Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und Wirtschaftsminister Joseph Deiss bei der Unterzeichnung der Bilateralen II im Oktober 2004. Bild: KEYSTONE
Das Schweizer Ja zur Zuwanderungs-Initiative gefährdet die bilateralen Verträge mit der Europäischen Union. Von diesen hat die Schweiz in verschiedenen Bereichen profitiert.
Am Tag nach dem Ja zur SVP-Initiative «gegen Masseneinwanderung» sind aus EU-Kreisen harsche Töne zu vernehmen. Als Gegenleistung für die Personenfreizügigkeit habe die Schweiz Zugang zum europäischen Markt erhalten, sagte der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn am Montag in Brüssel. «Und wenn das eine fällt, dann fällt auch das andere.»
Mit anderen Worten: Die bilateralen Verträge mit der EU sind gefährdet. Diese haben der EU Vorteile verschafft, mehr noch aber der Schweiz. Das sind die wichtigsten Bereiche:
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Sie ist der Zankapfel, der zur Lancierung der Initiative geführt hat. Das Freizügigkeitsabkommen ermöglicht es Arbeitgebern in der Schweiz, unbürokratisch EU-Bürger zu rekrutieren. Umgekehrt profitieren auch Schweizerinnen und Schweizer: Rund 450'000 leben und arbeiten in der EU.
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Das Abkommen fördert den Austausch von Studierenden, Lehrlingen, Schülern und Lehrpersonal. Die EU betrachtet es als Teil der Personenfreizügigkeit. Die Schweiz strebt die Beteiligung an der künftigen Generation «Erasmus+» an. Ein hoher EU-Diplomat drohte mit der Sistierung der Verhandlungen für den Fall, dass die Schweiz die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien suspendiert.
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Die Schweiz ist an den Forschungsprogrammen der EU beteiligt. Sie hat bislang mehr Geld von der EU bezogen, als sie selber einbezahlt hat. Angestrebt wird deshalb die Teilnahme an der neuen Programmgeneration «Horizon 2020». Auch diese Verhandlungen könnten nun wegen Kroatien auf Eis gelegt werden. Ausserdem droht die Schweiz, die Federführung bei Prestigeprojekten wie dem Human Brain Project der ETH Lausanne (Bild) zu velieren. Es gehört zu den EU-Flaggschiffprojekten, die mit über einer Milliarde Euro unterstützt werden.
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Mit diesem für die Wirtschaft sehr wichtigen Abkommen werden die Vorschriften für Produkte aus der EU und der Schweiz gegenseitig anerkannt. Schweizer Hersteller erhalten dadurch den gleichen Zugang zum Binnenmarkt wie ihre EU-Konkurrenten. Sie profitieren von tendenziell sinkenden Kosten und einem Zeitgewinn bei der europaweiten Vermarktung neuer Produkte.
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Das Abkommen vereinfacht den Handel mit Agrarprodukten durch Zollabbau und der Abschaffung von Kontingenten. Ein Beispiel ist der Käsehandel, der 2007 vollständig liberalisiert wurde. Bei einem Wegfall dürfte etwa der Emmentaler in der EU teurer werden. Ausserdem werden bestimmte Vorschriften als gleichwertig anerkannt. Davon profitieren Wein und Spirituose, die biologische Landwirtschaft, Futtermittel und Saatgut.
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Die Schweiz öffnet ihr Strassen- und Schienennetz für den Transport von Personen und Gütern aus der EU. Dies hat zu einer starken Zunahme des Lastwagenverkehrs geführt. Seit 2005 sind 40-Tönner in der Schweiz zugelassen. Doch sie trägt nicht nur Lasten: Im Gegenzug hat Brüssel das Verlagerungsziel von der Strasse auf die Schiene sowie die Einführung und stufenweise Erhöhung der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) akzeptiert.
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Schweizer Fluggesellschaften haben dank dem Abkommen Zugang zum EU-Luftverkehrsmarkt erhalten – und umgekehrt. Flugpassagiere profitieren dadurch von tendenziell tieferen Preisen und einer grösseren Auswahl an Flugverbindungen. Auch können Schweizer Airlines innerhalb der EU-Staaten Ziele ansteuern ohne Start oder Landung in der Schweiz – ein grosser Vorteil für die Lufthansa-Tochter Swiss.
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Das Abkommen hat nicht nur die Personenkontrollen an den Grenzen zwischen den Schengen-Staaten aufgehoben. Die Schweiz ist auch an das europaweite Fahndungssystem SIS angeschlossen. Das Schengen-Visum ist zudem wichtig für den Schweizer Tourismus. Es ermöglicht Reisenden aus Wachstumsmärkten wie China, ohne zusätzliche Formalitäten neben Paris und Rom auch Luzern zu besuchen.
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Zu Schengen gehört auch das Dubliner Asylabkommen. Es legt fest, dass ein Asylgesuch nur in dem Staat geprüft werden muss, in dem ein Asylbewerber erstmals registriert wurde. Dank der elektronischen Fingerabdruck-Datenbank Eurodac können Personen, die mehrere Asylgesuche stellen, identifiziert und an den zuständigen Staat weitergeleitet werden. In der Praxis führt das häufig zu Problemen, vor allem mit Italien.
Eine Aufkündigung von «Dublin» wäre trotzdem einschneidend: Ein in der EU abgewiesener Asylbewerber könnte in die Schweiz ausweichen und hier ein neues Gesuch stellen. Mario Gattiker, der Direktor des Bundesamtes für Migration, warnte im Januar, die Schweiz könne zu einer «Asylinsel in Europa» werden.
Die Aufstellung zeigt: Die Schweiz hätte bei einer Aufkündigung der Bilateralen viel zu verlieren. «Bern ist von Brüssel abhängiger als je zuvor», schreibt die NZZ. Dabei strebt sie weitere Abkommen an, etwa die Integration in den europäischen Strommarkt. Die Verhandlungen befinden sich eigentlich auf der Zielgeraden. Doch am Dienstag teilte die EU-Kommission mit, das weitere Vorgehen müsse nach der Abstimmung vom Sonntag «im grösseren Kontext der bilateralen Beziehungen analysiert werden».