Herr de Weck, wie läuft der Abstimmungskampf?
Jetzt gibt es natürlich noch mehr SRG-Bashing als sonst. SRG-Bashing ist Mainstream.
Das werfen wir uns jetzt mal nicht vor. Aber dem Gewerbeverband und dessen Direktor Hans-Ulrich Bigler, der das RTVG-Referendum zu seiner persönlichen Wahlkampf-Initiative für die Nationalratswahlen im Herbst macht. Warum sagen Sie das nie?
Mit dem neuen Radio- und Fernsehgesetz sinkt die Gebühr für einen privaten Haushalt
laut Bundesrat von 462 auf rund 400 Franken. Wer in einem Studentenhaus wohnt,
muss nichts mehr zahlen. Und sozial schwächere Menschen werden rückwirkend von
der Gebühr befreit.
Das war nicht die Frage. Die Frage war, warum Sie Bigler nicht mal entlarven, der dauernd die SRG angreift, um seinen persönlichen Wahlkampf zu befeuern.
Das neue System ist einfacher: Wer zügelt, muss sich nicht ummelden, alles läuft über
das Einwohnerregister. Das neue System ist kostengünstiger: Die Billag erhält weniger
Geld, Billag-Kontrolleure gibt’s nicht mehr. Das neue System ist auch fairer: Heute ist die
Zahlungsmoral der privaten Haushalte sehr gut, die der Firmen sehr schlecht. Laut
Bundesrat entrichten bloss 38 Prozent der zahlungspflichtigen Unternehmen die
Fernsehgebühr. Künftig jedoch müssen sie ihren Beitrag leisten.
... aber Bigler…
... rund 95 Prozent der Haushalte profitieren vom neuen System. Und wer gar kein
Empfangsgerät hat – weder Radio noch Autoradio, weder Smartphone noch Tablet,
weder Fernseher noch Laptop: Für diese seltenen Ausnahmefälle gibt es ein Opting out,
während fünf Jahren zahlt man rein gar nichts. Dank dem neuen Radio- und
Fernsehgesetz müssen auch die allermeisten Unternehmen weniger zahlen. (Siehe Infobox «Der Kampf ...»)
Dann verzeihen Sie bitte, dass ich nochmal frage: Was soll der Quatsch, den Bigler und der Gewerbeverband abziehen? Wem nützt das ausser Bigler und seiner Nationalratskandidatur?
Der Gewerbeverband stösst eine öffentliche Diskussion an – gut so. Ich baue auf die
sanfte Kraft des besseren Arguments. Die neue Gebühr ist billiger, einfacher, fairer,
logischer: Da heute praktisch jeder Haushalt ein Empfangsgerät hat, wird die
altmodische Gerätegebühr in eine zeitgemässe Haushaltsgebühr umgewandelt, zum
Vorteil der riesigen Mehrheit der Haushalte.
Gut, wenden wir uns den schwereren Herausforderungen für die SRG zu, nämlich unseren Kindern.
Die sind eine Chance! Warum denn eine schwere Herausforderung?
Zum Beispiel, weil sie das Konzept des linearen Fernsehens weder kennen noch verstehen. Die rasten aus, wenn Unterbrecherwerbung kommt. Der TV-Konsum fragmentiert sich rasant. Wie und wo präsentiert die SRG ihre Programme in zehn Jahren?
Unser Auftrag und unsere Kernkompetenz ist die audiovisuelle Produktion. Zunächst ist
es egal, ob die Videos und Audios im Kanal oder im Internet gesehen beziehungsweise gehört
werden.
Es ist nicht völlig egal, weil die SRG ins Hintertreffen gerät. «Stromberg» läuft auf Netflix. «Der Bestatter» nicht.
Na warten Sie mal ab! Grundsätzlich gilt: Der Kanal ist Menü, im Internet wählt man à la
carte. Immer mehr produzieren wir exklusiv fürs Internet, jetzt gerade die zweite Staffel
der Web-Only-Serie «Güsel – die Abfalldetektive». Ein schöner Erfolg beim jüngeren
Publikum.
«Güsel» ist einfach die einzig gute Comedy, die die SRG in der Deutschschweiz macht. Eine Sensation. Sie könnten die Serie als Pay-TV auf Ebay versteigern und Milliarden machen!
Danke für den Tipp: Und danach versteigern wir auf Ricardo.ch unsere beliebte Web-Serie «Break-ups» über zehn tragikomische Liebespaare, die Schluss machen ... Darf ich
aber an den ursprünglichen Gedanken anknüpfen?
Sicher. Entschuldigung.
Ein Teil der Fernsehnutzung verlagert sich auf Plattformen ins Internet. Trotzdem winkt
den Kanälen eine gute Zukunft, erst recht mit Live-Übertragungen, etwa im Sport. Wir
leben in einer Zeit, in der alles reproduzierbar ist, nur nicht das Live-Erlebnis. Wo unsere
Kanäle wichtige oder berührende Live-Ereignisse aus Politik, Sport, Kultur und
Unterhaltung ausstrahlen, finden sich viele Zuschauerinnen und Zuschauer ein, wenn
nicht mehr als früher.
Mag sein, aber der Vorsprung des TVs in diesem Bereich schmilzt weg. Jedes Onlineportal kann eine Pressekonferenz live-streamen.
Richtig: Medienkonferenzen eignen sich nicht immer für die Kanäle, die Lauberhorn-Abfahrt aber ist nur im Fernsehen auf HD-Bildschirm voll zu geniessen. Die SRG hat
beides: die Rundfunk-Kanäle und das Internet-Angebot. Solange beides genutzt wird,
setzen wir auf das Zusammenspiel von Kanal und Internet, die einander stärken. Die «Voice of Switzerland»-Community im Internet erhöhte die Aufmerksamkeit für die
Sendung auf SRF1 und umgekehrt.
Eine «Voice of Switzerland»-Community? Was soll die bringen im Wettbewerb mit Netflix und Co.? Sie wissen nicht wirklich, wovon Sie sprechen, oder?
Auf Jahre hinaus ist es im Wettbewerb mit Global Players ein Alleinstellungsmerkmal der
SRG, dass sie beides anbieten kann: «Menü» im Kanal und «à la carte» im Internet. Selbst
Google hat «bloss» das Internet. Wir haben das Internet und die Kanäle, wir ziehen beide
Register. Es lohnt sich.
Die Frage ist, wie lange es noch Sinn macht. Die «New York Times», der «Economist» und «National Geographic» wollen ihre Inhalte direkt über Facebook publizieren und sollen nur noch an den Werbeerlösen beteiligt werden. Wer garantiert, dass Sie nicht auch bald direkt in Facebook senden müssen, um überhaupt noch gesehen zu werden?
Alles und jedes über Facebook – da würden wir die meisten Nutzer, Zuschauer und
Hörer vertreiben. Selbstverständlich lässt sich das eine oder andere direkt auch über
YouTube, Twitter oder Facebook verbreiten. Aber eigene Verbreitungswege in der
Schweiz einfach preiszugeben, ist weder nötig noch erfolgversprechend. Und
schliesslich haben wir den Auftrag, das breiteste Publikum zu erreichen.
Was sonst?
In der angelsächsischen Welt hat sich jüngst das Fernsehen CNN mit den Webseiten
von «Financial Times», «Guardian», «Economist» und der Nachrichtenagentur Reuters
verbündet, um Werbung gemeinsam zu vermarkten. Ein TV-Sender und mächtige
Medienhäuser haben erkannt: Wir müssen zusammenspannen, um im Wettbewerb mit
Facebook und Google die kritische Masse an Nutzern aufzubringen und einen
relevanten Anteil am Online-Werbemarkt zu behaupten. Eine ähnliche Allianz brauchen
wir unter Schweizern, für einen gesunden Schweizer Werbemarkt der Zukunft.
Haha.
Sie lachen?
Ja, weil die Verleger nicht nur der SRG den Krieg erklärt haben wegen der Onlinewerbung, sondern oft auch noch untereinander streiten, wie kleine Kinder.
Wir Schweizer sind so vernünftig wie die Angelsachsen. Würden watson.ch, blick.ch,
nzz.ch, 20minuten.ch, newsnet.ch, az-medien.ch und suedostschweiz.ch die
Werbeplätze auf ihren Webseiten gemeinsam vermarkten, hätten sie alle
zusammengenommen weniger Nutzer als Google. Die kritische Masse an Nutzern, die
es braucht, um auf dem Internet-Werbemarkt attraktiv zu sein, haben die hiesigen
Medienhäuser nur noch, wenn sie zusammenfinden – inklusive SRG. Ähnlich wie es jetzt
grosse angelsächsische Medienhäuser anpacken.
Und die SRG würde mitmachen? Trotz der teils gehässigen Auseinandersetzungen mit den Verlegern?
Dieser urururalte Grabenkampf zwischen Verlegern und SRG ist nicht zeitgemäss. Wie
immer war die Verantwortung geteilt. Lassen wir jetzt die analoge Vergangenheit zurück, fassen wir die digitale Zukunft gemeinsam ins Auge! Unsere Hand bleibt ausgestreckt
für Win-Win-Kooperationen. Zum Wohl des gesamten Medienplatzes Schweiz können wir
einander stärken: mit dem gemeinsamen Vermarkten von Online-Werbung, weil jedes
Medienhaus einzeln bald an Grenzen stösst; mit dem Austausch von Videos und Audios
zu äusserst fairen Bedingungen; mit gemeinsamen digitalen Infrastrukturen, damit dank
der Synergien alle Beteiligten Kosten einsparen. Man sollte den Fehler aus dem
Gutenberg- und Druckerei-Zeitalter nicht wiederholen, als jedes Verlagshaus seine
eigene, teure Druckerei baute, die dann nicht ausgelastet war.
Wenn wir schon von der Antike sprechen …
... in der Tat, Antike war gestern.
Wir schreiben 2015, Jubiläum von Morgarten, Marignano und Wiener Kongress, das grosse Jahr des Schweiz-Mythos und es gibt Stimmen, die sagen, auch der Swissness-Approach der SRG sei etwas antiquiert.
Inwiefern?
Weil Schwingfeste, Jodelsendungen und Moderatoren und Kader die Hartmann oder Wannenmacher heissen, die Realität im Land nicht wirklich abbilden.
Man kann Wälchli heissen und kosmopolitisch denken. SRF-Fernsehchefredaktor war
bis 2014 Diego Yanez. Neue «Sternstunden»-Moderatorin ist Amira Hafner-Al Jabaji. Zu
den Moderatorinnen der «Tagesschau» zählt Wasiliki Goutziomitros ...
Niemand kann ihren Namen aussprechen. Aber sie ist so gut, dass Conny Boesch lieber zur Hauptsendezeit im Studio umfällt, als sie einspringen zu lassen!
Vermutlich war das nicht Ihr allerbester Witz, Herr Kollege.
Entschuldigung.
Jedenfalls haben wir bei der
SRG eine Vielzahl Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund.
Ja, aber das Programm! Das Programm zeigt doch eine viel zu rurale Schweiz, ein lebensweltliches Reduit schon fast. Wo hat die riesige kosovarische Diaspora ihren Platz? Die portugiesische? Die Deutschen?
In Technik und Redaktionen, am Bildschirm wie am Mikrofon werden sie präsenter.
Hingegen produzieren wir bewusst keine Sendungen für diese oder jene Migranten-Gruppe, das wäre uferlos und würde ausgrenzen. Vielmehr stellen wir die Art und Weise
dar, wie Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft
zusammenfinden. Wir bleiben dran, wenn ich den Werbespruch anführen darf, den ich
als Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» einführte und noch heute mag.
Wie definieren Sie denn Swissness? Die Swissness, die die SRG ob gewollt oder nicht in die Köpfe der Schweizer Medienkonsumenten einpflanzt?
Die Schweiz ist das am stärksten globalisierte Land der Welt, deshalb ist Swissness eine
dialektische Sache: Sie ist einerseits Eidgenössisches Schwingfest, andererseits die
sechsteilige SRG-Fernsehserie über Delegierte des Internationalen Komitees vom Roten
Kreuz und ihre stille Heldenarbeit rund um den Globus. Swissness ist sowohl Volksmusik
als auch die Live-Übertragung des Davoser World Economic Forum. Swissness ist eine
Sendung wie «SRF bi de Lüt», die liebevoll Kleinstädte porträtiert, aber auch die
Erfolgsserie «Auf und davon» über Auswanderer. Eine in sich geschlossene Swissness
gibt es nicht, nur eine offene Swissness. Sonst würden wir an der schweizerischen
Wirklichkeit vorbeileben.
Sie und Intendant Ruedi Matter haben zu Beginn Ihrer Amtszeit angekündigt, das Programm auf Relevanz zu trimmen. Finden Sie das sei gelungen? Man hat den Eindruck, Tamedia und Ringier initiieren und prägen die öffentlich geführten Debatten weit öfter und stärker als die SRG.
Wir sind weder geeignet noch zuständig für das Bewirtschaften von Emotionen. Es ist
unsere Aufgabe – der wir mal gut und mal weniger nachkommen –, vernunftgeleitete
Debatten anzustossen und die oft sehr begreiflichen Emotionen zwar aufzugreifen, aber
zu versachlichen. Zum Beispiel die «Rundschau»-Sendung über Methoden der
Steuerminimierung, die einst akzeptiert waren und heute empören. Das war ein nicht
unwichtiger Beitrag zur Steuerflucht-Debatte, die ja globale Relevanz hat.
Das ist richtig. Dürfen wir noch eine weitere Kritik anbringen?
Avec plaisir!
Die SRG leistet für den Zusammenhalt der Willensnation Schweiz mit den verschiedenen Sprachregionen und topographischen Eigenheiten sehr viel. Trotzdem ist, wie sie sagen, nichts so mainstream wie SRG-Bashing. Warum verkaufen Sie Ihre Integrationsleistung nicht besser?
Sie haben recht – auch hier sollten wir dran bleiben. Wir berichten über die anderen
Landesteile viel intensiver als früher. Und machen je länger desto mehr Ko-Produktionen zwischen Sprachgruppen. Das ist anspruchsvoll, weil es in der Romandie
ganz andere Stars gibt, andere visuelle Welten, andere Arbeitsweisen, vor allem eine
andere Art, Geschichten zu erzählen. Trotzdem tun wir es, zwischendurch auch unter
Rückschlägen, alles in allem mit wachsendem Erfolg.
Wo? Einmal im Jahr Tagesschau-Sprecher austauschen reicht nicht.
«Auf und davon» und die daran angelehnte welsche Sendung «Bye bye la Suisse» sind
eines von zahllosen Beispiel. «Der Bestatter» hat –namentlich dank dem Romand-Star
Carlos Leal – guten Erfolg in der Westschweiz. Die SRG hat in jeder Sprachregion Scouts, die hinschauen, was sich eventuell gemeinsam produzieren liesse. 2017 wird
es einen weiteren Schwerpunkt zur Schweizer Geschichte geben, in engster
Zusammenarbeit der vier Sprachregionen. Ein Ruck geht durchs Unternehmen. Der
Austausch wird intensiver. Eine meiner Prioritäten.
Zum Schluss: Was für einen Ausgang prognostizieren sie in der Abstimmung über das RTVG-Referendum von Bigler? Das dauernde SRG-Bashing der bürgerlichen Rechten hat die öffentliche Meinung sicher nicht zu Ihren Gunsten beeinflusst.
Es ist ja keine Abstimmung über die SRG. Und mit dem neuen Gebührensystem erhält
sie eher weniger Geld, wir bleiben auf Sparkurs! Hingegen bekommen 34 private Lokal-
und Regionalsender einen höheren Anteil an den Gebühreneinnahmen. Am 14. Juni
stimmen wir über ein neues Radio- und Fernsehgesetz ab, das für die Riesenmehrheit
der Haushalte 13 Prozent günstigere Gebühren ermöglicht. Und dass eine Gebühr sinkt,
ist ja nicht alltäglich! Zu Ihrer Frage: Als Chef einer «SRG bi de Lüt» glaube ich zu spüren:
Die öffentliche Meinung über die SRG ist besser als die veröffentlichte.
Das sehen wir ja dann am 14. Juni.
Die kommenden Wochen werden bunt. Ich hoffe zuversichtlich auf ein Ja zum neuen
Radio- und Fernsehgesetz.
who cares?
Chaose