Die Verhandlungstage im Raiffeisen-Prozess sind lang und für die Beteiligten wie auch für die Beobachter bisweilen zermürbend. Das war am siebten Tag im Zürcher Volkshaus nicht anders. Nathan Landshut ging in seinem Plädoyer, das er am Morgen zugunsten des Mitbeschuldigten Genfer Geschäftsmannes Stéphan Barbier-Mueller hielt, sogar noch einigermassen gnädig mit der Geduld seiner Zuhörer um. Der Rechtsanwalt beanspruchte eine Redezeit von weniger als vier Stunden.
Andere vor ihm hatten es auf mehr als das Doppelte gebracht. Zum Beispiel Andreas Blattmann, der Verteidiger von Beat Stocker, dem zweiten Hauptbeschuldigten neben Pierin Vincenz. Nun ist der Reigen der Plädoyers zu Ende. Landshut forderte am Mittwoch wie alle seine Vorgänger den vollumfänglichen Freispruch für seinen Klienten - zuzüglich einer «angemessenen Entschädigung».
Nach Landshuts Darstellung war Barbier-Mueller hohe Risiken eingegangen, um das Genfer Leasingunternehmen GCL vor einer Liquidation zu bewahren und die 17 Arbeitsstellen zu retten. Es sei für seinen Mandanten deshalb «schwer zu ertragen» nun als Wirtschaftsbetrüger vor Gericht zu stehen, sagte Landshut. Barbier-Mueller sei, das, was man als «verantwortungsbewussten Unternehmer» bezeichne.
Der Erbe eines grossen Westschweizer Immobilienvermögens hatte zusammen mit dem damaligen Aduno-Chef Beat Stocker den Verkauf von GCL an Aduno organisiert und dabei einen Erlös von über 16 Millionen Franken erzielt. Rund neun Millionen Franken waren im Verborgenen auf ein Konto Stockers geflossen – damit dieser bei Aduno Einfluss nahm, und so die Transaktion ermöglichte, behauptet die Staatsanwaltschaft. Nein, weil sich Stocker erfolgreich für die Refinanzierung von GCL eingesetzt hatte, betont Landshut. Im Raum steht der Vorwurf der privaten Bestechung.
Und Vincenz? Dieser soll als damaliger Raiffeisen-Chef eine zentrale Rolle bei der Vergabe des immerhin 164-Millionen-Franken schweren Refinanzierungskredites an GCL gespielt haben, meinen die Ankläger und machen geltend, dass davon auch Barbier-Mueller gewusst haben musste. Durch die Beuteteilung zwischen Stocker und Vincenz wie sie gemäss Staatsanwaltschaft zwischen August und November 2014 stattgefunden haben soll, wird der Bestechungsvorwurf untermauert.
Derweil stellt Landshut seinen Mandanten in der hellsten Farben dar. Dieser aber nie angenommen, dass Stocker bei Aduno etwas zu Gunsten des GCL-Deals habe beeinflussen könne. Barbier-Mueller sei nie davon ausgegangen, dass sein Handeln strafbar sein könnte. Deshalb gäbe es auch keinen Grund auf die von der Staatsanwaltschaft geforderte Herausgabe der «wahnsinnigen» Summe von 16 Millionen Franken einzutreten.
So kompliziert und kontrovers geht es im Raiffeisen-Prozess seit Beginn zu und her. Dabei sei der vorliegende Fall «im Kern einfach», konstatierte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch in der Replik: Vincenz und Stocker hatten bei ihren Geschäften stets zwei Hüte auf und sassen jeweils auf beiden Seiten des Verhandlungstisches. Das wollten auch die Mitbeschuldigten, die sich davon ihrerseits Vorteile auf Kosten der Privatkläger (Aduno/Raiffeisen) versprachen.«Aber wer sich heimlich auf Kosten seines Arbeitgebers bereichert macht sich strafbar» fasste Oliver Labhart die Sicht der Staatsanwaltschaft zusammen. «Das gilt für die Kassiererin im Laden und das gilt für das Personal von systemrelevante Banken. Wäre das anders, hätte das System Versagt.»
Die Staatsanwaltschaft weiss freilich nur allzu gut, dass sie mit derartigen Weisheiten keine Verurteilungen erreicht. Chefankläger Marc Jean-Richard-dit-Bressel versuchte denn auch dem Gericht anhand zahlreicher Beispiele aufzuzeigen, dass die Verteidigung in Ermangelung guter Argumente eine gezielte Vernebelungsstrategie betreibe. Da würden Belastungszeugen mehrfach als Lügner dargestellt, Argumente der Staatsanwaltschaft erfunden, um sie sogleich in der Luft zerreissen zu können («Schattenboxen»), Beweismittel aus dem Zusammenhang gerissen («Vereinzelung») und nötigenfalls sogar falsch dargestellt («Aktenverdrehung»).
Im Fall GCL seien selbst pure Schutzbehauptungen der Beschuldigten aus Einvernehmungsprotokollen als Entlastungsbeweise ins Spiel gebracht worden. «Das sind besonders eindrückliche Beispiele von Aktienverdrehung», stellte Jean-Richard-dit-Bressel fest. Es sind die Strategien der Verteidiger, in denen die Staatsanwaltschaft zu Recht oder nicht bloss Ablenkungsmanöver sieht.