Kilian Kraus ist seit knapp 20 Jahren Airline-Pilot und steht seit 2018 dem Aeropers-Verband als Präsident vor, der rund 1500 Swiss- und Edelweiss-Piloten vertritt. Er versucht, seine Mitglieder durch die schwierigste Krise der Luftfahrtgeschichte zu führen. Doch vor wenigen Tagen kam es zum Eklat. Die Swiss kündigte den Gesamtarbeitsvertrag per 2022, da man sich über Corona-Sparmassnahmen nicht einigen konnte. Gleichzeitig steht die europäische Aviatik praktisch still.
Wie oft fliegen Sie derzeit?
Kilian Kraus: Ich bin in den letzten zwölf Monaten so viel wie normalerweise in einem Monat geflogen. Ich hatte im Januar das Glück, zwei Langstrecken fliegen zu können. Aber die nächsten sind frühestens im April geplant.
Wohin ging es?
Nach Havanna und Punta Cana. Diese Edelweiss-Flüge waren gut gefüllt. Da sieht man, dass die Leute raus möchten, sobald die Grenzen offen sind. Die Sehnsucht nach Ferien im Ausland ist gross.
Sie sitzen während des Flugs vorne im Cockpit. Trotzdem: Herrscht an Bord eine andere Stimmung als sonst?
Wenn ich mal nach hinten gehe, sitzen halt alle Passagiere mit Maske da. Das ist nach wie vor ein ungewohntes Bild. Und manchmal haben Passagiere kein Verständnis für die Maskenpflicht, aber solche Situationen hat unser Kabinenpersonal gut unter Kontrolle.
Geht in dieser Krise die Freude am Piloten-Job etwas verloren?
Im Gegenteil. Wenn man so wenig wie jetzt fliegt, dann wird der Beruf wieder etwas Besonderes. Andererseits fehlt die Routine, also geht man die Arbeit mit noch mehr Konzentration an.
Die Aviatik, insbesondere in Europa, steht praktisch still. Wie beunruhigend ist das für die Piloten?
Enorm, es geht um die Existenz. Manchmal denke ich an den Februar 2020 zurück als erste Meldungen aus Wuhan kamen und wir überlegten, inwiefern das die Shanghai- und Peking-Flügen betreffen könnte. Und dann ging alles so schnell.
Seit dieser Woche hat auch die Schweiz verschärfte
Einreiseregeln. Ein negativer PCR-Test ist nötig. Wie beurteilen Sie die
bisherige Strategie der Schweiz mit Blick auf die Aviatik?
Da will ich mir kein Urteil anmassen. Wichtig ist einfach, dass die Luftfahrt nicht vergessen geht. Nicht das Reisen ist das Problem, sondern das Nicht-Einhalten der Schutzmassnahmen.
Werden die Corona-Tests in den nächsten Jahren zum festen Bestandteil Ihrer Arbeit gehören?
Das Schlüsselelement wird die Impfung sein. Viele Länder werden dies zur Einreisebedingung machen. Dann sind die Coronatests nicht mehr zwingend, höchstens für jene, die sich nicht impfen lassen wollen. Und klar, der Druck für unsere Crew sich impfen zu lassen, wird damit steigen. Ich bin fürs Impfen, aber ich finde, das sollte freiwillig sein.
Im Cockpit ist das Social Distancing nicht möglich. Wie schützen Sie sich also während eines Fluges?
Vor manchen Flügen müssen wir Coronatests machen. So hat man eine gewisse Sicherheit, dass der Cockpit-Partner nicht infiziert ist. Aber klar, sicher ist nichts. Wir desinfizieren auch die Knöpfe. Eine Maske während des Fluges zu tragen, geht nicht. Das wäre ein Sicherheitsrisiko, denn die Kommunikation zwischen den Piloten geschieht auch über die Mimik.
Die Swiss fordert angesichts der Krise signifikante Zugeständnisse vom Personal. Doch die Verhandlungen endeten kürzlich im Eklat: Die Swiss hat den Gesamtarbeitsvertrag per 2022 gekündigt. Wie gross ist die Ernüchterung?
Die Vertragskündigung durch die Swiss ist für mich ein krasser, unvernünftiger Fehlentscheid. Es ist der Tiefpunkt in unserer Sozialpartnerschaft und das zum ungünstigsten Zeitpunkt. Ihr Entscheid ist demotivierend und desillusionierend für die Piloten.
Dieser Knatsch hat sich abgezeichnet. Das Kabinenpersonal und die Edelweiss-Piloten konnten sich rasch mit der Firma auf neue Verträge einigen. Ihr Verband verhandelte hingegen seit Monaten …
Das sehe ich anders. Unser Verband hat innerhalb weniger Tage eine Einigung mit der Edelweiss erreicht. Wir waren bei der Swiss zu grossen Zugeständnissen bereit, denn wir sind uns bewusst, dass sich die Fliegerei stark verändern wird. Aber als Mitarbeitende braucht man auch eine Perspektive. Und diese wollte uns die Geschäftsleitung nicht geben.
Ihr Gesamtarbeitsvertrag stammt aus der Hochkonjunktur. Das Argument der Swiss, dass dieser nicht krisentauglich ist, scheint da nachvollziehbar.
Der Vertrag wurde in einer guten Phase ausgehandelt, aber wir konnten damals nur erreichen, dass der Status Quo des früheren Vertrags erhalten bleibt. Trotzdem haben wir uns nach Pandemieausbruch sofort mit der Swiss zusammengesetzt und innerhalb einer Nacht liquiditätssichernde Massnahmen beschlossen. Und ein grosser Teil unseres Lohns ist variabel. Der fällt in der Krise weg. Allein damit hat die Swiss letztes Jahr rund 20 Prozent unserer Lohnkosten gespart. Und dann noch 20 Prozent dank der Kurzarbeit.
Dennoch: Wieso konnte sich die Swiss mit den anderen Angestellten einigen, aber nicht mit den Piloten?
Das frage ich mich ebenso. Wir vertreten ja auch die Piloten der Schwester-Airline Edelweiss, und dort fanden wir eine Lösung innerhalb von wenigen Tagen. Ich vermisse bei der Swiss das Schweizer Sozialpartnerschaftsprinzip, das mir als Kind von meinem Lehrer in Deutschland erklärt wurde, als in der Automobilbranche gestreikt wurde. Da hiess es, in der Schweiz würde sowas nicht passieren, dort gelte das Prinzip «Geben und Nehmen». Bei der Swiss funktioniert das aber nicht. Mir fehlt seit längerem dieser Schweizer Umgang seitens der Geschäftsführung.
Inwiefern?
Das Management stellt Forderungen zu GAV-Elementen, die der Firma schon seit vielen Jahren ein Dorn im Auge sind. Es geht der Swiss nicht um die Bewältigung der Krise, sondern um eine generelle Herabstufung der Arbeitsbedingungen.
Heute ist jede Karriere- und Lohnstufe eines Swiss-Piloten auf Jahre hinaus vordefiniert. Ex-Swiss-Chef Harry Hohmeister sprach von einem «Beamtenstadel». Ist dieses System nicht veraltet?
Dieses sogenannte Senioritätsprinzip ist auch bei vielen anderen Airlines ein Grundprinzip. Dadurch sind die Piloten aber auch auf Gedeih und Verderb an die Firma gekettet. In guten Zeiten bleiben die Piloten der Firma treu, weil sie bei einer anderen Airline wieder unten anfangen müssten. Davon profitiert die Firma. In schlechten Zeiten kann sie die Treue dann aber ausnutzen.
Piloten wird es auf Jahre hinaus weniger benötigen. Ihre Verhandlungsposition ist geschwächt.
Wie bis sich unsere Verhandlungsposition in den nächsten Monaten entwickelt, weiss niemand. Die Lage ist derart volatil, dass zwischen Boom und Flottenabbau alles möglich erscheint. Aber wir strecken unsere Hand aus und versuchen die Swiss-Geschäftsleitung zu überzeugen, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen. Dieses Angebot bleibt bestehen.
Welche Vorwürfe machen Sie sich selbst?
Natürlich haben wir unsere Strategie hinterfragt. Aber wir mussten feststellen, dass die Swiss scheinbar nie an einer temporären Einigung interessiert war. Sie hatte uns bereits im August gesagt, dass sie den GAV kündigen wird. Wir kamen ihr deshalb entgegen, nahmen sogar, entgegen dem Kündigungsschutz im GAV, Kündigungen in Kauf. Aber nichts war ihr genug.
Die Swiss wird bestimmt gesagt haben: Unsere Piloten verdienen immer noch sehr gut, je nach Dienstjahr bis zu 200'000 Franken, und wir bezahlen alle Pensionskassenbeiträge. War also die Lohnfrage der grosse Stolperstein?
Moment! Die Pensionskassenbeiträge mussten die Piloten einst mit einer Lohnkürzung bezahlen. Das möchte ich klarstellen. So grosszügig ist sie also nicht. Und der Einstiegslohn beträgt 76'000 Franken. Natürlich waren Lohn und Pensionskasse ein Thema, aber nicht nur. Wir waren auch zu verordneter Teilzeit, Lohn- und PK-Abzügen bereit. Aber die Forderungen der Swiss entsprachen je nach Szenario einer Reduktion der Ausgaben für das Personal im Cockpit von über 45 Prozent. Das ging uns zu weit.
Welche Rolle spielte der neue CEO Dieter Vranckx, der seit Anfang Jahr im Amt ist?
Er ist in den Verhandlungen nicht aufgetaucht. Insofern weiss ich nicht, welche Rolle er spielte, aber als CEO trägt er die Verantwortung für den Entscheid mit. Fakt ist, dass die Gespräche mit seinem Vorgänger Thomas Klühr in Richtung temporäre Massnahmen zielten und nicht in Richtung GAV-Kündigung.
Die Swiss will auch künftig in der Krise Flüge an die günstigere Helvetic Airways auslagern. War dies ebenfalls ein Stolperstein?
Natürlich stört uns das. Es ist unverständlich, dass Entlassungen drohen, die Swiss – als einzige Airline im Lufthansa-Konzern – aber gleichzeitig Flüge auslagert. Wir liessen uns vor einigen Jahren auf einen Deal mit Ex-Swiss-Chef Harry Hohmeister ein. Er wollte mehr Flüge auslagern, und im Gegenzug erhielten die Swiss-Piloten einen Kündigungsschutz für den Fall, dass die Swiss irgendwann zu viele Piloten hätte. Nun will die Swiss den Kündigungsschutz aufheben, an der Helvetic-Kooperation aber festhalten.
Stimmt es, dass der Kündigungsschutz bis 2023 läuft, also ein Jahr über das Ende des GAV hinaus?
Ja, das ist korrekt.
Das ist also Ihr Trumpf in den Verhandlungen: Dass die Swiss bis 2023 keine Piloten entlassen kann.
Das ist für die Piloten grundsätzlich eine relativ komfortable Ausgangslage, aber das hilft der Firma natürlich nicht. Wir sind selbstverständlich stark interessiert daran, dass die Swiss die Krise überlebt, und das wird möglicherweise nicht ohne Entlassungen gehen, dessen sind wir uns völlig bewusst. Aber wir möchten die Zusicherung, dass die eigenen Piloten wieder eine Anstellung erhalten, wenn sich der Markt erholt, und dass nicht dass günstigere Piloten von extern geholt werden.
Inwiefern erhoffen Sie sich Unterstützung aus der Politik?
Wir wünschen uns, dass die Schweizer Luftfahrtstiftung der Swiss empfiehlt, mit uns nochmals an den Verhandlungstisch zu sitzen. Sie wurde schliesslich von der Politik geschaffen, die Einhaltung des Kreditvertrags zu überwachen. Der Standort Schweiz darf nicht über Gebühr belastet werden. Doch nun bahnt sich an, dass wir mehr abgeben sollen als unsere Kollegen in Deutschland. Die Forderungen der Swiss sind eine gravierende Ungleichbehandlung. Das sollte auch der Politik zu denken geben.
Die Politik hat zuletzt eine Klimasteuer für Flüge beschlossen. Eine gute Lösung?
Ich finde nicht. In der Schweiz wird nun einfach das Fliegen generell teurer gemacht, ohne Blick aufs Ausland. Mit der Berechnung nach Flugdistanz droht, dass die Leute statt mit der Swiss direkt nach Singapur fliegen, künftig mit Turkish Airlines in Istanbul zwischenlanden, damit sie eine tiefere Ticketsteuer bezahlen müssen. Das hilft der Umwelt nicht und schadet den Schweizer Airlines. Die österreichische Lösung mit einem einheitlichen Tarif und einem festgelegten Minimum-Ticketpreis erachte ich als sinnvoller.
Sie sind seit knapp 20 Jahren Pilot. Entspricht Ihr Job Ihren Erwartungen von früher, als Sie als Kind vom Fliegen träumten?
Dass es in der Aviatik Hochs und Tiefs gibt, wurde uns schon in der Flugschule gesagt. Aber die Häufigkeit und Ausprägung haben zugenommen. Und damals war nicht klar, dass die Billigfliegerei derart boomen würde. Und ich würde heute jedem empfehlen, sich ein zweites Standbein zu erarbeiten.
Zum Beispiel als Lokführer?
Warum nicht? Wir haben Gespräche zwischen der Swiss und den SBB für einen solchen Jobtausch angestossen, aber die beiden Firmen tun sich bisher schwer, eine gute Lösung zu finden.
Und wenn man langfristig denkt: Braucht es in Zukunft überhaupt noch Piloten?
Das ist definitiv eine Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Wer heute eine Pilotenausbildung startet, wird bestimmt erleben, dass nur noch ein Pilot im Cockpit sitzt statt zwei. Und sobald es sicherheitstechnisch möglich ist, werden die Airlines aus Kostengründen auch den letzten Piloten aus dem Cockpit entfernen. Irgendwann braucht es uns nicht mehr.
Würden Sie einem Teenager heute raten, Pilot zu werden?
Wenn er oder sie 15 Jahre alt ist, dann würde ich sagen: Warte noch ein paar Jahre. Der Beruf hat nach wie vor tolle Facetten, aber er hat an Wertschätzung verloren. Viele Kollegen von mir fliegen bei Billigairlines und für sie ist es in erster Linie ein Job, keine Passion mehr. Und in diese Richtung geht es auch bei der Swiss.
Keine Spur mehr vom Glanz wie zu Pan-Am- oder Swissair-Zeiten?
Diesen Piloten-Glanz kenne ich nur aus Hollywood-Filmen wie «Catch Me if You Can». Diese Zeiten sind lange her.
Stören Sie Klischees, wie man sie von früher kennt oder aus Filmen, in denen Piloten charmante Draufgänger-Typen sind, die Affären mit Flight Attendants haben?
Es stört mich, wenn die Leute denken, dass wir wirklich ständig an Poolpartys oder am Strand sind. Bei der Swissair ging es in den Verhandlungen vielleicht noch darum, einen zusätzlichen Freitag fürs Tennisspielen zu haben. Aber heute geht es bloss noch um die nötige Erholung der Piloten, damit wir nicht übermüdet im Cockpit sitzen. Natürlich fliegen wir an schöne Orte, die wir geniessen können. Aber es gibt viele einsame Nächte, wo wir nicht zu Hause sind. Als junger Pilot, der unbedingt Langstrecke fliegen wollte, sagte mir mal eine ältere Kollegin: Auf langen Flügen lernst du, dich mit dir selbst zu beschäftigen und mit Einsamkeit umzugehen. Das ist tatsächlich so.
Das Draufgänger-Image wurde zuletzt wieder thematisiert nach dem tragischen Absturz der Ju-Air.
Wie schwer ist der Drahtseilakt im Cockpit zwischen dem gesunden, nötigen Selbstvertrauen und überbordender Arroganz als Herr der Lüfte? Am wichtigsten ist die Firmenkultur, die das Draufgängertum nicht fördert. Bei Airlines ist es wichtig, dass der wirtschaftliche Druck nicht auf die Piloten überwälzt wird, denn dann droht die Sicherheit zu leiden.
Haben Sie selbst mal eine brenzlige Situation erlebt?
Ich musste auch schon mal wegen eines technischen Problems in Mailand landen statt in Zürich. Aber richtig heikel wurde es zum Glück nie. Ich hatte auch noch nie eine Geburt oder einen Todesfall an Bord. Emotional war hingegen ein Ausschaffungsflug, als ich den Passagier mit Hand- und Fussfesseln sah. So was gibt einem zu denken.
Ein Klischee, das noch immer Realität ist: Piloten sind meistens Männer. Weshalb?
Der Anteil der Frauen nimmt langsam zu. Aber es stimmt, sie sind noch immer eine klare Minderheit im Cockpit. Bei vielen Airlines, auch bei der Swiss, gibt es leider noch immer keine familienfreundliche Teilzeitmodelle, was bestimmt helfen würde. Ich persönlich finde es angenehm, wenn neben mir ab und zu eine Frau sitzt. Da ergeben sich andere Gespräche während des Flugs. Man spricht dann nicht bloss über Autos und Fussball, sondern übers Leben.
Wenige tausend Arbeitnehmer die lauter jammern als hunderttausend andere, denen es gerade richtig dreckig geht.
#firstworldproblems
Aber die Swiss Sichts gibts dann schon noch, gäll liebes Watson 😘