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Astronomie

Das Geheimnis der ORCs – der seltsamen Radiokreise – ist gelüftet

ORC 1, der erste entdeckte seltsame Radiokreis
ORC 1, der erste entdeckte «seltsame Radiokreis». Bild: Jayanne English / University of Manitoba

ORCs sind grösser als Galaxien – jetzt ist das Rätsel der seltsamen Radiokreise gelöst

15.01.2024, 19:54
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Erst 2019 wurden sie entdeckt: gigantische sogenannte seltsame Radiokreise (engl. Odd Radio Circles, ORC), deren Durchmesser hunderttausende von Lichtjahren beträgt. Damit sind sie so gross, dass sie ganze Galaxien in ihrem Zentrum enthalten können. «Odd Radio Circles» heissen sie, weil sie weder im optischen noch im infraroten Bereich sichtbar sind und auch keine Röntgenstrahlung abgeben, sondern lediglich Radiowellen. Bis vor Kurzem war nicht bekannt, wie diese mysteriösen Ringe entstanden sind, von denen bisher nur fünf entdeckt worden sind.

Doch nun hat ein Forschungsteam unter der Leitung der Astronomin Alison Coil von der University of California San Diego eine mögliche Erklärung für die Entstehung der ORCs gefunden. Die Astronomen, die ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlichten, nahmen dafür sogenannte Starburst-Galaxien unter die Lupe – das sind Galaxien, in denen eine ausserordentlich hohe Anzahl von Sternen entsteht.

«Diese Galaxien sind wirklich interessant», stellt Coil in einer Mitteilung der Universität fest. «Sie entstehen, wenn zwei grosse Galaxien zusammenstossen. Durch die Verschmelzung wird das gesamte Gas in eine sehr kleine Region gepresst. Dadurch entstehen in kurzer Zeit viele Sterne. Massereiche Sterne brennen schnell aus, und wenn sie sterben, stossen sie ihr Gas aus, wodurch schnelle galaktische Winde entstehen.»

«Computer Simulation of Outflowing Galactic Wind.»Video: YouTube/UC San Diego School Of Physical Sciences

Es ist dieser Prozess, der gemäss den Forschern zu den seltsamen Radiokreisen führt. Falls eine ausreichend grosse Anzahl von Sternen in unmittelbarer Nähe zueinander explodiert – was in aktiven Sternentstehungsgebieten möglich ist –, gewinnt das Gas genügend Geschwindigkeit, um aus der Galaxie zu entkommen. Diese galaktischen Winde können dabei Geschwindigkeiten von bis zu 2000 Kilometern pro Sekunde erreichen und so die Entstehung von ORCs verursachen.

Astronomers discovered enormous radio wave circles in 2019, named ORCs.
Künstlerische Darstellung eines ORC. Bild: SciTechDaily.com

Coil und ihr Team kamen dem Geheimnis auf die Spur, indem sie ORC 4 untersuchten, den bisher einzigen Radiokreis, der von der nördlichen Hemisphäre aus beobachtbar ist. Bis dahin waren ORCs nur über ihre Radioemissionen beobachtet worden, ohne jegliche optische Daten. Die Astronomen nutzten jedoch einen Integralfeldspektrographen am W.M. Keck-Observatorium auf Hawaii, der eine enorme Menge an leuchtendem, hoch erhitztem und komprimiertem Gas zutage förderte – mehr als in einer durchschnittlichen Galaxie.

Optische und Infrarot-Daten zeigten dann, dass die Sterne in ORC 4 etwa sechs Milliarden Jahre alt waren und dort eine Periode der aktiven Sternentstehung stattgefunden hatte, die vor rund einer Milliarde Jahren endete. Die Astrophysikerin und Studien-Co-Autorin Cassandra Lochhaas führte eine Reihe von Computersimulationen durch, um die Grösse und die Eigenschaften des Radiorings nachzubilden.

Gemäss ihren Berechnungen waren die galaktischen Winde etwa 200 Millionen Jahre lang aktiv, bevor sie aufhörten. Als dies geschah, trieb eine vorwärts gerichtete Schockwelle weiterhin Gas mit hoher Temperatur aus der Galaxie und erzeugte einen Radiokreis, während eine rückwärts gerichtete Schockwelle kühleres Gas zurück in die Galaxie fallen liess. Die Simulation lief über einen Zeitraum von 750 Millionen Jahren ab – das entspricht in etwa dem geschätzten Alter von ORC 4 von einer Milliarde Jahren.

Animiertes GIFGIF abspielen
Animation eines ORC, der aus einer zentralen Galaxie heraus explodiert.GIF: CSIRO, HST (HUDF), ESA, NASA/Sam Moorefield/J. English

Bisher wurden noch nicht viele ORCs entdeckt. Dies liegt daran, dass die Bedingungen für ihre Entstehung perfekt erfüllt sein müssen: Es muss zum einen viel Material in kurzer Zeit ausgestossen werden, zum andern muss das Gas ausserhalb der Galaxie eine niedrige Dichte aufweisen, sonst kommt die Schockwelle zum Stillstand.

Da die Astronomen nun die Ursache für die Entstehung von ORCs geklärt haben, stellen sich Folgefragen. Etwa, ob sämtliche grossen Galaxien einst eine Phase durchliefen, in der sie einen Radiokreis hatten. Oder ob Spiralgalaxien elliptisch werden, wenn sie keine Sterne mehr bilden. «Ich denke, wir können eine Menge über ORCs lernen und von ORCs lernen», stellt Coil fest. (dhr)

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17 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Präventionsparadox
15.01.2024 20:05registriert Januar 2021
Faszinierend, obwohl ich Mühe habe, das gsnze zu verstehen:-)
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Mezzomix
15.01.2024 21:33registriert Februar 2019
Faszinierend. Ich versteh nichts davon und dennoch ziehen mich die Dimensionen in ihren Bann. Macht weiter so, was immer ihr auch tut :-)
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SwissCat
15.01.2024 20:50registriert Juni 2020
Einfach Cool die Astronomie 😎
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