Smartphone am Steuer – junge Autofahrer sind ein Fünftel der Fahrtzeit abgelenkt
Es sind beunruhigende Zahlen, die eine neue Studie des US-amerikanischen medizinischen Forschungskonglomerats Mass General Brigham zutage gefördert hat: 91,8 Prozent der befragten jugendlichen Autofahrerinnen und Autofahrer lassen sich bei jeder Fahrt mindestens einmal vom Smartphone ablenken (dazu zählt auch das legale Telefonieren mit einer Freisprechanlage). Im Schnitt verbringen sie 21 Prozent der Fahrzeit mit dem Blick aufs Display. Zudem dauern 26,5 Prozent dieser Blicke aufs Smartphone zwei Sekunden oder länger – was das Unfallrisiko drastisch erhöht.
Die Reaktionsgeschwindigkeit im Fahrzeug beträgt in der Regel zwei Sekunden. Ist der Fahrer abgelenkt, verlängert sich diese – um bis zu 50 % beim Telefonieren (auch mit der Freisprechanlage). Das ist so viel wie bei einem Alkoholpegel von 0,8 Promille. Noch gefährlicher ist das Schreiben von Textnachrichten oder das Surfen während des Fahrens: Hier ist der Fahrer nicht nur geistig und motorisch abgelenkt, sondern wendet auch noch den Blick von der Strasse ab. Nach Angaben der BfU dauert dies im Schnitt fünf Sekunden.
Je nach Geschwindigkeit entspricht eine Sekunde der Unaufmerksamkeit einer enormen Distanz: Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h sind es knapp 28 Meter, bei 30 km/h immer noch 8 Meter.
Telefonieren während der Fahrt erhöht das Unfallrisiko – je nach Studie ist es vier- bis fünfmal höher. Beim Schreiben von Textnachrichten ist es sogar um das 23-Fache erhöht.
Das Forschungsteam entwickelte einen Fragebogen mit 38 Punkten, der an mehr als 1100 Teilnehmer verteilt wurde. Zuvor fanden 20 ausführliche Interviews mit High-School-Schülern statt, um die Faktoren zu ermitteln, die sie dazu veranlassten, sich während des Fahrens ablenken zu lassen. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift «Traffic Injury Prevention» veröffentlicht.
Vor allem zur Unterhaltung
Die Studie zeigt deutlich, dass die Jugendlichen ihre Smartphones während der Fahrt nicht hauptsächlich für die Navigation oder die Kommunikation in Notfällen nutzen, sondern in erster Linie für Spiele, Videos und soziale Medien. Unterhaltung (65 % der Fälle) führt die Liste der Ablenkungen an, vor Textnachrichten (40 %) und Navigation (30 %). Abgelenktes Fahren ist also eher auf Langeweile als auf praktische Bedürfnisse zurückzuführen.
«Abgelenktes Fahren ist eine ernste Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und besonders besorgniserregend bei jungen Fahrern», warnt die Hauptautorin Rebecca Robbins vom Brigham and Women's Hospital in einer Pressemitteilung. «Abgelenktes Fahren bringt nicht nur den Fahrer selbst in Gefahr, verletzt oder getötet zu werden, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer.»
Gefährliche soziale Norm
Gemäss der Studie sind sich die meisten Jugendlichen durchaus bewusst, dass abgelenktes Fahren das Unfallrisiko erhöht. Sie nehmen überdies an, dass wichtige Bezugspersonen in ihrem Leben die Smartphone-Nutzung während des Fahrens missbilligen. Obwohl sie aber die Risiken kennen, betrachten sie abgelenktes Fahren als normales Verhalten von Gleichaltrigen. Diese Auffassung, dass «jeder es tut», schafft laut den Studienautoren eine gefährliche soziale Norm, in der riskantes Verhalten akzeptabel erscheint.
Ein paradox erscheinender Befund der Studie ist, dass die meisten jugendlichen Fahrer glauben, dass sie dem Druck oder der Verlockung, das Smartphone während des Fahrens zu nutzen, gut widerstehen können – während sie gleichzeitig zugeben, dass sie einen bedeutenden Teil der Fahrzeit mit dem Blick aufs Display verbringen.
Gefährliches Verhalten reduzieren
Das Forschungsteam sieht in dieser Selbstüberschätzung eine mögliche Erklärung dafür, warum Kampagnen zur Fahrsicherheit offenbar wenig fruchten. Obwohl 35 US-Staaten jungen Fahrern die Nutzung von Mobiltelefonen verbieten, hält sich die Praxis hartnäckig. Robbins ist überzeugt, dass die Studie hier mögliche Wege aufzeigt, um dieses gefährliche Verhalten zu reduzieren: «Die Ergebnisse der Studie geben uns Einblicke in die Wahrnehmungen und Überzeugungen von jugendlichen Fahrern, die dazu beitragen können, wirksame Massnahmen zur Verhinderung von abgelenktem Fahren zu entwickeln.»
Robbins gibt denn auch Tipps, wie man die Smartphone-Nutzung im Auto verringern kann. So sollte der Ruhemodus vermehrt aktiviert und das Smartphone ausser Reichweite aufbewahrt werden. Wichtig sei zudem, dass Jugendliche genug Schlaf bekämen.
Wer in der Schweiz während der Fahrt ohne Freisprecheinrichtung telefoniert, muss mit einer Busse von 100 Franken rechnen. Je nach Fall kann Telefonieren am Steuer aber auch härter bestraft werden. Das Schreiben von Textnachrichten am Steuer wird als grobe Verkehrsregelverletzung eingestuft, die mit Haft bis zu drei Jahren oder Geldstrafe sanktioniert werden kann.
Telefonieren über eine Freisprechanlage ist zwar erlaubt, kann aber auch empfindlich bestraft werden. Etwa dann, wenn der Fahrer bei einem Unfall die Vorsichtspflicht verletzt und die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hat. Telefonieren während der Fahrt ohne Freisprechanlage kann überdies nach Unfällen zu Leistungskürzungen der Unfallversicherung wegen Grobfahrlässigkeit führen.
40 Prozent nutzen in der Schweiz das Handy während der Fahrt
Die Zahlen aus der amerikanischen Studie lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Schweiz übertragen. Doch auch hierzulande dürften sich vor allem junge Fahrer oft während der Fahrt vom Smartphone ablenken lassen. Gemäss einer von der Allianz-Versicherung durchgeführten Umfrage benutzen rund 40 Prozent der Autolenker auf Schweizer Strassen das Handy am Steuer. Und mehr als drei Viertel der Autofahrer fühlen sich durch Technik abgelenkt.
Das Smartphone wird laut einer Studie der Allianz-Versicherung aus dem Jahr 2023 in Deutschland immer mehr auch zum Spielen, Musikauswählen, Bilderanschauen, Websurfen oder anderem genutzt. 2022 räumten 22 Prozent der Befragten ein, das Gerät während der Fahrt auf diese Weise zu nutzen – 2016 waren es nur 6 Prozent gewesen. Einzig das Telefonieren mit dem Handy in der Hand nahm in diesem Zeitraum ab (von 25 % auf 16 %), während das Schreiben von Textnachrichten (von 8 % auf 16 %) und das Lesen solcher Nachrichten (von 14 % auf 21 %) ebenfalls deutlich zunahmen.
Auch in dieser deutschen Studie sind vornehmlich junge Fahrer (18–24 Jahre) die «Sorgenkinder der Ablenkung»: Telefonieren mit dem Gerät in der Hand ist bei dieser Altersgruppe mit 30 Prozent fast doppelt so stark vertreten wie bei der Gesamtheit der Befragten (16 %). Noch mehr – 39 Prozent – tippten oder lasen elektronische Nachrichten mit dem Smartphone in der Hand. Das ist 2,5-mal mehr als 2016. Ein Grund dafür dürfte der Trend sein, fortlaufend über Social Media in Kontakt zu stehen.