Mit diesem Plan B ging Karin Keller-Sutter ins Gespräch mit Donald Trump
Es ist das Telefonat, das für die Schweiz in einem Fiasko endete – und dem Weissen Haus nicht einmal eine Notiz wert ist.
Offiziell haben die USA nicht bestätigt, dass US-Präsident Donald Trump am 31. Juli mit Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter gesprochen hat. Das Weisse Haus hat auch kein sogenanntes «Readout» publiziert, wie es sonst üblich ist, wenn ein US-Präsident mit einem ausländischen Regierungschef telefoniert. Das ist eine offizielle, stark zusammengefasste Darstellung des Gesprächs, mit der Transparenz hergestellt werden soll gegenüber der Öffentlichkeit. Das sind weitere Indizien dafür, wie unbedeutend die Schweiz für Donald Trump ist.
Was genau Keller-Sutter und Trump besprochen haben, wissen nur sehr wenige Leute. Keller-Sutter hatte beim Gespräch einen Mitarbeitenden dabei. Wer auf der Seite von Trump mithörte, ist selbst der Schweiz nicht bekannt. Entgegen früherer Darstellungen handelte es sich nicht um einen Videocall.
Die zwei Versionen und viele offene Fragen
Die Erzählung über das Telefonat gibt es in zwei Versionen: eine amerikanische und eine schweizerische. In der US-Erzählung sei Trump eher schlecht gelaunt gewesen und habe klargemacht, dass ein Zoll von 10 Prozent – wie die Schweiz und die USA eigentlich ausgehandelt hatten – angesichts des Handelsdefizits von 39 Milliarden völlig unzureichend sei.
Die Erklärungen von Keller-Sutter habe Trump als «oberlehrerhaft» empfunden. «Bloomberg News» schrieb, als Keller-Sutter nichts angeboten habe, sei Trump so wütend geworden, dass er den Zollsatz von 39 Prozent «mehr oder weniger willkürlich festlegte».
In der Schweizer Version wollte Keller-Sutter über die Vereinbarung mit dem Zoll von 10 Prozent sprechen. Trump habe aber sofort klargemacht, dass er einen höheren Tarif möchte; rasch nannte er eine Zahl von mehr als 30 Prozent. Das Gespräch sei zwar nicht eskaliert, heisst es von Schweizer Seite. Aber Keller-Sutter habe schnell gespürt: Für die Schweiz gibt es nichts zu gewinnen.
Die Frage, die sich das Land seither stellt: Wie gut vorbereitet ging Karin Keller-Sutter in das Gespräch mit dem US-Präsidenten? Hatte die Schweiz einen Plan B für den Fall, dass Trump nichts von der ausgehandelten Vereinbarung wissen wollte?
Der Bundesrat hatte die Vereinbarung bereits am 4. Juli verabschiedet. Je länger die Unterschrift von Trump auf sich warten liess, desto nervöser wurde der Bundesrat. Zumal die EU, Japan und Südkorea mit Trump jeweils einen Deal aushandelten. Sie machten grosse Zugeständnisse und erhielten allesamt Importzölle von 15 Prozent aufgebrummt. Also mehr, als die Schweiz ursprünglich ausgehandelt hatte.
Keller-Sutter holte sich vom Bundesrat zusätzliche Kompetenzen
Recherchen zeigen nun: Die Schweiz hatte einen Plan B. Aber er war unzureichend. Bundespräsidentin Keller-Sutter informierte den Bundesrat vergangene Woche über das anstehende Telefonat mit Donald Trump. Und sie wollte dafür mehr Spielraum. Das heisst: Ihr war bewusst, dass es mit der ausgehandelten Vereinbarung und dem Zollsatz von 10 Prozent schwierig werden würde.
Gemäss zwei unabhängigen, gut unterrichteten Quellen verlangte sie von ihren Regierungskollegen, dass sie notfalls von den 10 Prozent abweichen und Trump 15 Prozent bieten könnte. Der Bundesrat gewährte Keller-Sutter diese Kompetenz.
Ob die Bundespräsidentin im Gespräch überhaupt dazu kam, den Kompromiss anzubieten, ist allerdings unklar. Das Vorgehen zeigt aber, mit welcher Erwartungshaltung Keller-Sutter das Telefonat startete: Einen Zolltarif von 15 Prozent, wie ihn die EU bekam, hielt sie wohl für realistisch.
Die 39 Prozent, die Trump schliesslich diktierte, dürften in den Szenarien des Bundesrates nicht vorgekommen sein. Eine weitere Rückfallebene oder Kompetenzen für weitere Zugeständnisse hatte Keller-Sutter auf alle Fälle nicht.