Sie sind Zeugen der Vergangenheit, die nur sporadisch sichtbar sind; sie erinnern an schlimme Zeiten und dienen zugleich als Warnung vor solchen – sogenannte Hungersteine, die normalerweise unter Wasser liegen und nur bei Niedrigwasser zum Vorschein kommen. Häufig sind Jahreszahlen und Linien auf ihnen eingemeisselt, die solche extreme Wasserstände festhalten, ähnlich wie bei Hochwasser. Oft sind auch warnende Inschriften darauf zu finden – beispielhaft etwa die Warnung auf einem Hungerstein im tschechischen Děčín (früher Tetschen): «Wenn du mich siehst, dann weine.»
Nun ist es wieder so weit: Die anhaltende Trockenheit in Mitteleuropa lässt den Wasserstand der Flüsse dramatisch sinken. Rhein und Elbe sind an vielen Stellen trocken. Hier und auch am Oberlauf der Weser kommen verschiedentlich wieder Hungersteine zum Vorschein, wie deutsche Medien berichten.
Der Begriff «Hungersteine» – er soll ursprünglich von Schiffern geprägt worden sein, deren Einkünfte bei Niedrigwasser einbrachen – und die ominöse Warnung, dass ihr Anblick Grund zum Weinen sei, weist darauf hin, dass extrem niedrige Wasserstände für die Bevölkerung eine mitunter tödliche Gefahr darstellten. Auf extreme Dürren folgten oft verheerende Hungersnöte. Die Austrocknung der Schifffahrtswege brachte zudem die Binnenschifffahrt zum Erliegen, was den Transport von Lebensmitteln und anderen Waren massiv erschwerte.
#Hungerstein in der Elbe. Sichtbar werden sie erst bei Niedrigwasserständen wie derzeit. Sie heißen Hungersteine weil früher auf niedrige Wasserstände der Flüsse oft Hungersnöte folgten. Auf diesem steht: „Wenn du mich siehst, dann weine.“ Irgendwie beklemmend. pic.twitter.com/hoS9VIXJS0
— Herzgeräusch (@herzgerausch) August 14, 2022
Die auf den Steinen angebrachten Jahreszahlen gehen zum Teil bis ins 15. Jahrhundert zurück, wobei nicht immer klar ist, ob sie nicht vielleicht nachträglich eingraviert wurden. Urheber dürften in den meisten Fällen Anwohner gewesen sein. Einige der Steine tragen mehrfache Inschriften aus verschiedenen Jahren.
Das trifft auch auf jene in Děčín zu. Die erwähnte Inschrift «Wenn du mich siehst, dann weine» stammt aus dem 19. Jahrhundert; ältere gehen bis zum 17. Jahrhundert zurück. Noch ältere aus dem 15. Jahrhundert sind unlesbar, sie wurden im Laufe der Zeit durch ankernde Schiffe abgerieben. In den 1930er-Jahren kam ein Spruch in tschechischer Sprache dazu: «Mädchen, weine und klage nicht, wenn es trocken ist, spritze das Feld.» Der Stein in Děčín liegt derzeit allerdings nicht frei, da die Elbe auf ihrem tschechischen Abschnitt momentan nicht extrem wenig Wasser führt.
Weitere Hungersteine wurden besonders in der Elbe gefunden, so etwa bei Těchlovice (früher Tichlowitz), Königstein oder in Dresden. Eine Forschungsgruppe unter Leitung des Senckenberg-Instituts kartografiert seit 2005 die Fundstellen. Zwischen der Böhmischen Schweiz und Sachsen-Anhalt haben die Wissenschaftler bisher weit über hundert Hungersteine erfasst.
Auch im Rhein gibt es Hungersteine; so bei Leverkusen und Remagen-Kripp. Mehrere von ihnen liegen bei Rheindürkheim in der Nähe von Worms weitab vom Ufer und nahe der Fahrrinne. Die älteste Inschrift auf dem «Urstein» dort stammt aus dem Jahr 1857, darunter wurde «Hungerjahr 1947» in den Stein gemeisselt. Weitere Jahreszahlen auf dem Stein sind 1959 und 1963. Ein anderer Stein trägt die Jahreszahl 2003 – damals kamen die Steine wieder zum Vorschein. Dies geschah auch in den Jahren 2009 und 2011.
«Wer einst mich sah, der hat geweint. Wer jetzt mich sieht, wird weinen», steht auf einem Hungerstein in Těchlovice. Die Mahnmale, die an vergangene Dürren und Hungersnöte gemahnen und vor künftigen warnen, erhalten vor dem Hintergrund der zunehmenden Klimaerwärmung einen unheimlich aktuellen Bezug. (dhr)
Man kann sich aber darauf einstellen, dass das in Zukunft wieder ein Thema wird. Klimawandel sei Dank