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Übersäuerung – gibt es das wirklich?

Übersäuerung – gibt es das wirklich?

Um einer Übersäuerung des Körpers durch zu viel Fleisch und Zucker entgegenzuwirken, soll man mehr Obst und Gemüse essen, so die Empfehlung. Diese Theorie ist allerdings umstritten.
09.04.2023, 19:5209.04.2023, 19:52
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t-online

Eiweissreiche Lebensmittel wie Fleisch, Wurst oder Eier bilden beim Abbau im Körper Säuren. Auch Zucker und Kaffee werden zu den Säure bildenden Lebensmitteln gezählt, während Obst und Gemüse als basisch gelten. Viele Naturheilkundler gehen davon aus, dass zu viele Nahrungsmittel, die Säure bilden, der Gesundheit schaden. Bei zahlreichen Menschen sei der Säure-Basen-Haushalt gestört und dies sei wiederum die Ursache vieler Krankheiten, so die Theorie.

Ernährungswissenschaftler halten die Einteilung der Lebensmittel nach ihrer sauren und basischen Wirkung allerdings für überflüssig. Denn ganz so einfach ist es mit den Säuren im Körper nicht: Der Stoffwechsel produziert auch ohne Essen ständig Säuren und verfügt über ausgeklügelte Puffersysteme, die den pH-Wert im Körper konstant halten. «Ein gesunder Mensch übersäuert nicht, weil das vom Organismus präzise reguliert wird», erklärt Prof. Dr. Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIFE), der auch als Stoffwechselexperte an der Berliner Charité tätig ist, t-online.de.

Die meisten Vorgänge im Körper funktionieren am besten, wenn die Körperflüssigkeit neutral oder leicht basisch ist. So wird der pH-Wert im Blut bei etwa 7.4 leicht basisch gehalten, Speichel und Gallensaft sind mit einem pH-Wert von 7.1 nahezu neutral. Dagegen herrscht im Magen mit einem pH-Wert von 1.2 bis 3.0 ein extrem saures Milieu. Nur so kann die Eiweissverdauung funktionieren. Komplizierte Puffersysteme regulieren den Säure-Basen-Haushalt und sorgen so für einen reibungslosen Stoffwechsel. «Bei gesunden Menschen funktioniert das einwandfrei – egal, was man zuvor gegessen hat», ergänzt Pfeiffer. Der pH-Wert im Blut ändere sich zudem nur ganz minimal.

Die wichtigste Rolle spielt dabei die Niere. Sie scheidet überschüssige Säure-Ionen aus, was sich an einem «sauren» Urin messen lässt. Dies ist aber kein Anzeichen für eine Übersäuerung, sondern eher dafür, dass die Regulation gut funktioniert. Insofern sind Teststreifen zur Messung des pH-Wertes im Urin, die in Apotheken angeboten werden auch nicht hilfreich, um eine Übersäuerung zu messen. Der pH-Wert im Urin schwankt über den Tag erheblich und das ist vollkommen normal. Ebenfalls wesentlich beteiligt an der Regulierung des Säure-Basen-Gleichgewichtes im Körper ist die Lunge – über sie wird das saure Kohlendioxyd (CO₂) abtransportiert. Arbeiten Niere oder Lunge nicht richtig, kann es zu einer Übersäuerung im Körper kommen. Betroffene sind dann krank und müssen behandelt werden.

Es gibt allerdings Situationen, in denen der Säure-Base-Haushalt tatsächlich aus dem Gleichgewicht gerät und es zu einer lebensbedrohlichen Azidose – also zu einer Übersäuerung des Blutes – kommt. Dies kann bei Krankheiten, wie zum Beispiel Diabetes oder Nierenschwäche, auftreten. Die Puffersysteme des Körpers sind dann überfordert, sodass der pH-Wert im Blut absinkt. Eine solche Übersäuerung äussert sich durch besonders tiefe und schnelle Atmung sowie einen Azetongeruch der Atemluft, der an überreife Früchte erinnert. Dahinter stehen dann schwere Nieren- oder Lungenerkrankungen, die ursächlich behandelt werden müssen. Eine gesunde Ernährung allein reicht meist nicht aus, kann aber den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.

Da es Übersäuerung nicht gibt, bringen mit Blick auf den Säure-Basen-Haushalt auch Säure-Basen-Diäten nichts. Schaden tun sie jedoch auch nicht, weiss Dr. Pfeiffer: «Die meisten Komponenten dieser Diäten sind gesunde, pflanzliche Nahrungsmittel wie Gemüse und Obst, daher spricht nichts gegen diese Ernährungsweise.»

Wer eine Gewichtsreduktion anstrebt, sollte seine Ernährungsgewohnheiten langfristig ändern, viel Obst und Gemüse essen und sich ausreichend bewegen.

(t-online, lk)

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pafeld
09.04.2023 20:46registriert August 2014
"Diese Theorie ist allerdings umstritten."

Das ist sehr nett ausgedrückt. Die wissenschaftlich belastbare Evidenz für "basische Ernährung" sowie deren Theorien ist trotz zahlreicher, auch prominenter Anhänger gleich null und darf somit mit Fug und Recht als kompletter Mumpitz bezeichnet werden. Denn wenn man das nicht tut, etabliert sich solcher Schwachsinn über die Jahre, bis man ihn nicht mehr wegbekommt und schliesslich die Allgemeinheit belastet. Ja, Homöopathie, du bist gemeint. Und deine debilen Geschwister Bachblüten, Schüsslersalze und Spagyrik müssen sich gar nicht erst verstecken.
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Macca_the_Alpacca
09.04.2023 20:36registriert Oktober 2021
Das gibt es sicher nicht. Der Körper hält die Homöostase aufrecht bei pH 7.3 plus/minus 0.1. Weicht der pH des Blute auch nur geringfügig von diesem Wert ab, ist ein Mensch mehrheitlich ausser Funktion. pH zu hoch = Alkalose, pH zu tief = Azidose. All die Basenpülverchen usw. die man kaufen kann (sogar Badezusätze) kann man getrost vergessen.
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SKYEyes
09.04.2023 21:28registriert November 2022
Mir hat es sehr geholfen gegen mein Sodbrennen, mehr auf das Gleichgewicht zwischen säure- und basenbildenden Lebensmitteln zu achten.
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