Am WEF in Davos erzählen sich Milliardäre derzeit gegenseitig, wie gefährlich die wachsende Ungleichheit für Frieden und Wohlstand geworden sei. Starökonomen wie Joseph Stiglitz, Thomas Piketty und Branco Milanovic untermauern diese These mit eindrücklichen Fakten. In der Praxis geschieht nichts.
Was die Löhne betrifft, ist in der Schweiz der Trend zur Ungleichheit im Vergleich zu anderen Ländern moderat ausgefallen. «Positiv ist, dass die unteren Löhne nicht abgehängt wurden und in den letzten vier Jahren sogar am stärksten gestiegen sind. Dies im Gegensatz zur Entwicklung in den USA oder in Deutschland», heisst es selbst in einem Bericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
Bezüglich der Steuerbelastung sieht es allerdings anders aus. So lässt sich aus den Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung herausdestillieren, dass ein Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 80'000 Franken im Jahr 1997 noch 38 Prozent seines Einkommens für Steuern, Sozialabgaben und Krankenkasse aufwenden musste. Im Jahr 2014 ist diese Belastung auf über 40 Prozent angestiegen.
Umgekehrt sieht die Entwicklung bei den Unternehmen aus. 1990 wurde der Reingewinn nach allen möglichen Abzügen durchschnittlich mit 19 Prozent versteuert. 2014 ist diese Belastung auf unter 8 Prozent gesunken.
Die geplante Unternehmenssteuerreform wird diesen Trend höchstwahrscheinlich noch verstärken. So genau weiss man das allerdings nicht. Die Vorlage ist so komplex ausgestaltet, dass die meisten Politiker den Durchblick verloren haben.
Nur die Experten der internationalen Beratungsfirmen kennen die Details. Das zeigt der «Tages-Anzeiger» in einer Hintergrundanalyse auf. Sie haben die USR III massgeblich mitgestaltet. «Ihre Praxisnähe verschafft ihnen einen Vorsprung auf die kantonalen und universitären Steuerfachleute», so der TA.
Ebenfalls im TA befürchtet deshalb der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm: «Es entsteht ein Bilanzkosmetik-Eldorado für die Steueroptimierer.»
Dabei ist es unbestritten, dass die Schweiz ihre Unternehmenssteuer reformieren muss. Das so genannte Holding-Privileg, mit dem bis anhin ausländische Firmen mit tiefen Steuersätzen angelockt wurden, lässt sich in dieser Form nicht mehr aufrecht erhalten. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hatte vor ihrem Ausscheiden aus dem Bundesrat eine ausgewogene Vorlage ausgearbeitet, die rund 1,1 Milliarden Steuerausfälle zur Folge gehabt hätte.
Der neuen bürgerlichen Mehrheit im Parlament ging dies zu wenig weit. Sie verlangte eine Nachbesserung, will heissen: mehr Steuererleichterungen für Unternehmen und Reiche. Deshalb werden die Mindereinnahmen der USR III nun auf über drei Milliarden Franken geschätzt. Genau weiss das niemand. Dieser Betrag muss gegenfinanziert werden, sei es mit höheren Steuern für den Mittelstand oder mit Kürzungen der Sozialleistungen, beispielsweise den Zuschüssen für die Krankenkasse bei niedrigen Einkommen.
Die geplante USR III ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Ungleichheit. Die Schweiz verhält sich so wie ein Patient, der auf die Warnung seines Arztes, Rauchen sei schädlich, mit einer Erhöhung seines Tabakkonsums reagiert. Das muss nicht sein. Ein Nein zur USR III ist kein Unglück, und das Abendland wird nicht untergehen, wie uns die Befürworter weis machen wollen.
Nochmals Rudolf Strahm: «Wenn die Unternehmenssteuerreform III abgelehnt wird, gibt es ein Jahr später einen neuen Anlauf mit weniger Steuerausfällen – basierend auf dem ursprünglichen Konzept des Bundesrates.»