Sag das doch deinen Freunden!
70 Jahre lang lag es im Giftschrank, das Buch, das manche für das gefährlichste der Welt halten. Adolf Hitlers Hetzschrift «Mein Kampf» – die Bibel des «Dritten Reiches» – war in Deutschland seit dem Sieg über das Nazi-Regime verboten.
Verboten? Nicht ganz. Eigentlich war es nur so, dass der Freistaat Bayern die ihm Ende der Vierzigerjahre von der US-Regierung übertragenen Urheberrechte dazu nutzte, jede Neuauflage des Machwerks zu verhindern. Antiquarische Ausgaben durften sehr wohl verkauft und erworben werden. Zudem ist «Mein Kampf» in vielen Ländern schon lange erhältlich, und im Internet ist es ohnehin problemlos zu finden.
Es sollte also kein Aufreger sein, wenn jetzt – nachdem die Urheberrechte 70 Jahre nach Hitlers Tod am 31. Dezember 2015 erloschen sind – eine neue Auflage in den Buchhandel kommt. Zumal es sich um eine kommentierte Edition handelt, die Hitlers Elaborat in über 3500 Anmerkungen zurechtrückt und zerpflückt.
Dennoch erregt selbst die knapp 2000 Seiten starke kommentierte Ausgabe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) Besorgnis. Als «fatales Signal in Zeiten von Pegida und brennenden Flüchtlingsheimen» wertet es eine Aktion der Werbeagentur Ogilvy & Mather und des Europa Verlags. Und Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, sähe es lieber, wenn Hitlers Hetzschrift «im Giftschrank der Geschichte» bliebe. Als könnte sich mit dem Gift des Nationalsozialismus infizieren, wer «den längsten paranoiden Leserbrief der Welt» liest, wie der Autor Gideon Böss «Mein Kampf» nennt.
«Mein Kampf», das Hitlers Widersacher Winston Churchill als «einen neuen Koran des Glaubens und des Krieges: schwülstig, langatmig, formlos, aber schwanger mit seiner Botschaft» charakterisierte, ist in der Tat ein von Judenhass und Rassenwahn getränktes Pamphlet des Bösen. Hitlers wichtigste politische Schrift ergeht sich in endlosen Fantasien über «Lebensraum im Osten» und die «asiatisch-jüdische Gefahr».
Einen grossen Teil seiner aggressiven Ergüsse formulierte der spätere «Führer» unter dem Arbeitstitel «Viereinhalb Jahre Kampf gegen Lüge, Dummheit und Feigheit. Eine Abrechnung» im Knast: In der Strafanstalt Landsberg am Lech verbüsste Hitler von Juli bis Dezember 1924 eine kurze Festungshaftstrafe – die Quittung für seinen gescheiterten Putsch am 8./9. November 1923 in München.
1925 erschien der erste Band unter dem Titel «Mein Kampf. Eine Abrechnung» im Parteiverlag der NSDAP; darin beschreibt Hitler seinen Werdegang, allerdings lückenhaft und stark verklärend. 1926 folgte der zweite, stärker programmatisch ausgerichtete Band («Die nationalsozialistische Bewegung»).
Der krude Inhalt und die stilistischen Unzulänglichkeiten – «bildungsbürgerliche Paradiersucht und österreichischer Kanzlistenschwulst», wie der Hitler-Biograf Joachim C. Fest befand – schreckten womöglich das Publikum ab: Bei einem Gesamtabsatz von 23'000 Stück war «Mein Kampf» bis Ende 1928 ökonomisch kein Erfolg.
Doch 1930 erschien eine verbilligte einbändige Volksausgabe, und parallel zu den Erfolgen der Nazis an den Wahlurnen stieg nun auch der Absatz der Nazi-Bibel. Noch vor der Machtergreifung Ende Januar 1933 waren 225'000 Stück abgesetzt. Danach ging es erst recht los, auch aufgrund wenig subtiler Massnahmen zur Absatzförderung: Ab 1936 wurde «Mein Kampf» frisch verheirateten Paaren vom Standesamt überreicht. Bis Ende 1944 stieg der Gesamtabsatz auf 12,4 Millionen Stück.
Der Millionen-Seller spülte viel Geld in den Geldbeutel des einstigen mittellosen Kunstmalers Adolf Hitler. Der NSDAP-Chef erhielt vom Parteiverlag äusserst vorteilhafte Bedingungen und konnte grosszügige Tantiemen einstreichen. Als Reichskanzler verzichtete er nicht auf diese sprudelnde Geldquelle – im Gegenteil: Ab 1935 bezog der «Führer» die Einkünfte aus dem Buchverkauf sogar steuerfrei. Schätzungsweise verdiente Hitler – der doch im Gegensatz zum raffgierigen Göring als bescheidener Asket galt – mit «Mein Kampf» insgesamt 12 Millionen Reichsmark; bei heutiger Kaufkraft über 100 Millionen Franken.
Nach dem Krieg, als Deutschland und weite Teile Europas in Trümmern lagen, stellte sich die Frage, ob die Katastrophe vermeidbar gewesen wäre, wenn man «Mein Kampf» nicht nur gelesen, sondern auch ernst genommen hätte. Auch wenn Hitler sich in Einzelheiten nicht immer an sein in «Mein Kampf» dargelegtes Programm hielt, so ist eines sicher: Dieser Fanatiker glaubte an seine welthistorische Mission, und er setzte sie ohne prinzipielle Abstriche um, sobald er an die Macht gelangte.
Sehr viele Deutsche hatten das Buch nicht nur im Bücherregal stehen, sie hatten es auch gelesen – etwa 12 Millionen, wie die amerikanische Militärverwaltung auf Grundlage von Umfragen schätzte . Auch die Ausleihzahlen in den Bibliotheken widerlegen den Mythos, die Hassschrift sei gar nicht gelesen worden. Und die Exil-SPD stellte im Mai 1939 in einem Bericht fest: «Über die Ziele [Hitlers] an sich kann man aus Kreisen der Hitlergegner ähnliches hören wie von überzeugten Nationalsozialisten. Man sagt, dass Hitlers Kampf über diese Ziele deutlich genug spräche, so dass man sich nicht in Vermutungen darüber ergehen brauche.»
Und auch heute noch wird «Mein Kampf» eifrig gelesen. In Indien und in arabischen Ländern ist die Hetzsschrift ein Longseller; in den Buchläden von Kairo liegt das Buch selbstverständlich zwischen religiösen Traktaten und Nasser-Biografien. Von 2005 bis 2007 fand «Kavgam», die türkische Übersetzung von «Mein Kampf», reissenden Absatz in der Türkei, dann setzte der Freistaat Bayern sein Urheberrecht durch. Dies konnte er in den USA und Grossbritannien nicht tun, denn der NS-Parteiverlag hatte die Rechte schon in den Dreissigerjahren an dortige Verlage verkauft.
In Deutschland hingegen wird es vorderhand wohl bei der kommentierten Neuausgabe des IfZ bleiben. Schon 2014 vereinbarten die Justizminister der deutschen Bundesländer, dass unkommentierte Neudrucke weiterhin verboten bleiben sollen. Da es sich bei «Mein Kampf» um Volksverhetzung handle, werde man strafrechtlich dagegen vorgehen.
Christian Hartmann, der Projektleiter der IfZ-Neuausgabe, sieht das Heil hingegen nicht im Strafrecht, sondern in der Aufklärung: «Mit unserer Edition wollen wir den Mythos um das Buch gründlich zerstören. Unsere Edition ist eine völlige Destruktion dieses Buchs.»
Eine kommentierte Ausgabe zu lesen macht meiner Meinung nach schon Sinn, da man aus historischer Sicht noch viel dazulernen kann.
Viel Spass beim Lesen, ich gönne es mir nicht mehr 😄