FDP ringt um EU-Position – und ein Tessiner Nationalrat sucht Versöhnung
Es war eine Ansage mit Pathos: «Wir wollen den Wohlstand erhalten, den sich unser Land mit Fleiss, Geschick, unter glücklichen Umständen und mit enger wirtschaftlicher Vernetzung erarbeitet hat. Diese Ziele einen uns.» So steht es in der Erklärung jener zwölf FDP-Mitglieder, die seit letztem Dezember an der Position der Partei zum EU-Dossier arbeiten. Es fehlte bloss ein Bild, das die Zwölf auf dem Rütli zeigt, mit erhobenem Arm und drei ausgestreckten Fingern.
Die Arbeitsgruppe war Teil eines ausgeklügelten Prozesses, mit dem Parteipräsident Thierry Burkart jenes Dossier moderieren wollte, das seine Partei zu zerreissen droht: die Meinungsbildung zu den neuen EU-Verträgen, den Bilateralen III. Sechs Befürworterinnen und Befürworter sowie sechs Kritikerinnen und Kritiker nahmen Einsitz.
Nun, knapp einen Monat bevor die FDP-Delegierten am 18. Oktober in Bern die Position zum EU-Paket festlegen, zeigt sich: Die zwei Gruppen haben nicht zusammengefunden. Dem Vernehmen nach erarbeitet das Ja-Lager unter Führung des Solothurner Nationalrats Simon Michel ein Positionspapier für ein Ja zum EU-Paket. Und das Nein-Lager um den Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger entwirft separat ein Nein-Papier.
Die Qualitätskontrolle funktioniert
Geeint ist die Arbeitsgruppe nur insoweit, als man einander scharf auf die Finger schaut. Und versucht, sich gegenseitig tatsächlicher oder vermuteter Irrtümer sowie falscher Behauptungen zu überführen. Immerhin: Die Qualitätskontrolle spielt noch bei den Freisinnigen. Laut derzeitiger Planung sollen beide Dokumente den Delegierten vorgelegt werden, die sich alsdann für das eine oder andere entscheiden müssen.
Allerdings zeigen Recherchen, dass es innerhalb der Kritiker-Gruppe zu Spannungen gekommen ist. Wie drei voneinander unabhängige Quellen berichten, sei der Tessiner Nationalrat Simone Gianini – einst als Skeptiker in die Arbeitsgruppe entsandt – mit dem scharf formulierten Nein-Papier seiner Mitstreiter nicht einverstanden. Manche sagen, dieses enthalte «eine reine SVP-Position».
Gianini habe bei der vertieften Auseinandersetzung mit dem Dossier seine Meinung entwickelt, heisst es. Dies nicht zuletzt mit Blick auf seinen Kanton: Im Tessin geniesst der Lohnschutz hohe Akzeptanz, auch beim ansässigen Gewerbe. Dieses profitiert genau wie die Arbeitnehmenden, wenn EU-Firmen nicht mit Lohndumping billige Konkurrenzofferten einreichen können. Die Zusage der EU, das heutige Schutzniveau zu garantieren, habe Gianini überzeugt. Und dazu die ausgebaute Schutzklausel zur Personenfreizügigkeit, die dem Bund das Recht zugesteht, notfalls die Zuwanderung zu bremsen, schweizweit oder in einzelnen Regionen.
Auf Anfrage mag Gianini nicht in die Details gehen. Er bestätigt aber: «Ich hätte mir eine gemeinsame Position der gesamten Arbeitsgruppe gewünscht, hinter die sich die Partei stellen könnte.» Dass dies nicht möglich sei, habe ihn enttäuscht. «Ich bin mit beiden Positionen nicht zufrieden: weder mit einem enthusiastischen Ja noch einem strikten Nein.»
Auf die Frage, welches denn nun seine Position sei, sagt er: Die Schweiz brauche eine Stabilisierung der Beziehungen zur EU, «einfach Nein sagen geht nicht. Ich stehe nun den neuen Verträgen eher offen gegenüber, sehe aber noch Verbesserungspotenzial.» Deshalb sei er von Beginn weg vorsichtig gewesen.
Insbesondere innenpolitisch gebe es einiges zu tun. Die Ausgestaltung der Zuwanderungsklausel im Ausländergesetz etwa, die «wirklich wirksam» sein müsse. Oder die übertriebene Forderung nach einem besonderen Kündigungsschutz für Gewerkschaftsvertreter, «die braucht es nicht». Hingegen seien bei der dynamischen Rechtsübernahme Parlament und Kantone besser einzubeziehen. «Und in der Abstimmung über das Vertragspaket braucht es ein Ständemehr.»
Simone Gianini wünscht sich, dass die FDP mit einer gemeinsamen Haltung in den innenpolitischen Prozess geht.
Ein juristischer Kniff fürs Ständemehr
Es gibt Hinweise, dass der Tessiner Nationalrat mit dieser Position nahe an der Parteibasis ist. Gemäss einer Umfrage des Forschungsinstituts GfS Bern vom August würden 40 Prozent der FDP-Sympathisanten schon jetzt bestimmt Ja sagen zu den Bilateralen III. Das ist der höchste Wert aller Bundesratsparteien. 32 Prozent würden eher Ja sagen. Bestimmt dagegen sind demnach 6 Prozent, 18 Prozent sind eher dagegen.
Was die Frage des Ständemehrs betrifft, hat das künftige Co-Präsidium der FDP mit Susanne Vincenz-Stauffacher (sie sagt Ja zu den Verträgen) und Benjamin Mühlemann (er ist skeptisch) den Weg vorgespurt. Sie tendieren zum Ständemehr. Wie Recherchen zeigen, allerdings nicht im Rahmen eines obligatorischen Referendums, denn das wäre laut Bundesrat verfassungswidrig. Deshalb muss ein juristischer Kniff aushelfen.
In der Bundesverfassung soll eine Übergangsbestimmung verankert werden. Diese hält sinngemäss fest, dass die Schweiz mit der EU ein Abkommen über den bilateralen Weg abschliesst. Vorbild ist die Übergangsregelung zum UNO-Beitritt in Artikel 197. Mit diesem Vorgehen stünde die Europafrage auf Verfassungsstufe – womit zwingend die Mehrheit der Kantone zustimmen müsste. (aargauerzeitung.ch)
