Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Zinssenkungen wie erwartet fortgesetzt. EZB-Chefin Christine Lagarde gab am Donnerstag eine weitere Senkung der Leitzinsen bekannt. Der Einlagensatz, zu dem Banken bei der EZB ihr Geld parkieren können, fällt von 3,75 Prozent auf 3,5 Prozent.
We cut our key interest rate by 0.25 percentage points.
— European Central Bank (@ecb) September 12, 2024
We did this because inflation is gradually coming down and has been developing as we expected.
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So weit, so vorhersehbar. Ein Abwarten wäre eine Riesenüberraschung gewesen, eine Senkung galt als sicher. Die Frage ist hingegen, wie weit es von nun an hinuntergehen wird und wie schnell? Für die Schweiz, ihre Nationalbank und ihren neuen Präsidenten Martin Schlegel wird das matchentscheidend sein.
Denn tiefere EZB-Leitzinsen schwächen den Euro und stärken den Schweizer Franken – mit all den hinlänglich bekannten Folgen. Die Konsumenten freut es, denn es wird alles billiger, was aus dem Ausland an Produkten und Dienstleistungen eingeführt wird. Schweizer Reisende freut es, wenn sie in Hotels und Restaurants in Frankreich oder Italien weniger ausgeben müssen.
Als Arbeitnehmer kann es jedoch unangenehm werden. Etwa, wenn man beim Detailhändler angestellt ist, dem die Kundschaft nach Deutschland davon läuft. Oder bei einem Industriebetrieb, dessen Produkte in der Eurozone teurer werden und sich schlechter verkaufen. Oder bei einem Hotel im Kanton Graubünden, dem deutsche und schweizerische Gäste ins günstigere Österreich entgleiten.
Zwischen diesen gegensätzlichen Interessen müssen die SNB und ihr Chef Schlegel irgendwie navigieren. Dabei schreibt ihnen jedoch das Gesetz einen Kurs vor. Sie müssen die Preisstabilität wahren, was konkret eine Inflation innerhalb eines Zielbandes von 0 bis 2 Prozent bedeutet. Wird der Franken also zu stark und sinkt die Inflation unter das Zielband, muss die SNB handeln und tut dies entweder mit Leitzinssenkungen oder mit Frankenverkäufen.
Darum wird Schlegel reagieren müssen, wenn Lagarde die Leitzinsen in den kommenden Monaten zügig senken sollte. Ob Lagarde dies tun wird, weiss natürlich niemand, nicht einmal sie selbst. Denn die EZB-Chefin muss abwarten, wie sich die Inflation entwickelt. Anderes ist bereits heute klar.
Die Inflation im Euroraum ist bisher sehr schnell gesunken. Im Oktober 2022 hatte sie noch einen Höhepunkt von 10.6 Prozent erreicht. Gut ein Jahr später, im September 2023, hat sie noch halb so viel betragen, 5.2 Prozent, und nochmals ungefähr ein Jahr später, im August 2024, sind es noch 2.2 Prozent. Die Inflation fällt also schnell, doch die Leitzinsen der EZB sind noch immer sehr hoch.
Die Ökonomen der Bank J. Safra Sarasin bezeichnen sie als «sehr deutlich im restriktiven Bereich» - sprich, sie schwächen die Wirtschaft stark. Im August ist die Wirtschaft in der Eurozone nur ein klein wenig gewachsen, um 0,2 Prozent - und in Deutschland gar nicht mehr, sie wurde kleiner. Manche Experten befürchten eine Rezession, wenn die EZB nicht bald handelt.
All dies spricht dafür, dass Lagarde deutlich und zügig mit den Leitzinsen hinunter geht. Bei J. Safra Sarasin spricht man von einem «grösseren Zinssenkungspotenzial». Bei der amerikanischen Bank Goldman Sachs wird erwartet, dass die EZB ihren Einlagensatz bis im Juli 2025 auf 2 Prozent herabgesetzt haben wird.
Das wird den Franken aufwerten lassen, wie es dies in der Vergangenheit immer getan hat. Und die SNB wird wie immer reagieren müssen - Franken verkaufen, Euro kaufen sowie ihren Leitzins weiter herabsetzen. Die Bank J. Safra Sarasin rechnet mit drei Senkungen um jeweils einen Viertelprozentpunkt: im September und im Dezember 2024 sowie im März 2025. Von heute 1,25 Prozent bliebe noch 0,5 Prozent übrig.
Sollte der Franken dann weniger stark aufwerten, haben zwar die Konsumenten weniger Grund zur Freude, aber auch viele Arbeitnehmer weniger Grund, um ihren Job zu zittern. Und die Schweiz hätte ein viel tieferes allgemeines Zinsniveau. Das würde die Banken ärgern, weil es bei tiefen Zinsen deutlich schwerer fällt, mit dem Geldverleih noch etwas zu verdienen.
Es würde die Hypothekarschuldner freuen, da sie ihrer Bank weniger abliefern müssen. Es würde die Mieter freuen, die schon eine Wohnung haben, weil der hypothekarische Referenzzinssatz und damit ihre Miete sinken. Und vielleicht käme der Bau wieder in die Gänge und würde der Mangel an Wohnraum wieder etwas gelindert. Die SNB und ihr neuer Chef Martin Schlegel hätten jedoch bald wieder eine noch grössere Bilanz.
Echt jetzt ? Das will ich zuerst sehen und erleben, bevor ich es glaube.