Wasser von sauren Gurken? Aspirin und Rollmops? Oder einfach genügend Wasser zwischen den Drinks, um noch am selben Abend dem späteren Kater vorzubeugen? All diese Hausmittel gegen den schlimmen Gemütszustand am nächsten Tag scheinen Schnee von gestern zu sein, seit die Elektrolyt-Lösung deren Platz eingenommen hat.
Das Rezept ist so beliebt, dass partyfreudige Menschen mittlerweile zwischen einer grossen Bandbreite von Produkten auswählen können. Sei es das sehr bekannte Medikament Elotrans des Pharmakonzerns Stada, Party Fly von Philpharma oder der After Party Drink von One47.
Interessant: Während solche Lösungen ursprünglich nur in der Apotheke zu bekommen waren, sind letztere beiden nun auch etwa bei dm erhältlich. Die Frage ist nur: Tut man sich damit wirklich einen Gefallen?
Vor allem das genannte Elotrans stösst dabei auf grosse Beliebtheit. Die Social-Media-Plattform TikTok ist voller Videos junger Menschen, die sich teilweise betrunken filmen und ankündigen, Elotrans auszuprobieren – und sich danach hellauf begeistert von der Wirkung zeigen. Eigentlich ist die Elektrolyt-Lösung ein Mittel gegen Durchfall-Erkrankungen. Nun ist es scheinbar auch das lang ersehnte Heilmittel für einen Alkoholkonsum ohne Konsequenzen.
Trinken ohne Kater am nächsten Tag – eine Vorstellung, die wahrscheinlich viele Menschen reizvoll finden. Kann es wirklich so einfach sein? Die hohe Nachfrage scheint darauf hinzudeuten.
Auf watson-Anfrage bestätigen auch die Apotheken die grosse Beliebtheit solcher Produkte. So kam es in der Vergangenheit aufgrund der hohen Nachfrage bereits zu Lieferengpässen. Allerdings sehen die Apotheken den Konsum dabei nicht unkritisch, da er gesundheitliche Risiken birgt.
Die Sprecherin des Apothekerverbandes Bayern warnt davor, Elotrans ohne Notwendigkeit zu konsumieren: «Falsch dosiert kann es zu erheblichen Nebenwirkungen kommen, von Krämpfen und Durchfall bis im schlimmsten Fall sogar zu Herz-Rhythmus-Störungen.»
Nicht nur die falsche, auch die dauerhafte Einnahme kann laut Lutz Schehrer gefährlich werden. Das Vorstandsmitglied des Hamburger Apothekervereins sagt gegenüber watson: Wenn man das Präparat täglich anwende, könne das «aufgrund des Kaliumgehaltes zu Nierenschäden und aufgrund des Natriumgehaltes zu Bluthochdruck führen. Die enthaltenen Salze sollen ja nur zugeführt werden, wenn diese zu stark ausgeschieden wurden.»
Gerade für vorerkrankte Menschen mit Herzschwäche, Bluthochdruck oder Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) kann die Einnahme der Elektrolyt-Lösung schnell gefährlich werden.
Stada, der Konzern hinter Elotrans, hat scheinbar nicht viel gegen die missbräuchliche Nutzung seines Medikaments. Sein humorvoller Instagram-Auftritt lässt jedenfalls Raum für Interpretationen. Laut Heilmittelwerbegesetz (HWG) allerdings ist irreführende Werbung für Medizinprodukte verboten. Da Elotrans nur «zur Rehydratation und Elektrolytsubstitution bei Durchfallerkrankungen» zugelassen ist, darf es folglich nicht als Kater-Mittel beworben werden.
Stada selbst sagt auf Anfragen des Magazins Der Spiegel öffentlich, auf keinen Fall wolle man mit dem Instagram-Kanal «die Risiken des Alkoholgenusses kleinreden oder relativieren oder Menschen dazu motivieren, Alkohol zu trinken.» Das Unternehmen führt die erhöhte Nachfrage nach dem Durchfall-Medikament auf die Reisesaison zurück.
Wie problematisch der Trend zur Elektrolyt-Lösung als Anti-Kater-Mittel ist, weiss auch Dr. med. Reingard Herbst, Suchtmedizinerin und Chefärztin der Nescure Privatklinik am See.
«Ich sehe nicht das Problem in der Nutzung an sich, sondern in dem, was das Ganze den Nutzern vorgaukeln kann», sagt sie in einem Gespräch mit watson. Darüber hinaus findet sie es problematisch, wenn Kleinkinder oder alte Menschen nun keine Medikamente mehr bekommen, weil Partygänger sie gegen ihren Kater verwenden. Denn für sehr junge oder hochbetagte Menschen können Durchfallerkrankungen durchaus eine ernste Gefahr darstellen.
Doch das ist nicht die einzige Sorge, die Herbst umtreibt. «Das sind die Patienten von morgen», sagt sie. Ihre Befürchtung ist, «dass die jungen Menschen mit dem Alkohol noch leichtfertiger umgehen», wenn sie die direkten und auch unangenehmen Nachwirkungen des Konsums nicht mehr spüren.
Den Menschen werde «durch dieses Nichtspüren der Auswirkung vorgegaukelt (...), dass der Alkohol vermeintlich ungefährlicher wäre», kritisiert die Suchtmedizinerin. Und sie sieht – gerade im Hinblick auf einen «fliessenden Übergang in eine Abhängigkeit» – den leichtfertigeren Alkoholkonsum als «sehr problematisch».
Und gerade das kann zum Problem werden: Diejenigen Patienten der Suchtmedizinerin, die sich spüren und merken können, wie ihr Körper reagiert, würden ganz anders und vorsichtiger mit Medikamenten umgehen. Dies gilt nicht nur für körperliche, sondern auch seelische Beschwerden. «Wir müssen auch schlechte Gefühle aushalten und schauen: Wie lange dauert es und was muss ich tun, dass ich rauskomme aus dem Ganzen?»
Denn Alkohol und Depressionen hängen häufig zusammen: Damit einher gehe der Wunsch, nichts mehr zu spüren. «Genau das sind auch unsere Patienten: diejenigen, die sich nicht mehr spüren.» Manche benutzten den Alkohol, um das zu erreichen, um etwas nicht zu spüren. Zum Beispiel, um schlechte Gefühle zu verdrängen.
Und genau das sei das Gefährliche: Denn «dann rutscht man ganz schnell in diese Funktionalität des Suchtmittels», sagt Herbst und führt weiter aus:
Dabei hat Herbst gar nichts dagegen, wenn man Elektrolyt-Mittel in Ausnahmefällen einmal gegen den Kater verwende: «Es sollte trotzdem ein Mittel sein, was man da belässt, wo es hingehört. Und wenn man es mal benutzt, okay, von mir aus. Aber das ist kein Freibrief für noch mehr Alkohol.»
(watson.de)
Ich bin nüchtern ins 2024 gestartet und fühle mich richtig gut! Jetzt freue ich mich auf einen Spaziergang draussen, ohne mich dabei elend zu fühlen.
Zusammensetzung: 4 g Zucker, 1 g Salz, ein wenig Zitronenaroma, auflösen in 2 dl Wasser
Geht auch billiger...