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Du willst nur das Beste? Voilà:
Ökonomen
und Wirtschaftshistoriker streiten sich darüber, ob sich die aktuelle Lage eher
mit 1914 oder mit 1933 vergleichen lässt. Wie sehen Sie das?
Ulrich Woitek: Solche Vergleiche finde ich schwierig. Die Phase vor
dem Ersten Weltkrieg war sehr stark geprägt von der Globalisierung. Die
Dreissigerjahre hingegen standen im Zeichen eines neuen Protektionismus. Es gibt
Ähnlichkeiten und Unterschiede zu beiden Perioden.
Gilt
also das berühmte Zitat von Heraklit: «Man kann nicht zwei Mal in den gleichen
Fluss steigen»? Mit anderen Worten: Sind historische Vergleiche sinnlos?
Nein. Die Grosse Depression ist ein gutes Beispiel
dafür, dass man aus der Geschichte lernen kann.
Was
genau hat man gelernt?
2008 hat die Krise zunächst schlimmer ausgesehen als
zu Zeiten der Grossen Depression. Das hat sich aber rasch geändert, weil die
Politik diesmal richtig reagiert hat.
Waren
es nicht vor allem die Zentralbanken, die rechtzeitig eingegriffen haben?
Ich meine Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne. Dazu
gehören die Fiskalpolitik des Staates und die Geldpolitik der Nationalbanken.
Die
Nationalbanken haben massiv Geld in die Wirtschaft gepumpt. Wie man aber jetzt
sehen kann, kommen sie nicht mehr von der Politik des billigen Geldes weg.
Das stimmt. Nur, was wäre die Alternative gewesen? Ich
sehe keine.
Die
umstrittene Politik des Quantitativen Easing (QE) war also die richtige
Massnahme?
Ja, als Reaktion auf die Finanzkrise hat es keine
Alternative gegeben.
Zyniker
sagen: Heute kann man jede Terrororganisation mit Drohnen und jede Finanzkrise
mit einem QE bekämpfen. Ist es angesichts der gewaltigen Verschuldung der
Staaten wirklich so einfach?
Ohne Kosten hätte sich die Krise nicht bewältigen
lassen. Aber jetzt stehen andere ökonomische Probleme an. Die Schuldenkrise ist
dabei das dringlichste.
«Der
Zyklus ist tot», lautete ein beliebter Slogan in der Boomphase vor der Krise.
Die Ökonomen wähnten sich im Gefühl, Rezessionen und Depressionen definitiv im
Griff zu haben. Sie haben sich intensiv mit Zyklen befasst. Wie sieht das heute
aus?
In Phasen des Aufschwungs macht sich immer wieder die
Euphorie breit, die darin mündet, dass man überzeugt ist, man hätte die Zyklen
überwunden. Das war beispielsweise in den 1920er Jahren in den USA sehr
ähnlich. Auch damals hat man geglaubt, man hätte nun den Konjunkturzyklus
verstanden, und auch, was man unternehmen muss, um ihn zu glätten. Vor der
Finanzkrise 2008 hat man ebenfalls von der «Grossen Moderation» gesprochen und
damit gemeint, der Zyklus sei gebändigt.
Wie
hat man das begründet?
Der damalige Präsident der US-Notenbank, Ben Bernanke,
hat drei Gründe genannt: Die Geldpolitik, strukturelle Änderungen und Glück. In
seiner Position als Fed-Chef hat er natürlich vor allem an die Geldpolitik
gedacht.
Aber
die Zyklen sind wieder zurück – oder nicht?
Dass es Wirtschaftszyklen gibt, ist unbestritten. Ob
sie nun fünf, sieben oder zehn Jahre dauern, ändert sich mit der Zeit.
Was
halten Sie vom berühmtesten Zyklus, der Kondratjew-Welle, die 50 Jahre dauert?
Dieser Befund ist umstritten, vor allem, weil es an
Daten fehlt. Verlässliche Daten über das Wirtschaftssystem gibt es erst seit
Mitte des 20. Jahrhunderts. Natürlich wird von diesen Daten extrapoliert und zurück
gerechnet. Aber das reicht nicht.
Generell
hat sich in allen politischen und weltanschaulichen Lagern das Gefühl einer
Wendezeit ausgebreitet. Teilen Sie dieses Gefühl?
Ich befinde mich sicher nicht in einer
Endzeit-Depression, aber natürlich bin ich der Meinung, dass sich vieles ändern
muss.
Was
zum Beispiel?
Das Finanzsystem ist viel zu instabil geworden. Da
müssen wir sehen, wie wir das in den Griff bekommen. Allerdings sollten wir
nicht in eine Überregulierung verfallen und die Komplexität der Regeln im Auge
behalten.
Was
wäre Ihrer Meinung nach eine sinnvolle Massnahme?
Unter anderem fände ich eine Rückkehr zum
Glass/Steagall-Act, dem amerikanischen Gesetz zur Trennung von Geschäfts- und anderen
Bankaktivitäten, eine gute Idee.
Wo wir grad beim Thema sind: Zur Zeit werden in der Schweiz Unterschriften für die Vollgeld-Initiative gesammelt. Sie verlangt, dass die Nationalbank das Monopol auf die Geldschöpfung haben soll. Eine gute Idee?
Das wäre ein Systemwechsel, der die Schöpfung von
Kreditgeld der Banken stoppen würde. Ehrlich gesagt: Ich weiss nicht, ob dies
eine gute Idee ist.
Oder
wir kehren zurück zum Goldstandard. Ist das eine gute Idee?
Im 19. Jahrhundert hatte der Goldstandard seine
Vorteile, er garantierte langfristig stabile Preise und Wechselkurse. Der
Nachteil liegt darin, dass bei einem Goldstandard die Nationalbanken keine
eigenständige Geldpolitik mehr betreiben können, sondern in einem Goldkorsett
gefesselt sind.
Ein
QE wäre dann nicht mehr möglich.
Genau. Das bedeutet auch, dass sich eine
Volkswirtschaft nicht mehr gegen Schocks von aussen schützen kann und hilflos
den Launen der Weltwirtschaft ausgeliefert ist. Daher finde ich es keine gute
Idee.
Heute
spricht man von einer dritten industriellen Revolution. Ist das mehr als ein
temporärer Hype?
Nein, es findet ein Strukturwandel statt. Das kann man
nicht mehr leugnen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass man sehr viel in das
Humankapital, sprich die Ausbildung der Menschen, investiert. Nur so können wir
uns flexibel an die neuen Anforderungen der Arbeitswelt anpassen.
Der
französische Ökonomen Thomas Piketty stellt in seinem Bestseller «Das Kapital
des 21. Jahrhunderts» fest: Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die «goldenen
Jahrzehnte» der sozialen Marktwirtschaft, war eine historische Ausnahme.
Jetzt kehrt der Kapitalismus zu seinem ursprünglichen, eher hässlichen
Ausbeutungsmechanismus zurück. Wie beurteilen Sie das?
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war sicher
speziell. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass wir in Europa wieder in
die Zeiten eines reinen Manchester-Kapitalismus zurückfallen werden. Der
Sozialstaat hat sich allen Mängeln zum Trotz bewährt.
Es
gibt aber Bemühungen, die sozialen Errungenschaften wieder rückgängig zu
machen, zumindest teilweise.
Aber es gibt auch sehr grossen Widerstand gegen diese
Bemühungen. Ich glaube nicht, dass sich der Sozialstaat wieder zurückentwickeln lässt.
Was
ist von der These zu halten, wonach bald 80 Prozent der Arbeitskräfte nicht
mehr gebraucht werden, weil sie durch Maschinen ersetzt werden? Wird es in
Zukunft sehr viele Hundesitter und Yoga-Lehrer geben?
Die Gefahr ist mittlerweile erkannt, und es gibt
keinen Grund, dieser Entwicklung bloss passiv zuzuschauen.
Wie
kann man sich aktiv dagegen wehren?
Wie gesagt, wir werden um das Thema Ausbildung nicht
herumkommen.
Andere
Massnahmen braucht es nicht, beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Sicher müssen wir über neue Modelle eines Sozialstaats
nachdenken und uns überlegen, ob die neuen Herausforderungen nicht auch neue
Strukturen und Institutionen brauchen. Ob das Grundeinkommen ein taugliches
Mittel ist, weiss ich nicht.
Lässt
sich die bestehende Wirtschaftsordnung noch reformieren, oder brauchen wir ein neues System?
Die Marktwirtschaft hat sich als relativ stabil erwiesen. Selbst auf dem Höhepunkt der letzten Krise – die bekanntlich sehr schwer war – wollte niemand ernsthaft das System abschaffen. Daran wird sich so schnell nichts ändern.
Und
was ist mit der sich abzeichnenden Klimaerwärmung und deren möglicherweise
katastrophalen Folgen?
Das ist ein Riesenproblem, keine Frage. Ich denke aber,
dass man auch eine nachhaltige Entwicklung mit Marktmechanismen steuern kann.
Wir haben über die Regulierung des Finanzmarktes gesprochen. Auch bei der
Umwelt gilt: Mit unüberlegten Regulierungen richtet man mehr Schaden als Nutzen
an. Aber ich bin grundsätzlich zuversichtlich, dass sich Lösungen finden lassen.
(Gestaltung: Anna Rothenfluh)