«Alarmierend», «schockierend», «Füllt sich mein Gehirn mit Plastik?»: So oder ähnlich lauteten die Reaktionen auf eine kürzlich in «Nature Medicine» veröffentlichte Studie. Selten hat eine wissenschaftliche Arbeit für so viel Aufsehen gesorgt. Von den mehr als 260'000 im gleichen Zeitraum publizierten Studien erhielten nur wenige mehr Aufmerksamkeit.
Der Grund: Zum ersten Mal wurde Mikroplastik – Kunststoffpartikel, die kleiner als 5 Millimeter sind – im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Das Team um den Toxikologen Matthew Campen von der University of New Mexico untersuchte 91 Gehirne Verstorbener und fand die Partikel in jedem einzelnen. Besonders auffällig: In den Gehirnen von Demenzkranken waren die Konzentrationen drei- bis fünfmal höher als bei kognitiv gesunden Personen.
Die Besorgnis über Mikroplastik nimmt seit Jahren zu, weil die winzigen Teilchen inzwischen überall nachgewiesen werden – selbst in der Antarktis. Tierversuche und Zellstudien deuten darauf hin, dass die Stoffe Entzündungen auslösen, Organe schädigen, das Krebsrisiko erhöhen, die Fortpflanzung beeinträchtigen sowie das Immunsystem und den Stoffwechsel stören können. Eine Studie an Menschen entdeckte Mikroplastik sogar in der Halsschlagader – mit einem möglichen Zusammenhang zu Herzinfarkten und Schlaganfällen.
Peter Wick beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit winzigen Partikeln und ihren Wechselwirkungen mit dem menschlichen Körper. Der Biologe leitet an der Empa die Forschungsgruppe «Nanomaterials in Health» und ist Titularprofessor an der ETH Zürich. Er gibt sich vorsichtig: «Die Frage nach der Gesundheitsschädlichkeit von Mikro- und Nanoplastik lässt sich nicht pauschal beantworten.»
Ein Bericht der Uno spricht zum Beispiel von 13'000 chemischen Bestandteilen in Kunststoffen, von denen 3200 als potenziell bedenklich eingestuft werden. Mikro- und Nanoplastik enthält ausserdem verschiedene Zusatzstoffe, deren Wirkung sich gegenseitig verstärken kann.
Zudem hält Wick viele der in Studien ermittelten Mengenangaben teils mit einem hohen Unsicherheitsfaktor behaftet. «Die Analytik ist noch nicht zuverlässig genug entwickelt», betont er. «Dadurch wissen wir noch nicht genau, welche Mengen tatsächlich im Körper ankommen und welche wieder ausgeschieden werden.» Zumal der menschliche Körper an Fremdstoffe in kleinen Mengen gewöhnt sei. Die Lunge kann beispielsweise Russpartikel wieder loswerden, das Immunsystem Viren/Bakterien abwehren. Die eigentliche, noch unbeantwortete Frage sei daher: Überfordern wir unseren Körper mit einer zu grossen Menge an Mikroplastik in zu kurzer Zeit?
Eine Forschergruppe um Kevin V. Thomas, Professor für Umweltgesundheitswissenschaften, äusserte sich kürzlich in einem «Nature»-Kommentar ebenfalls kritisch zu der Studie von Campen und Kollegen. Ihr Argument: Labore sind oft selbst eine Quelle von Plastikpartikeln. Es sei nicht auszuschliessen, dass Proben während der Entnahme, beim Transport, der Lagerung oder der Analyse verunreinigt wurden.
Dem stimmt auch Peter Wick zu. Und: «Je kleiner die Plastikpartikel sind, desto schwieriger ihr Nachweis», sagt er. Während grössere Partikel einfacher zu identifizieren sind, wird es bei Mikro- und Nanoplastik herausfordernd. «Wir können die Plastikteilchen nicht immer von seiner Umgebung trennen, dadurch entstehen Ungenauigkeiten beim Nachweis.»
Eine weitere Hürde: In der Umwelt sind Plastikpartikel nicht mehr das reine Material, das häufig in Laborstudien untersucht wird. Sonnenlicht, Mikroorganismen und chemische Prozesse verändern sie. «Wenn wir frische Plastikkügelchen im Labor analysieren, hat das oft wenig mit dem zu tun, was Menschen tatsächlich an Mikroplastik aufnehmen», erklärt Wick.
Ausserdem ist der genaue Mechanismus, durch den Mikroplastik neurologische Schäden begünstigen könnte, noch nicht geklärt. Eine Untersuchung chinesischer Forschender an Mäusen lieferte kürzlich eine mögliche Erklärung: Demnach könnten die winzigen Partikel Immunzellen kapern, sich auf diesem Weg ins Gehirn schleusen, dort die Blutgefässe verstopfen und neurotoxische Effekte auslösen. Ob diese These haltbar ist, muss sich erst noch zeigen.
Selbst die Studienautoren um Matthew Campen warnen davor, vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Aus ihrer Sicht sei es auch denkbar, dass das Gehirn von Demenzkranken durch die Erkrankung durchlässiger für Fremdstoffe werde – Mikroplastik wäre dann nicht die Ursache, sondern eine Folge der Krankheit.
Ein Forscherteam um den Mediziner Nicholas Fabiano von der Universität Ottawa reagierte ebenfalls mit einem Kommentar auf die Studie von Matthew Campen und Co. Darin lieferten die Forschenden eine Reihe alltagstauglicher Tipps, um die Belastung durch Mikroplastik zu reduzieren. Etwa, Wasser aus Glas- statt aus PET-Flaschen zu trinken. Oder auf Teebeutel aus Kunststoff zu verzichten und stattdessen Zellulosebeutel zu nehmen. Problematisch sei auch das Erhitzen von Lebensmitteln in Plastikbehältern. Besser sei es, auf Glas oder Edelstahl umzusteigen.
Auch Empa-Forscher Wick plädiert für einen pragmatischen Umgang mit Plastik und mehr Forschung – regulatorische Massnahmen gegen Mikroplastik hält er noch für verfrüht. «Es geht nicht darum, Plastik komplett zu verbieten. Aber wir müssen es so nutzen, dass es nicht schädlich für uns Menschen und Umwelt ist», sagt Wick. Recycling sei ein wichtiger Schritt, aber noch besser Upcycling und die Materialien so in eine funktionierende Kreislaufwirtschaft zu integrieren.
Kevin V. Thomas und seine Kollegen betonen ebenfalls, politische Massnahmen nicht überstürzt auf unsichere Studien zu stützen. Das könne nämlich das Vertrauen in die Wissenschaft untergraben.
Trotz aller offenen Fragen gibt sich Peter Wick optimistisch: «In drei bis fünf Jahren werden wir deutlich mehr verstehen», sagt er. «Dann können wir wissenschaftlich fundiert Diskussionen darüber führen, welche Kunststoffe uns am meisten belasten – und was wir dagegen tun können.» (aargauerzeitung.ch)
Off topic: Dem CH-Bundesrat gefällt das übrigens. Lage Beobachten ist ja seine Kernkompetenz.
Das wäre dann Milliplastik…die Partikel sind nur wenige Mikrometer gross.
Mikroplastic Partikel überall und in allem auf! Besonders schlimm für die Jungen die mit dem aufwachsen