Dave Eggers Roman «The Circle» schildert ein IT-Unternehmen, das auffallend grosse Ähnlichkeit mit Google aufweist. Eine junge Frau macht in dieser Firma Karriere, zahlt dafür aber einen hohen Preis: Den totalen Verlust ihrer Privatsphäre. «The Circle» gilt als eine Adaption der klassischen Zukunfts-Horror-Romane, Aldous Huxleys «Schöne Neue Welt» und George Orwells «1984».
Als der Roman im Spätherbst letzten Jahres in den USA veröffentlicht wurde, war er ein Erfolg. Die kürzlich veröffentlichte deutsche Übersetzung ist bereits Kult. Eggers trifft die Befindlichkeit der europäischen Seele auf den Punkt genau. Kritik an den IT-Giganten aus dem Silicon Valley und Distanz zu den USA liegen im Trend. Anti-Amerikanismus ist angesagt, bei Linken und Rechten, aber auch bei Intellektuellen und Industriellen.
Vor allem Deutschland ist derzeit gar nicht gut auf die Vereinigten Staaten zu sprechen. Seit im Zuge der Geheimdienstaffäre bekannt wurde, dass selbst das Handy der Bundeskanzlerin von der NSA abgehört wurde, gibt es kein Halten mehr: In der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) werden Google, Amazon & Co. als «Gefahr für die Gesellschaft» bezeichnet.
Die «Zeit» wirft derweil dem Online-Anbieter Amazon vor, er würde «die Regeln diktieren, nach denen Bücher gelesen, geschrieben und publiziert» werden. Und Springer-Chef Mathias Döpfner warnt vor einer «immer vollständigeren Kontrolle durch Google».
FAZ, Zeit, Springer – es ist das gut bürgerliche deutsche Establishment, das sich derzeit mit anti-amerikanischen Zitaten gegenseitig zu übertrumpfen sucht. Die Kreise also, die vor Schrecken bleich wurden, als die Aktivisten der 68er-Generation bei ihren Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg «Amis go Home» skandierten.
Heute haben die Linken dieses Privileg verloren. Selbst die neue, rechtskonservative Partei «Alternative für Deutschland» profiliert sich mit Kritik an den USA und fordert mehr Verständnis für Russland.
USA-Bashing ist auch in höchsten Regierungskreisen angesagt. Um die Macht der IT-Giganten zu brechen, fordert SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dass Google die Geheimnisse seines Algorithmus aufdecken muss und am besten in Einzelteile zerschlagen werden soll. Seine Forderung begründet Gabriel damit, dass die «in neu-feudaler Selbstherrlichkeit auftretenden Monopolisten sich den rechtsstaatlichen Regeln entziehen».
Da mögen auch die Richter nicht hinten anstehen. Ein Frankfurter Gericht hat in erster Instanz gegen den neuen Internet-Taxi-Betreiber Uber ein einstweiliges Verbot ausgesprochen. Inzwischen ist dieser Bann wieder aufgehoben worden. Doch Uber stösst in Deutschland auf erbitterten Widerstand, nicht nur bei den Taxifahrern, sondern auch bei den ungleich mächtigeren Gewerkschaften.
In Deutschland wogen die Wellen des Anti-Amerikanismus derzeit besonders hoch. Doch auch die Franzosen machen Druck auf Jean-Claude Juncker, den neuen Präsidenten der EU-Kommission, härter gegen die IT-Giganten aus Übersee vorzugehen.
Der seit Jahren andauernde Steuerstreit hat auch hierzulande dazu geführt, dass kritische Töne gegen die USA auch aus bürgerlichen Kreisen zu hören sind. Für die SVP gehört USA-Bashing zum Tagesgeschäft.
Der Anti-Amerikanismus der 68er-Generation war getragen von einer Wut gegen einen amerikanischen Imperialismus und gegen den unsinnigen und grausamen Vietnamkrieg. Das aktuelle Kritik hingegen wird von nackter wirtschaftlicher Angst genährt. Google ist nicht nur für den Verleger Döpfner eine Bedrohung geworden. Auch die viel bedeutsamere Autoindustrie gerät unter Druck. Autos werden zunehmend zu Smartphones auf vier Rädern, IT wird auch in dieser Industrie immer wichtiger.
Google experimentiert mit Software-Fahrzeugen und hat bereits ein Google-Mobile angekündigt. Tesla will Milliarden in eine neue Batteriefabrik investieren und das Elektroauto massentauglich machen. Die Manager von VW, Mercedes und BMW werden daher von einem neuen Albtraum geplagt: Werden die stolzen Hersteller von Premiumprodukten immer mehr zu Zulieferern von banaler Hardware in einer ebenfalls von Software – und damit von einer von den USA – dominierten Branche?
Dank billigem Gas und im Vergleich zu Europa tieferen Löhnen sind die USA zudem im Begriff, wieder zu alter wirtschaftlicher Stärke zurückzufinden. Spötter sprechen bereits davon, die Vereinigten Staaten seien «das Schwellenland mit den viel versprechendsten Zukunftsaussichten» geworden.
Die ökonomische Zukunft Europas hingegen wird derzeit in düsteren Tönen geschildert. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den beiden Kontinenten löst daher mehr Bammel als Freude aus.
Kritik an den USA ist angebracht. So widmet selbst das amerikanische Elitemagazin «Foreign Affairs» seine aktuelle Nummer einer vernichtenden Analyse der aktuellen Schwächen der Vereinigten Staaten. Doch das grassierende Bashing der USA in Europa hat einen schlechten Beigeschmack, nicht nur weil es arg populistisch, sondern weil es geopolitisch fehl am Platz ist. Die eigentliche Gefahr droht nicht aus dem Westen, sondern aus den Osten –, und ohne amerikanische Hilfe wird es für Europa eng werden, Putin in die Schranken zu weisen.