Das Buch heisst zwar «Verschwörung», aber
eigentlich geht es um Daniele Ganser.
Haben Sie ihn schon vor der legendären
«Arena»-Sendung gekannt?
Ich hatte von ihm
gehört, persönlich gekannt hatte ich ihn nicht.
Und hat er Sie beeindruckt?
Nein, aber die Folgen
der Sendung haben mich aus den Socken gehauen. Ich wurde massiv attackiert,
obwohl ich nur die zweite Geige neben Jonas Projer gespielt habe.
Eine ungewohnte Rolle für Sie.
Trotzdem wurde ich mit
Protesten zugemüllt, wie andere Journalisten übrigens auch. Da habe ich mir
gedacht: Es muss sehr viel mehr dahinter stecken, als ich bisher geglaubt habe.
Deshalb begann ich zu recherchieren und bin auf eine eigentliche Subkultur
gestossen, die weitgehend unbekannt, die aber beängstigend und riesig ist.
Sie zählen Namen wie Ken Jebsen, Jürgen
Elsässer und Rainer Mausfeld auf, die in dieser Subkultur auftauchen. Wie sind
diese Leute politisch einzuordnen?
Es ist eine
verschworene Gemeinschaft, die in ihrer eigenen Welt lebt. Sie haben das Gefühl, sie seien die
einzigen, die im Besitz der Wahrheit seien. Alle anderen sind blind und
manipuliert. Mit rationalen Argumenten ist ihnen nicht beizukommen. Sie werden
im Gegenteil als Zeichen wahrgenommen, wie schlimm die Verschwörung gegen sie
sei.
Sind diese Leute dumm?
Viele von ihnen sind
intelligent und sehr gebildet.
Handelt es sich also um Sekten?
Sie sind nicht im
gleichen Masse sichtbar wie Sekten.
Hier aber handelt es sich um Internet-Communities, die weitgehend anonym
sind, aber heute viel mehr Anhänger haben als selbst die grössten Sekten.
Gansers Hauptthese – abgesehen von der absurden
Theorie, dass das 9/11 von den Amerikanern selbst inszeniert wurde – lautet:
Alle Kriege drehen sich letztlich um Öl. Ganz falsch liegt er damit nicht.
Vieles, was Ganser
sagt, kommt vernünftig daher. Doch
inzwischen hat er sich in einen blinden Hass auf die USA verstiegen. Dabei
greift er zu absurden Vergleichen. So vergleicht er sich mit den Geschwistern
Hans und Sophie Scholl, die legendären deutschen Widerstandskämpfer gegen die
Nazis, die ermordet wurden. Sein Verfolgungswahn, der hinter solchen Aussagen
steckt, ist gleichzeitig realitätsfremd und beängstigend. Er stellt die Nato auf die gleiche Stufe wie das
Dritte Reich.
Ein Kronzeuge Gansers ist Noam Chomsky, der
wichtigste Linguist der Nachkriegszeit und der am meisten gelesene Politautor
der Gegenwart.
Die traditionelle
Unterscheidung von links und rechts ist heute weitgehend wertlos geworden. Bei
Ganser sind die Amerikaner und die Nato immer die Bösen, was immer auch auf der
Welt geschehen mag. Im Umkehrschluss muss Putin immer der Gute sein und wird
von ihm durch alle Böden hindurch verteidigt, beispielsweise, selbst wenn es um
die Giftgas-Angriffe in Syrien geht. Als sogenannter Friedensforscher hat sich
Ganser damit demaskiert. Er ist letztlich ein Propagandist des Kriegsherrn
Putin.
Was zeichnet die Subkulturen weiter aus?
Die meisten ihrer
Vertreter sind sehr mediengewandt. Ken Jebsen war Journalist beim öffentlichen
Berliner Rundfunk RBB. Ganser gibt den Akademiker, er ist eher eine Ausnahme.
Sind es Überzeugungstäter oder clevere
Geschäftsleute?
Schwierig zu sagen.
Jebsen hat gemerkt, dass er mit seinem Kanal KenFM ein Riesenbusiness machen
kann, ähnlich wie in den USA Alex Jones mit Infowars.
Wie weit glauben diese Leute den Unsinn, den sie
verbreiten?
Das wissen wir nicht.
Vielleicht sind einige von ihnen
ganz einfach durchgeknallt.
Gansers Bücher werden oft vom rechtsradikalen
Magazin Compact angepriesen. Zufall?
Umweltpolitisch gibt
sich Ganser grün. Gleichzeitig hat er keine Berührungsängste zu rechtsradikalen
Kreisen, etwa dem berüchtigten Kopp-Verlag.
Verbünden sich im Anti-Amerikanismus Alt-Stalinisten
und Neo-Faschisten?
Es gibt viele ehemals
extreme Linke, die heute extrem rechts sind. Extremisten haben keine Mühe, das
Lager zu wechseln. Ganser ist jedoch politisch nicht so leicht einzuordnen. Er
gefällt sich in der Rolle des Akademikers und betont seinen Doktortitel.
Allerdings sind seine akademischen Meriten äusserst fragwürdig, wie ich in
meinem Buch detailliert aufzeige.
Wie finanziert er sich?
Durch seine Bücher und
seine Vorträge.
Sie haben das deutsche Umfeld von Daniele
Ganser beleuchtet. Wie sieht es in der Schweiz aus?
In der Schweiz gibt es
weniger Figuren dieser Art.
Was ist mit Roger Köppel?
Er stimmt auch in den
Fakenews-Chor ein, er übernimmt – zumindest was die Medien betrifft – diese
Methoden der Verschwörungstheoretiker, ähnlich wie das auch Donald Trump macht.
Mit Weltwoche-Daily und Vorträgen
nähert sich Köppel in seinem Vorgehen ebenfalls dieser Szene an.
Das Internet spielt eine entscheidende Rolle.
Weshalb?
Zwei Ereignisse haben
die neue Verschwörungsszene entscheidend geprägt: 9/11 und das Internet.
Verschwörungstheorien sind doch so alt wie die
Menschheit.
Dank dem Internet können
sie heute weltweit verbreitet werden. Das Internet ist einfach, billig und
überall auf der Welt erreichbar.
Das hat die Verschwörungsszene explodieren lassen.
Über den Kennedy-Mord gibt es unzählige
Verschwörungstheorien. Sie haben sich auch ohne Internet verbreitet.
Es gibt
Weltverschwörungstheorien wie die Macht der Juden oder der Illuminati und
singuläre Verschwörungstheorien wie den Kennedy-Mord. Dass dieser Mord nach wie
vor nicht vollständig aufgeklärt ist, stimmt. Doch erst wenn man die ungelösten
Rätsel in Verbindung mit einer Weltverschwörung bringt, erhalten sie richtig
Power.
Die schlimmste Weltverschwörungstheorie, die
«Protokolle der Weisen von Zion», stammt aus dem 19. Jahrhundert in Russland.
Es handelt sich um
eine klare Fälschung. Trotzdem dient sie vielen immer noch als
Vorlage für ihre
Verschwörungstheorien. So fliesst sie auch in die aktuell beliebteste
Verschwörungstheorie zu 9/11 ein.
Was haben die Juden mit 9/11 zu tun?
Es wird von vielen
dieser Leute betont, dass die Amerikaner zusammen mit dem israelischen
Geheimdienst Mossad und den Juden gehandelt haben. Damit bedient man sich alter
antisemitischer Muster: Die Juden stecken hinter allem.
Gerade die amerikanischen Rechtsradikalen um
Steve Bannon geben sich betont Israel freundlich.
Israel ist das eine,
Antisemitismus etwas anderes. Wer dies gleichsetzt, macht einen Denkfehler.
Bannon ist auch der Führer der Alt-Right-Bewegung, die äusserst rassistisch
ist, wie die Demonstration in Charlottesville gezeigt hat. Dort fielen Sprüche
wie «Jews don’t replace us» (Juden werden uns nicht ersetzen).
Welche Rolle spielt Putin?
Er ist eine
Lichtgestalt dieser Bewegung. Man darf vermuten, dass er ihnen nicht nur
ideelle, sondern auch finanzielle Unterstützung zukommen lässt. Dass Putin jede
nur mögliche Verleumdungsmethode benutzt, um den Westen zu unterminieren, hat
er zur Genüge bewiesen. Er war schliesslich ein hochrangiger Offizier des
russischen Geheimdienstes KGB. Da kommen ihm die Verschwörungstheoretiker
zupass.
Was für ein Ziel haben die
Verschwörungstheoretiker?
Sie liefern eine
Erklärung für alle Menschen, die das Gefühl haben, sie hätten im Leben nicht
das erreicht, was sie eigentlich wollten. Denen bieten sie einen Sündenbock an,
der für ihr eigenes Unglück verantwortlich ist.
Ein positives Ziel hingegen formulieren die
Verschwörungstheoretiker nicht.
Viele dieser Leute mit
Weltverschwörungstheorien wollen die bestehende westliche Gesellschaft
zerstören. Wohin das führt, ist eine andere Frage. Daneben gibt es Spinner mit
einer Vielzahl von irren Theorien. Ich führe die im Buch ebenfalls auf.
Ganser plädiert für ein Bündnis von Russland
und Deutschland im Sinne von: Die Deutschen sind exzellente Ingenieure und die
Russen haben die Rohstoffe. Gemeinsam schlagen sie die verhassten Angelsachsen.
Auf ein solches Zitat
bin ich nicht gestossen. So gesehen leuchtet auch seine Bewunderung für Putin
ein.
Wie soll man als Journalist mit den
Verschwörungstheoretikern umgehen?
Schwierig. Sie
beschimpfen uns als Lügenpresse und werfen uns Meinungsmonopol vor.
Gleichzeitig nehmen sie jede Gelegenheit wahr, die sogenannten
Mainstream-Medien zu ihren Gunsten zu manipulieren.
Wie gehen Sie persönlich damit um?
Ich bin weiss Gott
jemand, der andere Meinungen respektiert und zu Wort kommen lässt. Ich kann
schon gar nicht mehr zählen, wie oft ich Christoph Blocher interviewt habe, und
ich duelliere mich wöchentlich bei Radio 1 mit Markus Somm. Wenn es jedoch um
reine Provokation geht, dann gibt es für mich Grenzen.
Würden Sie Ganser in eine Ihrer Sendungen
einladen?
Nein. Er würde gar
nicht kommen, denn er spricht fast ausschliesslich mit Journalisten, die ihm
genehm sind. Die legendäre Arena hat zudem gezeigt, dass Ganser sich nicht an
die Abmachungen hält. Er wollte nicht über Trump diskutieren, sondern über 9/11
und hat das durchgedrückt. Deshalb laden ARD und ZDF diese Leute auch nicht
ein.
Sollte man auch nicht mehr über diese Szene
berichten?
Man sollte ihnen keine
Plattform am TV und im Radio geben, weil sie sich dort nicht an die Themenvorgaben
halten. Doch man sollte aufklären. Ich habe ja mein Buch geschrieben, um aufzuzeigen,
was da abgeht. Die Hintergründe muss man aufdecken, weil diese Szene immer
grösser, aggressiver und unheimlicher wird.
Keine Angst vor möglichen Repressionen?
Man hat mich gewarnt,
dass ich mit unangenehmen Folgen rechnen muss. Aber wer mich kennt, weiss, dass
mich so etwas nicht abschreckt, sondern eher anspornt. Zudem glaube ich, dass
man mit echter Aufklärung Menschen davon abhalten kann, in diese Verschwörungsszene
einzutauchen.
In den USA haben Leute wie Alex Jones oder Sean
Hannity so etwas wie einen zivilen Bürgerkrieg angezettelt. Besteht diese
Gefahr auch hierzulande?
Ich weiss nicht. In
den USA hat es kürzlich den von Teenagern organisierten
«March For Our Lives» gegeben, bei dem eine Million Menschen auf die Strasse
gegangen sind. Die Zivilgesellschaft beginnt sich zu wehren, auch in der Schweiz.
Das ist gut so.