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Coronavirus löst in der Schweiz Streit um Mieten aus: Was du wissen musst

Stuehle stehen auf den Tischen anlaesslich der Schliessung der Restaurants durch den Bundesrat wegen dem Coronavirus, aufgenommen am Montag, 16. Maerz 2020 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Restaurants, Bars und Clubs sind seit Tagen behördlich geschlossen.Bild: KEYSTONE

Bundesrat wartet bei Geschäftsmieten ab – Streit um Immo-Krise geht in Runde 4

Hinter den Kulissen wird derzeit über mögliche Hilfen für Gewerbler diskutiert. Viele machen wegen der Coronakrise kaum mehr Umsatz und können die Mieten nicht mehr bezahlen.
08.04.2020, 19:48
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Die Immobilien-Branche gerät in diesen Tagen zunehmend unter Druck. Hinter verschlossenen Türen wird derzeit mit harten Bandagen für und gegen Lösungen gekämpft, mit denen Sicherheit für Vermieter und Mieter erreicht werden soll. Involviert sind beide Seiten, aber auch das Bundesamt für Wohnungswesen.

watson erklärt die vier wichtigsten Punkte des Streits auf dem Immobilien-Markt:

Warum wird gestritten?

Schweizer Wohnungen wurden im Oktober zu tieferen Mieten als noch im September ausgeschrieben. (Themenbild)
Viele Unternehmen können die Mieten wegen der Coronakrise nicht bezahlen.Bild: APA/APA/symbolbild

Die Ausgangslage ist klar: Der Bundesrat hat Mitte März das gesellschaftliche Leben in der Schweiz lahmgelegt. Zahlreiche Unternehmerinnen, Kleingewerbler, Lädeli und Restaurants mussten ihre Türen schliessen. Nicht alle von ihnen können einen Teil des verlorenen Ertrags durch Online-Verkäufe wieder einholen. Betroffen vom akuten Finanzengpass sind Löhne, Rechnungen und die Mieten.

Es stellt sich die Frage, ob die Mieten überhaupt geschuldet werden. Das Mietrecht kennt dazu Begriffe und Regeln wie «Mangel an der Mietsache» oder «Unmöglichkeit einer Leistung». Juristinnen und Juristen streiten in sich widersprechenden Gutachten, was nun wegen des Covid-Notrechts für Gewerberäume gilt, die auf behördliche Anordnung schliessen mussten.

Eine verbindliche Antwort werden früher oder später Gerichte finden müssen. Bis die Frage entschieden wird, könnten einige Geschäfte ihren Betrieb aufgeben müssen. Es drohen Betreibungen, Entlassungen oder gar Konkurse. Der Bundesrat rief beide Seiten dazu auf, «sich gemeinsam um einvernehmliche Lösungen zu bemühen».

Haben Verhandlungen etwas erreicht?

Bundesrat Guy Parmelin erlaeutert im Anschluss an die Bundesratssitzung die neusten Massnahmen zur Bewaeltigung der Krise um die Pandemie des Coronavirus COVID-19, am Mittwoch, 1. April 2020 in Bern.  ...
Bundesrat Guy Parmelin hat eine Task Force eingesetzt.Bild: KEYSTONE

Eine nationale Lösung oder zumindest eine «Marschrichtung», existiert derzeit nicht. Reaktionen deuten darauf hin, dass es vom Zufall oder Glück abhängt, ob über die Miete verhandelt werden kann. Zu den möglichen Lösungen zählen:

  • Keine Lösung: Verwaltung beharrt auf das fristgerechte Bezahlen der ursprünglichen Miete.
  • Mietzinsstundung: Die Mieten können über eine längere Zeit abgestottert werden – bleiben aber gleich hoch wie vor der Krise.
  • Mietzinsreduktion: Die Miete für ein Lokal wird während einer bestimmten Zeit reduziert.
  • Mietzinserlass: Die Verwaltung verlangt wegen der behördlichen Schliessung des Lokals keine Miete mehr.

Sprich: Eine einheitliche Lösung fehlt. Dieser Eindruck wird von offiziellen Aussagen aus dem Bundeshaus am Mittwoch bestätigt: «Der Bundesrat sieht davon ab, in die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Mieterinnen und Mietern sowie Vermieterinnen und Vermietern einzugreifen.» Auch die von Bundesrat Guy Parmelin eingesetzte Task Force «Mietrecht und Coronakrise» hat zur Geschäftsmieten-Frage keinen Entscheid gefällt. Morgen Donnerstag findet der vierte runde Tisch dieser Task Force statt.

Dieses zögerliche Vorgehen wird vom Parlament kritisch verfolgt. Die Wirtschaftskommission des Nationalrates verschickte gestern eine Mitteilung, in der sie – diplomatisch formuliert – «nachdrücklich» die Schaffung von Rechtssicherheit bezüglich Geschäftsmieten verlange. Der Bundesrat werde «ersucht», sich dieser Problematik anzunehmen und gemeinsam mit den betroffenen Verbänden eine «klare Regelung» zu finden und mit «Nachdruck» auf eine Einigung hinzuwirken.

Kommt die Immo-Branche unter Druck?

Im laufenden Jahr mussten bislang weniger Unternehmer den Gang aufs Konkursamt antreten als noch im selben Zeitraum 2018. (Themenbild)
Werden Rechnungen wie Mieten nicht bezahlt, könnte der Konkurs drohen.Bild: KEYSTONE/symbolbild

Die Immobilien-Branche muss insofern aktiv werden, weil ihr aus drei Gründen erheblicher Gegenwind droht, falls es bei dieser Hüst-und-Hott-Strategie bleibt:

  • Konkursflut: Falls einige Immobilien-Verwaltungen weiterhin auf das fristgerechte Bezahlen der ursprünglichen Mieten beharren, drohen Konkurse der Lokalmieter. Unklar ist, wie viel Miete dann noch herausgeholt werden kann, und wie schnell ein neuer Lokalmieter gefunden wird.
  • Gerichtliche Entscheide: Lokalmieter könnten darauf hoffen, dass die Mietschuld-Frage in ihrem Sinn gerichtlich entschieden wird und die behördliche Lokalschliessung mietrechtlich geklärt wird.
  • Politischer Gegenwind: Dieser weht bereits. Während sich Mieter und Vermieter streiten, hat das Parlament bereits eine «klare Regelung» und eine «Einigung» verlangt. Die Immo-Branche hat keinen guten Stand: Im Frühjahr 2020 sprach sich rund 43 Prozent des Volkes für die Wohninitiative aus, die radikalere Massnahmen gegen den Immobilien-Markt forderte.

Was sagen die Big Player der Immo-Branche?

ZUR MELDUNG, DASS DER LEBENSVERSICHERUNGSKONZERN SWISS LIFE IM VERGANGENEN JAHR EINEN REINGEWINN VON 878 MILLIONEN FRANKEN ERZIELT HAT, 7 PROZENT MEHR ALS IM VORJAHR, STELLEN WIR IHNEN AM DIENSTAG 1.  ...
Swiss Life geht davon aus, dass 500 bis 800 Geschäftsmieter für eine Mietzinsreduktion in Betracht kommen.Bild: KEYSTONE

Die beiden Versicherer Swiss Life und Helvetia preschten am Tag vor dem vierten runden Tisch vor und gaben in einer Medienmitteilung bekannt, dass nun auch Mietzinsreduktionen im Einzelfall gewährt werden würden. Sprich: Die beiden grossen Player auf dem rund 800-Milliarden-schweren Gewerbe-Immobilienmarkt offerierten bis gestern nur das Abstottern der Miete.

Swiss-Life-Sprecher Florian Zingg schätzt auf Anfrage von watson, dass «etwa 500 bis 800 unserer Geschäftsmieter zu jenen Kleinstbetrieben und Selbständigerwerbenden gehören, die durch Corona wirklich in Not geraten sind und für die eine Mietzinsreduktion in Betracht kommt». Er betont, dass die meisten Mieter nicht so hart von der Coronakrise betroffen sind wie beispielsweise Restaurants, Coiffeursalons, Physiotherapeuten und andere Selbständige.

Die Medienstellen beider Firmen sagen, dass ihre Ankündigung nicht im Lichte möglicher neuer Bundesratsmassnahmen getroffen wurde. Helvetia-Sprecher Jonas Grossniklaus sagt dazu: «Die Empfehlung ist derzeit, dass Vermieter und Mieter individuelle Lösungen finden, wenn es krisenbedingt eine finanzielle Notsituation gibt. Das wollen wir nun tun, indem wir kleinen Betrieben und Selbständigen in Einzelfällen auch mietfreie Zeiten und Mietzinsreduktionen gewähren.»

Sars-Cov-2, Covid-19, Coronavirus – die wichtigsten Begriffe
Coronaviren sind eine Virusfamilie, die bei verschiedenen Wirbeltieren wie Säugetieren, Vögeln und Fischen sehr unterschiedliche Erkrankungen verursachen.

Sars-Cov-2 ist ein neues Coronavirus, das im Januar 2020 in der chinesischen Stadt Wuhan identifiziert wurde. Zu Beginn trug es auch die Namen 2019-nCoV, neuartiges Coronavirus 2019 sowie Wuhan-Coronavirus.

Covid-19 ist die Atemwegserkrankung, die durch eine Infektion mit Sars-Cov-2 verursacht werden kann. Die Zahl 19 bezieht sich auf den Dezember 2019, in dem die Krankheit erstmals diagnostiziert wurde.

Die wichtigsten Fakten zum Coronavirus: Symptome, Übertragung, Schutz.
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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mrmikech
08.04.2020 20:46registriert Juni 2016
Fazit: denen die es sehr, sehr gut haben und praktisch risikolos unternehmen - die immobranche - ist es egal wie es die Schweiz und die Schweizer geht. Keine überrasschung.
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Lowend
08.04.2020 20:02registriert Februar 2014
Die Vermieter und die bürgerliche Politik meinen wohl, dass sie die einzigen sein werden, die ohne Schaden durch die Krise kommen, aber sie verdrängen, dass sie mit ihrem Vorgehen dafür sorgen, dass nach der Krise die Innenstädte wie Wüsten aussehen könnten, weil ihre Mieter Konkurs gingen.

Wer glaubt, dass dann einfach neue Mieter kommen, der hat noch nie Stadtmarketing betrieben, denn Leerstand einzelner Geschäftsräume führt in den meisten Fällen zu Leerstand in den Wohnungen und zu guter Letzt zur Verslumung ganzer Quartiere und dass nur, weil man den Hals nicht voll genug bekam.
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Zauggovia
08.04.2020 23:30registriert April 2018
Immer daran denken: die bösen, bösen Immobilienriesen, das sind hauptsächlich unsere Pensionskassen.
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