimus Kuoni war der Umbruch noch radikaler. Das Reiseunternehmen mit einer 109-jährigen Firmengeschichte löste sich Schritt für Schritt vom traditionellen Reisegeschäft los und erschloss neue Geschäftsbereiche. Unter anderem stieg Kuoni ins lukrative Visa-Geschäft ein. Konkret bearbeitet das Traditionsfirma für zahlreiche Länder die Visa-Anträge.
Gestern nun gab Kuoni die endgültige Trennung von seinen Wurzeln bekannt: Das Unternehmen gibt sein Kerngeschäft, die Organisation von Reisen für Privatpersonen auf. Privatpersonen werden damit schon bald einmal keine Reisen bei Kuoni mehr buchen können.
Die Ursache hat drei Buchstaben
Kuoni ohne Reisebüros. Das ist in etwa so, wie wenn die Migros mitteilen würde, sämtliche Läden zu verkaufen. Wie konnte es soweit kommen? Der Grund lässt sich in drei Buchstaben zusammenfassen: WWW – World Wide Web. Der Siegeszug des Internets hat die Reisebranche auf den Kopf gestellt wie kaum eine andere Industrie. Für viele Reisewillige ist das Internet längst zum vertrauten Buchungskanal geworden. Auch die ältere Generation vergleicht Preise von Flügen, Hotels oder Mietautos auf Online-Portalen.
Das Problem bei den Onlinebuchungen: Die Preistransparenz ist hoch, die Margen klein. Wirklich Geld verdienen lässt sich nur, wenn man eine gewisse Grösse erreicht. Da haben Reiseunternehmen mit dem kleinen Heimmarkt Schweiz einen natürlichen Wettbewerbsnachteil. Dazu sagte Kuoni-Verwaltungsratspräsident Heinz Karrer gestern an der Medienkonferenz in Zürich: «In der globalen Reiseindustrie wird aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung die Grösse und die weltweite Präsenz eines Reiseveranstalters immer wichtiger.»

Nicht alle leiden
Trotz des schwierigen Umfelds: Tot ist die klassische Reiseindustrie nicht. Reisebüros und Reiseveranstalter müssen heute aber bessere Argumente haben, damit die Kunden bei ihnen buchen. «Mit einer klaren Fokussierung auf eine bestimmt Region oder eine bestimmte Zielgruppe lässt sich noch immer Geld verdienen», sagt Walter Kunz, Geschäftsführer des Schweizer Reise-Verbands.
Beste Beispiele dafür sind die Knecht Reisegruppe und Globetrotter. Knecht ist in den letzten Jahren durch die Übernahme von kleineren Reiseunternehmen, die sich auf gewisse Regionen oder Aktivitäten spezialisiert haben, stetig gewachsen. Und Globetrotter hat sich als kompetenter Berater von massgeschneiderten Individualreisen einen Namen gemacht. Beide Unternehmen verdienen gutes Geld. (trs)