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«Für gleichen Lohn im Lidl an der Kasse» – Debatte um neue Gastro-Löhne

Kellner
Die Arbeitstage in der Gastronomie sind lang, Wochenendarbeit oft Normalität.Bild: Shutterstock

«Für gleichen Lohn im Lidl an der Kasse sitzen» – die Debatte um höhere Gastro-Löhne

23.08.2023, 11:5723.08.2023, 15:49
Ralph Steiner
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3582 Franken monatlich für Ungelernte, 4369 Franken für Mitarbeitende, die eine Lehre (eidgenössisches Fähigkeitszeugnis) absolviert haben. Das sind die Mindestlöhne im Gastgewerbe laut Gesamtarbeitsvertrag. Die Marktlöhne liegen teilweise höher – und könnten mittelfristig ansteigen. Laut einer Erhebung der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich in den nächsten 12 Monaten um rund 3,8 Prozent.

Dafür verantwortlich ist der Mangel an Arbeitskräften; die Verhandlungsposition für Service- und Küchenpersonal ist derzeit gut.

Die Vorzüge der Branche hebt auch Casimir Platzer hervor. Die Arbeit im Gastgewerbe habe «viele vorteilhafte und schöne Seiten», sagt der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gastro Suisse auf Anfrage von watson. Im Moment handle es sich zudem um einen Arbeitnehmermarkt, was dem Personal entsprechend erlaube, höhere Löhne zu verlangen.

Casimir Platzer, Praesident Gastrosuisse, an einer Medienkonferenz von Gastrosuisse, am Mittwoch, 24. Februar 2021, in Bern. Gastrosuisse bedauert den Entscheid des Bundesrats, dass die Restaurants vo ...
Casimir Platzer, Präsident von Gastro Suisse.Bild: keystone

Das sagt die Arbeitnehmerseite

Roger Lang von der Arbeitnehmerorganisation Hotel & Gastro Union betont auf Anfrage von watson jedoch, dass die Prognose der Konjunkturforschungsstelle differenziert zu betrachten sei. Topfachkräfte mit qualifiziertem Berufsabschluss könnten die derzeitige Lage am Arbeitsmarkt ausnutzen, weil sie über genug Selbstvertrauen verfügten, höhere Löhne zu verhandeln. Aber:

«Bei rund 50 Prozent der Arbeitnehmenden unserer Branche, die über keinen qualifizierten Berufsabschluss verfügen, wird dies tendenziell eher nicht so sein. Diesen Angestellten fehlen das Selbstvertrauen und teilweise auch die sprachlichen Kompetenzen, um für sich selbst einzustehen. Sie sind aber für einen Gastronomiebetrieb genauso wichtig.»
Roger Lang
Roger Lang von der Arbeitnehmerorganisation Hotel & Gastro Union.Bild: zvg
Was hältst du von den aktuellen Gastro-Mindestlöhnen?

Das sagen die Gastro-Unternehmen

Der von Gastro Suisse angesprochene Arbeitnehmermarkt wird vom Gastronomie-Familienbetrieb Bindella bestätigt. Das Unternehmen, welches in der ganzen Schweiz Lokalitäten betreibt, hat viele offene Stellen, die Lohnforderungen seien aktuell tendenziell höher als in der Vergangenheit, sagt Inhaber Rudi Bindella.

Höhere Lohnforderungen bestätigt auch die Genossenschaft ZFV-Unternehmungen, welche in der ganzen Schweiz zahlreiche Restaurants betreibt. Diese spielen allerdings keine grosse Rolle, weil ein 2021 neu eingeführtes Lohnmodell dafür sorge, «eine ganzheitliche, zeitgemässe, effiziente und leistungsgerechte Vergütung zu gewährleisten». Zudem existiere ein Bewertungsraster, das sicherstelle, dass «Funktionen nicht unterschiedlich bewertet werden».

Auch sei beim ZFV sowohl 2022 als auch 2023 die Lohnsumme um zwei bis drei Prozent erhöht worden, für das Jahr 2024 sei eine weitere Erhöhung der Lohnsumme budgetiert. Der Grossteil der Stellen sei besetzt.

Für Florian Weber, Mitinhaber der Pumpstation Gastro GmbH, die in und um Zürich über ein Dutzend Lokalitäten betreibt, ist die derzeit schlechte Verhandlungsposition als Arbeitgeber nicht von Relevanz. Überall, wo es ging, hat sein Unternehmen auf einen sogenannten Umsatzlohn umgestellt. Mitarbeitende arbeiten selbstständig, auf ihren erreichten Umsatz erhalten sie als Lohn einen Anteil von 7 bis 9 Prozent.

Florian Weber von der Pumpstation Gastro GmbH.
Florian Weber von der Pumpstation Gastro GmbH.Bild: zvg

Diese Praxis steigert gemäss Weber die Motivation der Angestellten, da höherer Umsatz automatisch auch mehr Lohn bedeutet. «Das System ist ein grosser Erfolg, wir haben keine Probleme, Mitarbeitende zu finden, die Leute wollen zu uns arbeiten kommen.» Aus dem finanziellen Anreiz resultiere für den Gast ausserdem ein besserer Service.

Allerdings bestätigt auch Weber den aktuellen Arbeitnehmermarkt, gerade Köche seien sehr gefragt, die grundsätzlich gute Ausgangslage in Verhandlungen treffe zu.

Neuer Gesamtarbeitsvertrag

Das System des Umsatzlohns mag Arbeitnehmervertreter Roger Lang nicht kommentieren. Vielmehr sind er und seine Organisation bestrebt, die Mindestlöhne im Gastgewerbe durch einen neuen Gesamtarbeitsvertrag ganz generell anzuheben. Dass derzeit intensiv nach Personal gesucht werde – gemäss ETH-Befragung bekunden 41 Prozent der Gastronomen Mühe, ihre offenen Stellen zu besetzen –, sei aufgrund der Arbeitsbedingungen logisch. Gerade im Vergleich mit Konkurrenzbranchen wie dem Detailhandel oder der Reinigung falle das Gastgewerbe ab. Lang illustriert dies anhand eines Beispiels:

«Wenn man die Wahl hat, für 4600 Franken pro Monat mit Zimmerstunde, Nacht- und Wochenendarbeit servieren zu gehen oder für den gleichen Lohn im Lidl an der Kasse zu sitzen mit Feierabend um 19 Uhr und freien Sonntagen, dann überlegt man sich zweimal, ob man in der Gastrobranche bleiben möchte.»
Roger Lang von der Arbeitnehmerorganisation Hotel & Gastro Union

Gespräche bezüglich eines neuen Gesamtarbeitsvertrages würden seit 2019 von Gastro Suisse – der Arbeitgebervertretung – verweigert, sagt Roger Lang gegenüber watson. Dies verunmögliche, die Mindestlöhne anzuheben.

Anderer Meinung ist Casimir Platzer von Gastro Suisse. Auf Anfrage heisst es, die Mindestlöhne würden gemäss dem aktuellen GAV jedes Jahr verhandelt.

«Im letzten Jahr hatte man die Mindestlöhne um mehr als den Teuerungsausgleich erhöht und zudem hat es für die Fachkräfte auch noch eine Reallohnerhöhung gegeben. Als eine der einzigen Branchen haben wir auch für 2024 bereits einem vollen Teuerungsausgleich plus einer Reallohnerhöhung zugestimmt.

Zudem haben sich die Löhne im Gastgewerbe in den letzten rund 10 Jahren überdurchschnittlich entwickelt und sind auch im Vergleich mit anderen (gewerblichen) Branchen wettbewerbsfähig. Im Übrigen werden die Mindestlöhne gerade für Branchen-Neulinge angewendet.»
Das Statement von Gastro-Suisse-Präsident Casimir Platzer.

Zur Lohndiskussion sagt Florian Weber von der Pumpstation Gastro GmbH: «Bei guten Löhnen erhältst du gute Mitarbeitende.» Die Genossenschaft ZFV-Unternehmungen nennt sogar eine konkrete Zahl. Ihr Unternehmen zahle bereits seit 2022 bei einem Vollzeitpensum keine Löhne mehr unter 4000 Franken. Auch Bindella zahle «seit Jahren» höhere Löhne als gemäss GAV vorgeschrieben.

Dass es dennoch im Allgemeinen an Personal und im Speziellen auch an Nachwuchs fehlt, an jungen Menschen, die motiviert sind, eine Service- oder Kochlehre zu absolvieren, bestätigt Roger Lang von der Hotel & Gastro Union. Auch die zahlreichen offenen Stellen weisen auf diese Tendenz hin. Wie diesem Problem in Zukunft konkret begegnet werden soll, darin besteht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite derzeit jedoch keine Einigkeit.

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214 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Unicron
23.08.2023 12:27registriert November 2016
Meine Partnerin arbeitet als Köchin und hat momentan 45 Grad in der Küche, die Lüftung läuft nicht richtig und es hat nicht mal ein Fenster. Die Leute brechen fast zusammen und den Chef interessiert es nicht die Bohne.
Schon eine ziemlich kaputte Branche.
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Hosesack
23.08.2023 12:19registriert August 2018
Das es Post-Pandemie Casimir Platzer noch gibt, da würde dem Gastroverband ein neues Gesicht gut tun. Mit ihm hat der Verband einfach ein Glaubwürdikeitsproblem.
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Katerchen
23.08.2023 12:11registriert März 2023
Ich finde es gut, dass Aldi und Lidl als Discounter die Mindestlöhne in den letzten Jahren stark erhöht haben. Dies führt dann auch zu höheren Löhnen in der Gastronomie was ich begrüsse!
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