Hunderte oder gar Tausende von Gastronomen könnten auch drei Jahre danach noch eingeholt werden von den Lockdowns im Jahr 2020. Wie schon geschehen bei Wirt Hans Müller aus der Zentralschweiz (Name der Redaktion bekannt), könnten sie bald Post vom Kanton erhalten und aufgefordert werden, Härtefallgelder über mehrere Zehntausende von Franken zurückzuzahlen. Und wie Müller könnten sie sich sagen müssen: «Wenn es dabei bleibt, muss ich mir einen Privatkonkurs überlegen.»
Solche Briefe dürften bald en masse verschickt werden, befürchtet Casimir Platzer, Präsident von Gastrosuisse. Sein Verband hat bis jetzt bei fünf Kantonen eine «nicht sachgerechte» Rechtsauslegung festgestellt. «Wenn sich das überall durchsetzt, könnte so gut wie jeder Gastrobetrieb, der Härtefallgelder erhielt, diese zurückerstatten müssen.»
Es gehe um existenzbedrohende Beträge, von durchschnittlich 100'000 Franken. Darum hat Gastrosuisse die renommierte Staatsrechtlerin Isabelle Häner mit einem Gutachten beauftragt. Es liegt inzwischen vor – und urteilt hart über einzelne Kantone, die Bundesverwaltung und das Parlament.
Wirt Müller hatte im zweiten Lockdown erneut sein Gasthaus schliessen müssen. Am Takeaway verdiente er etwas, aber nur Peanuts im Vergleich zu seinen Ausgaben für den Strom, die Heizung oder die Versicherungsprämien. Erst gut ein Jahr später, im Herbst 2021, traf das Härtefallgeld ein. Reich wurde Müller damit nicht.
Das Geld entsprach einem Viertel von dem, was er damals an Fixkosten ausgeben musste, während er kaum Einnahmen hatte – er verstand es als «Entschädigung für das damalige staatliche Berufsverbot».
Im vergangenen Frühling erhielt er einen Brief vom Kanton. «Hiermit verfügen wir die Rückzahlung der gewahrten Härtefallgelder.» Anbei finde er die Rechnung für die Rückzahlung. «Bitte begleichen Sie diese mit dem Einzahlungsschein in der Beilage innert 30 Tagen.» Es sind weit über 100'000 Franken. Das Geld müsste Müller aus seiner Pensionskasse nehmen oder dann Privatkonkurs anmelden.
Er habe gegen das «Verwendungsverbot» verstossen. Gemäss Kanton hätte er das Härtefallgeld nur behalten dürfen, wenn er das Gasthaus nach Erhalt des Härtefallgeldes drei Jahre weitergeführt hätte. Weil er stattdessen im Alter von über 60 Jahren und nach zwei Krebsoperationen an einen Nachfolger übergab, soll er zahlen.
Müller versteht die Welt nicht mehr. «Ich habe das Geld ja nicht mehr. Ich habe damit nur etwas von dem zurückerhalten, was ich im Lockdown verloren hatte.» Das Härtefallgeld habe wie beabsichtigt geholfen, dass der Betrieb überleben konnte. «Das Gasthaus gibt es noch, auch die AG, mit der ich es betrieben habe, gibt es noch und schafft Arbeit für andere.»
Eine Einstellung des Betriebs kann also als Verstoss gewertet werden. Um abschätzen zu können, was sonst alles so beurteilt wird, hat Gastrosuisse bei der Bundesverwaltung einige Beispiele von echten Betrieben eingereicht. Es zeigte sich, dass selbst alltägliche Vorgänge als Verstoss gelten. Die Rechtsabteilung des Verbands kommt zum Schluss: «Bei einer solchen nicht-sachgerechten Anwendung durch die Behörden könnte es unzählige Fälle geben.»
Einen Verstoss hätte beispielsweise das Ehepaar begangen, das nach 30 Jahren sein Café aufgeben musste, die Möbel verkaufte, und damit einen Gewinn von 9000 Franken machte. Härtefallgeld beziehen und Gewinn machen geht nicht – Verstoss.
Oder die Ehefrau, die nach dem Tod des Ehemanns das Restaurant nicht mehr weiterführen konnte. Die Räumlichkeiten, die ihr gehören, werden steuerrechtlich neu als Privatvermögen erfasst und somit neu zum möglichen Verkaufswert. So entsteht ein buchhalterischer Gewinn – noch ein Verstoss.
Und schliesslich der Einzelunternehmer, welcher 30'000 Franken aus der Firma nimmt, um die Universitätsausbildung seines Sohnes zu finanzieren. Dadurch sinkt das Geschäftsvermögen, was so gewertet wird, als ob der Unternehmer ungerechtfertigt Geld abgezogen hätte aus der Firma – Missbrauch, und damit Rückzahlung des ganzen Härtefallgeldes.
Gastrosuisse will das so nicht hinnehmen. Der Verband sprach beim Bund vor, genauer beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Der Bund finanziert den Kantonen die Härtefallgelder ganz oder teilweise, sofern diese die rechtlichen Bedingungen einhalten. Bei deren Auslegung kommt dem Seco eine wichtige Rolle zu.
Zwei Mal sprach Gastrosuisse dort vor – kam jedoch nicht weiter. Bereits zuvor liess man die Sache bei Staatsrechtlerin Häner abklären. Die Koryphäe für öffentliches Recht sollte den Dingen auf den Grund gehen – und stiess dabei auf gesetzgeberische Schludrigkeiten.
Häner ging die gesamte Gesetzgebung nochmals durch, analysierte Tausende Seiten von parlamentarischen Debatten und die daraus entstandenen gesetzlichen Bestimmungen. Die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers war demnach, dass Härtefallgelder nicht aus dem Betrieb herausgenommen und vom Inhaber verprasst werden dürfen. Für einen Sportwagen oder für Luxusferien in der Karibik. Im Hinterkopf hatten die Parlamentarier dabei die Finanzkrise von 2008, als die Banken ebenfalls staatliche Hilfe bekamen – und sich weiter Millionen-Boni auszahlten.
Das war die Absicht, doch die Umsetzung misslang. Im Gutachten heisst es: «Der Wille des Gesetzgebers zielte zwar auf die Verhinderung der Missbräuche ab, scheiterte jedoch daran, die Verwendungsbeschränkungen entsprechend zu formulieren.» So heisst es im Gesetz nur wenig mehr, als dass keine Dividenden ausbezahlt werden oder Kapitalanlagen rückerstattet werden dürfen. Damit erscheinen die Bestimmungen zunächst klar zu sein. Doch nur auf den ersten Blick.
Der Gesetzgeber hat wohl zu sehr an die Banken gedacht – und dabei Bestimmungen erlassen, die eigentlich nur für Unternehmen zugeschnitten sind, die wie Banken als juristische Personen organisiert sind. Nur weil Banken eigene Aktiengesellschaften sind, können Aktionäre oder Mitarbeitende überhaupt Geld daraus abziehen. Gastrobetriebe dagegen sind oft als Einzelfirmen oder Personengesellschaften aufgestellt. Bei ihnen gibt es gar keine Trennung von privatem und geschäftlichem Vermögen – es gehört sowieso alles dem Inhaber.
Und so ist es laut Gutachten unklar, ob der Gesetzgeber überhaupt an solche Einzelfirmen gedacht hat, als er die Verwendungsbeschränkungen erliess. Im Parlament sei dies mit keinem Wort thematisiert worden. Damit sei auch «nicht klar», ob die Beschränkungen auf Einzelfirmen angewandt werden dürfen und ihnen so böse Überraschungen bereiten, wie dem Zentralschweizer Wirt Müller. Und es geht noch weiter. Die bisherige Rechtsauslegung der Bundesverwaltung wird so ziemlich in Grund und Boden gestampft.
Selbst wenn die Verwendungsbeschränkungen für Einzelfirmen gelten sollen, so müsse tatsächlich ein Missbrauch vorliegen. Das ist demnach nicht der Fall, wenn zum Beispiel ein Café schliessen muss und aus dem Möbelverkauf noch einen Liquidationsgewinn macht oder wenn sich vergleichbare Vorgänge geschäftlich oder sachlich begründen lassen.
Und wenn Geld wirklich missbräuchlich abfliesst, müsse nur dieses Geld wieder zurückgehen. Hingegen wäre eine Rückzahlung des gesamten Härtefallgeldes selbst bei einem Missbrauch nicht verhältnismässig und darum «kaum je erforderlich».
Das Seco erklärt auf Anfrage seine Sichtweise zu einem der umstrittensten Punkte. Dabei beruft es sich auf die Härtefallverordnung und das Subventionsgesetz. Eine Unternehmensaufgabe sei zwar nicht ausgeschlossen. Doch sei es nicht zulässig, wenn dabei ein Liquidationsgewinn oder eine Liquidationsdividende erzielt werde.
Denn diese sei mit einer Gewinnausschüttung gleichzusetzen und damit sei die Hilfe entgegen ihrem Zweck verwendet worden. Dies sei zwar kein Missbrauch, doch seien die Auflagen nicht eingehalten worden. Dies habe eine Rückerstattung bis zur Höhe der erhaltenen Hilfe zur Folge. Man habe die Frage im Detail geprüft, zusammen mit der Eidgenössischen Finanzverwaltung und dem Bundesamt für Justiz.
Auf Seiten von Gastrosuisse gibt sich Präsident Platzer siegesgewiss. «Wenn nötig, gehen wir bis vor das Bundesgericht.» Dort habe man erst vor Kurzem gegen das Seco gewonnen, als das Amt abstritt, dass auch die Ferien durch die Kurzarbeitsentschädigung gedeckt sein müssen. Man werde auch dieses Mal gewinnen. «Das Seco sollte ein Einsehen haben, wenn es nicht wieder mit abgesägten Hosenbeinen dastehen will.» (bzbasel.ch)
Wie kann ein Betrieb überleben, wenn er 400'000 Franken Fixkosten hat, aber aufgrund der Corona-Massnahmen auf ein TakeTakeaway reduziert wird?
Irgendwas stimmt an dieser Darstellung meiner Meinung nach nicht.